Gastbeitrag von Gabor Steingart - Vier Brandenburg-Botschaften zeigen, dass Deutschland seine alte Mitte zurück will

Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, auf seiner Wahlparty<span class="copyright">Kay Nietfeld/dpa</span>
Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, auf seiner WahlpartyKay Nietfeld/dpa

Mit der Landtagswahl in Brandenburg haben die Wähler auch der Politik in Berlin vier Botschaften mitgegeben. SPD-Mann Woidke hat auf Realpolitik statt Orchideenthemen gesetzt und steht zudem für Glaubwürdigkeit. Das wäre auch mal ein Modell für Olaf Scholz.

Der Wähler in Brandenburg hat gesprochen, und zwar deutlich. Auch wenn es nur Zahlen waren, die er uns gestern Abend übermittelt hat, so enthalten diese Zahlen doch vier Botschaften, die nicht überhört werden sollten.

#1 Gewinnen kann man nicht mit, sondern nur gegen Scholz

Der SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke ist auch deshalb siegreich gewesen, weil er gegen die Bundes-SPD und den amtierenden Kanzler mobilisiert hat. Die Beziehung zwischen Scholz und den Wählern ist zerbrochen. Woidke hat als erster Spitzengenosse daraus kompromisslos die Konsequenzen gezogen.

Deshalb hatte er Scholz und Saskia Esken gebeten, das Ostland möglichst nicht als Wahlkämpfer zu betreten. Woidke hat damit der SPD-Führung in Berlin einen Hinweis gegeben, wie mit Kanzlern, die beim Volk durchgefallen sind, in der Demokratie zu verfahren ist. Das ist nicht bösartig, sondern demokratisch.

 

#2 Realpolitik schlägt Orchideenthemen

Mit Dietmar Woidke ist ein klassischer SPD-Politiker erfolgreich, der als Freund von Arbeitern und kleinen Selbstständigen auftritt und die handfesten Themen bevorzugt. Die Berliner Orchideenthemen sind interessant für das Feuilleton und den Berliner „Karneval der Kulturen“, aber nicht für die Mehrheit der sozialdemokratischen Klientel.

Diese sehnt sich nach bezahlbarem Wohnraum und nicht nach der Freigabe von Cannabis. Hier spricht man über das nahegelegene Flüchtlingswohnheim und nicht über das dritte Geschlecht.

Woidke trat als Kandidat auf, der sich an diesen Kulturkämpfen nicht beteiligt und die letzten Bastionen der Normalität gegen die Moderne verteidigt. Wenn er dann ein Etikett auf der Stirn tragen würde, wäre es wohl dieses: SPD Classico.

Im Interview mit „t-Online“ vor gut einer Woche sagte Woidke:

„Wichtig ist für mich: die Alltagsthemen der Menschen in den Blick zu nehmen. Wirtschaft, Arbeitsplätze, Energie, Bildung. Ich rede lieber über wirtschaftliche Ansiedlungen als über Cannabis-Anbauvereine.“

#3 Die Rückkehr persönlicher Glaubwürdigkeit

Ohne sein frühes und klares Bekenntnis, dass er den Posten unverzüglich räumt, wenn er nicht die Nummer eins wird, hätte Woidke diese Wahl nicht gewinnen können. Seine persönliche Glaubwürdigkeit hat er damit ins Zentrum der Auseinandersetzung gerückt.

Als Wahlkämpfer verschaffte er sich damit eine singuläre Stellung im Konkurrenzkampf der Politiker. Der normale Amtsinhaber übernimmt am Wahlabend rhetorisch die Verantwortung für die Niederlage, um am nächsten Morgen mit der Dienstlimousine erneut in sein Ministerbüro zu fahren, als sei nichts gewesen. Woidke hat dem Wort Verantwortung seinen Sinn zurückgegeben.

Er trat dabei nicht als der große Stratege, als das Schlitzohr, als der mit allen Wassern gewaschene Taktierer auf, sondern als Mann von Maß und Mitte. Genau diese Mittigkeit inmitten einer polarisierten Gesellschaft war der Treiber seines Erfolges.

Als ihn der „Tagesspiegel“ auf die Talkshow-Kritik an seiner Parteichefin Saskia Esken anspricht, stellte er klar:

„In Talkshows wird generell viel dummes Zeug erzählt, deshalb meide ich solche Formate und mache hier meine Arbeit.“

#4 Dämonisierung macht die Ränder nicht schwach, sondern stark

Der Wähler trägt nicht mehr allein die Standardmode von SPD und CDU, sondern greift auch links und rechts davon ins Regal. Die Demokratie ist dadurch nicht in Gefahr, nur in Gebrauch.

Die professionelle Dämonisierung von AfD und Sahra Wagenknecht funktioniert, aber eben zu deren Gunsten. Erst die feierlich aufgestellten Sprech-, Kontakt- und Koalitionsverbote der etablierten Parteipolitik haben den Populisten ein Alleinstellungsmerkmal verschafft.

Die Brandmauern stehen, aber die Wähler hüpfen darüber hinweg. Die Verweigerung gegenüber dem Andersdenkenden, auch wenn er jetzt als „Kampf gegen Rechts“ deklariert wird, hat zu erstaunlichen Erfolgen der Populisten rechts wie links geführt. Keine andere Partei hat gegenüber der vergangenen Landtagswahl derart zulegen können wie die AfD – plus 5,7 Prozent. Das Bündnis Sahra Wagenknecht erreicht aus dem Stand mit 13,5 Prozent die Größe der CDU.

 

Fazit: Woidke hat gezeigt, dass Volksnähe keine Krankheit, sondern die Voraussetzung von Demokratie ist. Und er hat auch gezeigt, dass ein moderner Spitzenkandidat gar nicht modern, sondern nur erdig sein muss. Die Lehre von Brandenburg sollte uns zuversichtlich stimmen: Deutschland will nicht nach rechts driften. Deutschland will nur seine alte Mitte zurück.