Gastbeitrag von Jan Ovelgönne und Achim Truger - Der reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt gefährdet Europa

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Virginia Mayo/AP/dpa

Die jüngste Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) sollte eigentlich die Finanzstabilität in der EU gewährleisten und Wachstum fördern. Allerdings droht sie nun das Gegenteil zu bewirken.

In den kommenden Wochen werden in der EU – weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit – die Weichen für die zukünftige Ausrichtung der Finanzpolitik der Mitgliedstaaten gestellt. Denn dann verhandeln EU-Kommission und EU-Rat mit den Mitgliedstaaten über deren finanzpolitische Umsetzung der neuen EU-Fiskalregeln und den Konsolidierungskurs für die nächsten Jahre. Seit Juni ist die Reform des Stabilitäts- und Wachstums-Pakts in Kraft.

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Mit der Reform reagierte die EU auf die unübersehbaren Probleme des bisherigen Regelwerks: Weniger komplex und transparenter sowie verbindlicher in der Umsetzung sollten die Regeln werden, und sie sollten mehr Spielraum für wachstumsfördernde öffentliche Investitionen lassen. Vor allem aber sollte nach dem Ende der Ausnahmeregel eine überharte Konsolidierung wegen des so genannten Schuldenstandskriteriums vermieden werden: Länder, deren Schuldenstand 60% des Bruttoinlandsprodukts übersteigt, hätten diesen sehr schnell in Richtung der 60% bewegen müssen. Dies hätte gerade die von Euro- und Corona-Krise schwer gebeutelten Staaten, wie Italien, Spanien und Portugal, aber auch Frankreich, stark getroffen. Eine sehr harte Kürzungspolitik drohte, eine erneute Wirtschaftskrise auszulösen, in deren Folge die Schuldenstände eher steigen als sinken würden.

Die aktuelle Reform setzt bei der Konsolidierung vor allem auf die Begrenzung des Staatsausgabenwachstums durch vorgegebene Ausgabenpfade. Grundsätzlich ist das sinnvoll, es kommt jedoch alles auf die konkrete Festlegung der Ausgabenpfade an. Hierfür hat die EU-Kommission weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit technokratische Vorgaben gemacht, über die bis zum September hinter verschlossenen Türen zwischen Mitgliedstaaten und Kommission verhandelt und dann vom Rat entschieden wird. Das Problem dabei: Die von der Kommission festgelegten Ausgabenpfade sind zu restriktiv: Sie zwängen sechs EU-Länder, darunter Frankreich, drastische Sparmaßnahmen zu ergreifen. Diese Länder stehen allerdings bereits unter erheblichem wirtschaftlichen und sozialen Druck und müssten nun ihre Haushalte weiter kürzen.

Gut die Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten, auch Deutschland, reißen die Grenzwerte

Nicht nur die sechs akuten “Defizitsünder” werden das deutlich spüren. Gut die Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten, auch Deutschland, reißen die Grenzwerte und müssen ihre Haushalte straffen. Strenge Sparmaßnahmen und reduzierte öffentliche Ausgaben führen nachweislich zu einem Rückgang der Wirtschaftstätigkeit und der Investitionen. Es deutet sich bereits an, dass das mindestens zu Stagnation, wenn nicht gar zu Rezessionen führen wird. Zudem werden darunter notwendige Investitionen, z.B. in Infrastruktur, Bildung und eine sozial gerechte Transformation leiden. Dies wird die Wettbewerbsfähigkeit Europas auf globaler Ebene beeinträchtigen und es noch weiter zurückwerfen.

Die Folgen dieser Politik beschränken sich aber nicht auf die wirtschaftlichen Auswirkungen. Überzogene Sparpolitik in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten treibt die Menschen in die Arme von Rechtspopulisten und Demokratieverächtern.

Zwei Dinge sind aus unserer Sicht erforderlich, um all dies zu verhindern: Erstens müssen die Ausgabenpfade in den Verhandlungen auf ein wirtschaftsverträgliches Niveau gehoben werden. Zweitens muss ein neuer EU-Investitionsfonds nach dem Vorbild des Corona-Fonds NextGenerationEU aufgelegt werden, um die nationale Finanzpolitik der Mitgliedstaaten zu entlasten und dennoch die notwendigen Investitionen in die Zukunft Europas zu ermöglichen.

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