Gastbeitrag zu den Landtagswahlen - Unternehmerin zu AfD-Erfolg: Diese Wahl schadet dem Prinzip „Made in Germany“

Judith Borowski, Geschäftsführerin der Uhrenmanufaktur NOMOS Glashütte, bewertet die Landtagswahlergebnisse als Desaster.<span class="copyright">NOMOS Glashütte, Michael Kappeler/dpa</span>
Judith Borowski, Geschäftsführerin der Uhrenmanufaktur NOMOS Glashütte, bewertet die Landtagswahlergebnisse als Desaster.NOMOS Glashütte, Michael Kappeler/dpa

Bei den Landtagswahlen haben die Ostdeutschen ihren Stachel ausgefahren. Das Ergebnis ist ein Desaster. Als Geschäftsführerin eines sächsischen Unternehmens finde ich: Die Demokratie braucht Schützenhilfe. Die positiven Folgen kann ich in meiner Uhrenmanufaktur beobachten.

Die Wähler haben entschieden: Die CDU ist die stärkste Partei Thüringens – nach der AfD. Und auch in Sachsen steht die Partei, die hier seit der Wende jede Regierung stellte und die nun nur wenige Stimmen Vorsprung hat, vor riesigen Herausforderungen.

Vielleicht wird der 1. September 2024, dieser 85. Jahrestag des Kriegsbeginns, nachträglich das Ende der jahrzehntelangen Dominanz der CDU in Sachsen bedeuten – und jene Zeitenwende darstellen, die die Partei zu neuen Strategien zwang. Von den Ampelparteien gar nicht zu reden, denn diese sind selbst zusammengenommen seit Sonntag ein Zwerg.

Die FDP scheint selbst in den städtischen Gebieten keine Wähler mehr zu haben. Und auch die Linke konnte gegen die Konkurrenz der Populisten von BSW und AfD ihre traditionelle Wählerbasis nicht mehr mobilisieren. Jede nun mögliche Koalition wird eine massiv überdehnte sein, schwierig oder fragil – oder beides.

Im sächsischen Glashütte, wo wir unsere Uhren fertigen, blicken wir in der Geschäftsführung mit Sorge auf diese Zäsur. Nein, die Wahl in Sachsen ist nicht noch einmal geradeso gut ausgegangen. Das Ergebnis ist ein Desaster. Die Menschen haben Nazis und hohlen Versprechungen den Vorzug gegeben.

„Ost-, Ost-, Ostdeutschland“ tritt den Hauptstädten gegen das Schienbein

Verstehen können wir dies nicht, doch es gibt viele Gründe dafür, dass „Ost-, Ost-, Ostdeutschland“, wie der Schlachtruf allerorten nun lautet, Berlin, Dresden und Erfurt so dermaßen gegen das Schienbein tritt.

Und fast alle Gründe wurden schon ausgiebig besprochen: Veränderungsmüdigkeit, Abwanderung, Hass auf „Eliten“ und „Establishment“, geringere Einkommens- und Rentenniveaus, eine mangelnde Verwurzelung der Traditionsparteien. Dazu: oft mehr Vertrauen in die, die online Verschwörungserzählungen oder vermeintlich einfache Lösungen verbreiten als in Journalismus und traditionelle Medien.

 

Damit nicht genug. Auch eine löchrige Infrastruktur, ein Mangel an positiver Demokratieerfahrung und das noch immer andauernde Gefühl, Deutsche zweiter Klasse zu sein, kommen dazu, zu wenig Aufarbeitung von NS-Zeit und der zweiten deutschen Diktatur, der DDR.

Die Bevölkerung wehrt sich mit ihren Stimmen für populistische Ost-Parteien

Die ganze lange (und doch immer unvollständige) Liste scheint dazu zu führen, dass Menschen plötzlich gegen einfach alles sind – was immer kommt, triggert den Hass. Die westdeutsche Haltung ist noch immer eine Mischung aus Ignoranz und Arroganz, und die Politik liefert nicht, was sie soll.

Vielleicht haben sich viele Ostdeutsche noch nie so ostdeutsch gefühlt wie heute: Unter dem Eindruck, sich wehren zu müssen, hat das Ost-Fünftel der deutschen Bevölkerung jetzt trotzig die Stacheln ausgefahren, hat mehrheitlich populistischen Ost-Parteien den Vorzug gegeben.

Wer soll sich so eingeladen fühlen?

Nicht alle, na klar. Die Menschen sind niemals alle gleich, und vor allem in den Städten gibt es viele, die entsetzt sind darüber, wie die Menschen in den ländlichen Regionen gewählt haben. Doch viele scheinen die deutsche Vereinigung, dieses friedliche große Glück, vergessen zu haben. Scheinen sich mehr und mehr einzuigeln in Ressentiments, scheuen ängstlich jede Veränderung und pflegen ihre Frusterfahrung.

Ihre Welt wird so immer enger und kleiner. Die überalterten und schrumpfenden ostdeutschen Länder brauchen Zuzug, insbesondere in der Provinz. Doch wer sollte sich so eingeladen fühlen?

So geraten die Kreuze, mit denen viele Wähler in Thüringen und Sachsen am 1. September die Politik abstrafen wollten, zur Selbstbestrafung: Es ist eine Negativspirale.

Die AfD-Erfolge beschädigen „Made in Germany“

Auch wenn – diesmal – die AfD keinen Ministerpräsidenten stellen wird, streut das Erstarken rechtsextremer Parteien ordentlich Sand ins Getriebe der Demokratie, führt zu Blockaden, zu noch mehr Baustellen im Land, zur Aushöhlung demokratischer Strukturen. Es schadet den Standorten Thüringen wie Sachsen – und beschädigt das ganze große „Made in Germany“ gleich mit.

AfD und Co gibt es auch im Westen, ja. Doch der 1. September hat klargemacht: Ostdeutschland ist eine Zeitmaschine, denn die Entwicklung hier ist jener im Westen zumindest einige Jahre voraus.

Bei NOMOS Glashütte fertigen wir bekanntlich „Zeitmaschinen“ anderer Art – mechanische Armbanduhren. Ohne Demokratie könnten wir das nicht. Denn NOMOS Glashütte, so wie es heute ist, wurde erst durch den Mauerfall 1989 möglich.

Eine Uhrenmanufaktur als Demokratielabor

Wir finden daher, wir schulden es der Demokratie, ihr Schützenhilfe zu geben – im kleinen, uns möglichen Rahmen: Wir trainieren uns in Toleranz für die Meinung des anderen, ermutigen Mitarbeitende zu eigenständigem Denken und Widerspruch, kümmern uns um Sachprobleme wie Nahverkehr, Einkaufsmöglichkeiten, Kinderbetreuung.

Ein Mitarbeiter von NOMOS Glashütte baut eine Uhr zusammen.<span class="copyright">NOMOS Glashütte</span>
Ein Mitarbeiter von NOMOS Glashütte baut eine Uhr zusammen.NOMOS Glashütte

 

Zumindest intern haben wir so die Entwicklung ein wenig aufhalten können: Seit knapp zehn Jahren bereits artikulieren wir uns gegen Rechtsextremismus, für Freiheit, Weltoffenheit, Toleranz, Demokratie.

Der Preis dafür? Wir wurden reich belohnt: Heute haben wir eine Mitarbeiterschaft, die in den großen Linien ähnlich tickt. Uhrmacherinnen, Konstrukteure, Werkzeugmacher, die die Haltung ihres Arbeitgebers teilen.

Nein, Einigkeit besteht keineswegs immer und in jedem Detail. Doch das ist auch gut so, das gehört ja zur Demokratie. Für mich ist unsere Uhrenmanufaktur, ganz nebenbei, auch zum Demokratielabor geworden.