Gastbeitrag von Psychologin Martina Lackner - „Heiß, heißer, tot“: Was Luisa Neubauers Provokation mit Trump zu tun hat
Beim Berliner Presseball sorgte Klimaaktivistin Luisa Neubauer für großes Aufsehen: Auf ihrem schulterfreien, schwarzen Abendkleid standen die Worte „Hot, hotter, dead“ („Heiß, heißer, tot“) in weißer Schrift. Psychologin Martina Lackner analysiert, wie Neubauer durch provokante Inszenierung die Dringlichkeit der Klimakrise in den Fokus rückt.
Provokant, aufreizend und unübersehbar nutzte sie die Bühne, um die Dringlichkeit der Klimakriseins Bewusstsein zu rücken. Doch dieser Auftritt war mehr als eine Botschaft für den Klimasc hutz – er war auch ein Spiel mit weiblichen Reizen und der medialen Wahrnehmung.
Sexualität als Mittel der Aufmerksamkeit
„Schaut ihr jetzt hin?“ – Neubauers Instagram-Frage bringt die Strategie auf den Punkt. Mit ihrem Auftritt verband sie bewusst die Botschaft über die Klimakrise mit der Wirkung ihres Körpers. Sie wusste, auch wenn sie verneint, dass sie ihren Körper einsetzt: Freizügigkeit, kombiniert mit einem provokanten Slogan, sorgt für maximale Aufmerksamkeit. Psychologisch betrachtet nutzt sie die Kraft des Tabubruchs. Ein konservativer Presseball wird zur Bühne für eine Inszenierung, die Normen bricht und damit hängen bleibt.
Doch was bedeutet es, wenn Aktivistinnen auf körperliche Reize zurückgreifen, um Gehör zu finden? Neubauers Aktion zeigt, wie stark unsere Gesellschaft auf visuelle und emotionale Reize reagiert. Fachliche Argumente, so scheint es, haben alleine oft nicht mehr genug Gewicht. Stattdessen inszeniert sich Neubauer mit „Methoden“, die seit jeher Aufmerksamkeit erregt haben, vor allem beim männlichen Publikum: Körperlichkeit und sexuelle Attraktivität.
Diese Strategie mag kurzfristig erfolgreich sein, birgt aber eine problematische Botschaft: Kompetente Frauen könnten damit suggerieren, dass sie ihre Körper einsetzen müssen, um gehört zu werden. Das gefährdet die Gleichstellung, weil es Intellekt und Ratio in den Hintergrund drängt.
Die politische Dimension: Emotion schlägt Inhalte - wie bei Donald Trump
Neubauers Auftritt steht nicht isoliert, sondern reiht sich in einen größeren gesellschaftlichen Trend ein. Emotionalisierung und Provokation dominieren zunehmend nicht nur den Aktivismus, sondern auch die Politik. Politiker, die jenseits von Manieren, Diplomatie und Sachlichkeit agieren, sind oft erfolgreicher als solche, die auf Inhalte setzen.
Ein Beispiel ist Donald Trump, dessen Strategie der Emotionalisierung Wähler mobilisierte, gleichzeitig aber die Bedeutung von Wissenschaft und Ratio untergrub. Seine erste Amtshandlung, der Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen, symbolisiert, wie Emotionen wissenschaftlich fundierte Ansätze verdrängen können. Neubauers Aktion zeigt, dass auch hierzulande ähnliche Dynamiken greifen: Die Botschaft wird nicht über Intellekt, sondern über Emotion und Inszenierung vermittelt.
Social Media verstärkt diesen Effekt. Die Aufmerksamkeitsspanne schrumpft, und laute, polarisierende Stimmen übertönen leise, rationale Argumente. Neubauers Aktion ist ein Symptom dieser Zeit: Emotionalisierung wird zur Waffe, weil sie schnell Wirkung zeigt – langfristig aber die Gefahr birgt, die wissenschaftliche Debatte zu verdrängen.
Psychologie des Tabubruchs: Warum funktioniert das?
Menschen reagieren besonders stark auf Tabus und Provokationen, weil sie gesellschaftliche Normen infrage stellen. Ein schulterfreies Kleid mit einer solch provokanten Aufschrift bei einem konservativen Presseball durchbricht bisher unausgesprochene Regeln. Das löst sowohl Neugier als auch Empörung aus – zwei starke emotionale Reaktionen, die Aufmerksamkeit garantieren.
Doch die Psychologie zeigt auch die Grenzen solcher Strategien auf: Emotionale Reize wirken nur kurzfristig. Sobald die unmittelbare Provokation abklingt, kehren viele Menschen in alte Verhaltensmuster zurück. Ohne eine dauerhafte, rationale Auseinandersetzung bleiben solche Aktionen oft nur Inszenierungen ohne nachhaltigen Effekt.
Was bleibt?
Luisa Neubauer hat ein Tabu gebrochen und damit mediale Aufmerksamkeit gewonnen – doch zeigt ihr Auftritt auch, dass fachliche Kompetenz oft nicht mehr ausreicht, um Gehör zu finden. Das gilt nicht nur für Aktivisten, sondern zunehmend auch für Politiker. Wenn Ratio und Wissenschaft nicht mehr überzeugen, rückt die Frage in den Fokus: Welche Mittel bleiben, um Aufmerksamkeit zu erzielen?
Die Gefahr besteht, dass die Grenzen des gesellschaftlich Akzeptablen immer weiter verschoben werden – weg von inhaltlicher Auseinandersetzung, hin zu einer Welt, in der Emotionalisierung und Provokation dominieren. Das beeinträchtigt nicht nur die politische Kultur, sondern auch die Fähigkeit, langfristige Lösungen für globale Probleme wie den Klimawandel zu entwickeln.
Bildung statt Inszenierung: Der Schlüssel zur Veränderung
Um diesen Trend zu durchbrechen, braucht es Bildung, die Menschen befähigt, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und über Metaebenen nachzudenken. Menschen müssen lernen, warum eine Erderwärmung von 1,6 Grad eine existenzielle Krise darstellt – ohne dass sie erst eine akute Bedrohung fühlen müssen. Eine Erklärung warum Menschen akute Bedrohungen „brauchen“, um ins Handeln zu kommen, liefert Marie Helweg-Larsen, Sozialpsychologin am Dickinson College in Pennsylvania: Sie spricht von optimism bias, also einer optimistischen Verzerrung: tendiert ein Mensch dazu, hat er das Gefühl, dass ihn potentielle Konsequenzen aus irgendeinem Grund nicht betreffen. „Wir nehmen die Bedrohung zwar wahr, doch wir glauben nicht, dass wir negative Konsequenzen zu spüren bekommen werden.“
Langfristig bleibt die Herausforderung, emotionalisierende Inszenierungen wie die von Neubauer in nachhaltiges Handeln zu übersetzen. Doch das erfordert eine Rückkehr zu wissenschaftlicher Fundierung und rationalem Denken, von „Kindesbeinen“ an. Bildung ist der Schlüssel: Nur wenn wir zukünftige Generationen zu vernunftgetriebenen Menschen erziehen, können wir globale Probleme wie den Klimawandel nachhaltig lösen.
„Heiß, heißer, tot“ ist ein kraftvoller Slogan – doch die eigentliche Herausforderung besteht darin, die Gesellschaft so zu bilden, dass wir auch ohne solche Provokationen handeln, bevor es zu spät ist.