Gastbeitrag von Rainer Zitelmann - Autorin schreibt über die „Welt der Superreichen“ - und entdeckt eigene Vorurteile
Julia Friedrichs will in ihrem neuen Buch „Crazy Rich“ einen Einblick in die „geheime Welt der Superreichen“ geben. Reichtumsforscher Rainer Zitelmann analysiert, ob ihr das gelungen ist.
Julia Friedrichs ist eine linke Autorin, die mehrere Bücher geschrieben hat, die sich kritisch mit Eliten, Erben und Reichen auseinandersetzen.
Ihr soeben erschienenes Buch „Crazy Rich (Anzeige)“ will einen Einblick in die „geheime Welt der Superreichen“ geben und sie hat auch mit einigen gesprochen. Sie bleibt ihrer Grundlinie treu. Die typischen, nichtssagenden Vergleiche (mit dem Geld, das man braucht, um 6000 Superjachten ein Jahr instand zu halten, könnte man die Schulden aller Entwicklungsländer tilgen, S. 12) findet man auch in diesem Buch. Auch der Reiche als Klimasünder darf natürlich nicht fehlen. Doch an einigen Stellen wird deutlich, dass sie vielleicht inzwischen in ihrer früheren aggressiven Grundhaltung gegen Reiche ein wenig verunsichert wurde.
„Die Reichen gibt es nicht“
So kann man ihr voll zustimmen, wenn sie schreibt: „Die Reichen gibt es nicht, genauso wenig wie die Armen. Es wäre genauso großer Unfug, die einen als – wie es das Klischee vielleicht will – unsozial und herzlos zu beschreiben, wie die anderen als faul und antriebslos.“ (S. 85) Und an einer Stelle räumt sie sogar ein: „Jedes Land braucht funktionierende Unternehmen. Jede Gesellschaft braucht Menschen, die etwas wagen, die Verantwortung übernehmen. Vermögen ist und soll ihr Lohn sein, ein Lohn, der im Idealfall helfen kann, neue Ideen zu beflügeln.“ (S. 193)
Sie zeigt in einem Kapitel, dass Megareiche in Filmen und Serien stereotyp als „kaputte Charaktere“ dargestellt würden und es wenig Zwischentöne gebe. Zum Problem werde das, wenn solche Filme die Hauptinformationsquelle zu Reichen sind, weil die meisten Menschen eben selbst keine wirklich Reichen kennen (S. 84). Auch hier kann man ihr nur zustimmen. Meine eigenen Forschungen haben sowohl gezeigt, dass Reiche in Hollywood-Filmen sehr negativ dargestellt werden als auch bestätigt, dass Menschen, die selbst einen Reichen kennen, diesen viel positiver einschätzen als Reiche insgesamt gesehen werden.
Friedrichs schreibt auch ein Kapitel über Sozialneid, in dem man merkt, dass sie ein wenig schwankend geworden ist: Einerseits ist sie selbst neidisch und fragt, ob die Aufregung der Reichen über den Neid nicht überzogen sei, andererseits hinterfragt sie ihre eigene Position mehrfach selbstkritisch. Vielleicht haben die Gespräche mit Reichen wirklich ein wenig bei ihr bewegt.
Die „guten Reichen“ in ihrem Buch sind Erben
Die „guten Reichen“ in ihrem Buch sind allerdings gerade keine Unternehmer, sondern Erben. Ihren Lieblingsreichen nennt sie Sebastian. Mit ihm hat sie am längsten gesprochen, über 50 Stunden (S.43). Er war der Einzige, den sie über Monate immer wieder traf. Sebastian versteckt seinen Reichtum, weil er sich schämt, reich zu sein. Auch er ist ein Erbe. Er sagt: „Es gibt mir kein gutes Gefühl, auch wenn ich weiß, dass es natürlich ein extremes Privileg ist.“ (S.77) Weil er sich für seinen Reichtum schämt, wohnt er in einer 45qm-Wohnung mit kleinem Balkon. Seine antikapitalistischen Freunde sollen nicht wissen, dass er reich ist. Er hätte sonst die Sorge, „dass es Freunden unangenehm sein könnte, oder dass sie denken, das ist zu viel…“ (S. 163 f.)
Eine andere „gute Reiche“, die in ihrem Buch vorkommt, ist ebenfalls Erbin. Es ist Marlene Engelhorn, die über mehrere Jahre hinweg in Hunderten Interviews ankündigte, sie wolle ihr Erbe verschenken, bevor sie es dann irgendwann wirklich tat. Auch eine Reiche mit schlechtem Gewissen.
Der böse Reiche ist für die Autorin Theo Müller von Müller Milch. Der Grund: Sie habe ihn um ein Gespräch gebeten, aber er habe zur Bedingung gemacht, dass sie zuerst das Buch von Ludwig von Mises über die Gemeinwirtschaft lese, das er ihr zuschickte. Das habe sie getan, aber Müller sei danach nicht mehr zu erreichen gewesen. Müller selbst bestreitet dies. Ich mag der Autorin glauben, aber Müller ist – anders als ihre Lieblingsreichen Sebastian und Marlene – ein beeindruckendes Beispiel, wie man durch gute Ideen reich wird. Müller hat nur den Realschulabschluss, machte eine Lehre als „Käsemeister“ und begann mit einem kleinen Betrieb mit vier Mitarbeitern, heute sind es 32.000. Forbes schätzt sein Nettovermögen auf sechs Milliarden Dollar Dagegen haben die Lieblingsreichen der Autorin – die Erben mit dem schlechten Gewissen - gar nichts geschaffen.
Ist man mit 2-3 Millionen Euro wirklich reich?
Die Autorin beginnt mit der Frage, was man denn unter „reich“ verstehen soll und verweist darauf, dass es sehr unterschiedliche Definitionen gibt. Die von ihr bevorzugte Definition: Reich sei, wer allein aus seinem Vermögen heraus so viel Ertrag erziele, dass er davon auch ohne Erwerbsarbeit gut leben könne (S.19). Eine brauchbare Definition, wie ich finde.
Aber dann kommt sie zu einer merkwürdigen, viel zu niedrigen Summe: „Je nach Zinslage liegt die Schwelle dafür bei zwei, vielleicht drei Millionen.“ Wirklich? Wer drei Millionen Euro hat und wem es gelingt, mit sicheren Anlagen 4 Prozent zu erzielen (das ist anspruchsvoll, denn 10jährige Staatsanleihen bringen nur 2,3%), der hat nach Abgeltungssteuern ca. 3 Prozent und nach Inflation (selbst wenn die Inflationsrate nur bei 2 Prozent liegt) ein Prozent übrig, das sind 30.000 im Jahr oder 2.500 Euro im Monat. Rechnet man die Mietzuschüsse und andere Transferleistungen dazu, bekommt eine Familie, die Bürgergeld bezieht, ähnlich viel. Unter „gutem Leben“ stellen sich die meisten Reichen sicherlich etwas anderes vor.
Die Steuern hat Friedrichs (ebenso wie die Inflation) vielleicht vergessen, weil sie glaubt, Reiche könnten ihre Steuerlast mit aggressiver Steuergestaltung auf ein Prozent senken (S. 245). Ich kenne viele Reiche, die bis zu 50 Prozent Steuern zahlen, aber niemand, der nur ein Prozent zahlt. Wie das gehen soll, verrät die Autorin leider nicht. Ein Steuerberater habe es ihr erzählt. In der ZDF-Doku, für die Friedrichs die Interviews machte, stellte sich heraus, dass der Steuerberater, mit dem sie sprach, es selbst nicht wusste, sondern nur angab, einen anderen zu kennen, der es wisse…
Persönlichkeit von Reichen
Friedrichs berichtet darüber, dass ich für meine Dissertation Reiche einen Big-Five-Persönlichkeitstest habe machen lassen. Sie hat den Test auch gemacht und schreibt, sie komme bei den „Kategorien Offenheit und Optimismus, Risikobereitschaft und Lust auf Neues auf sehr hohe Werte, auch Gewissenhaftigkeit und Disziplin sind überdurchschnittlich ausgeprägt – wie bei vermutlich Millionen von Menschen in Deutschland. Die aber alle nicht reich sind.“ (S. 122) Weil sie selbst und viele andere nicht reich sind, meint sie, der Test sage nichts aus. Das Problem: Die von ihr genannten Kategorien sind nicht die des Tests. Die Kategorien sind Gewissenhaftigkeit, Offenheit für neue Erfahrungen, Extraversion, Neurotizismus und Verträglichkeit. Wie hat sie beispielsweise bei Extraversion, Neurotizismus und Verträglichkeit abgeschnitten? Wir wissen es nicht.
Überzeugend wirkt ihr Einwand, weil ich keine Kontrollgruppe untersucht habe, unterliege ich dem „Survivorship-Bias“ (S. 125). Ich vermute, sie hat meine Dissertation zur „Psychologie der Superreichen“ nicht zu Ende gelesen, denn auf Seite 402f. gehe ich ausführlich auf diese methodische Frage ein. Ich verweise ausdrücklich darauf, dass man eine Kontrollgruppe in der Gesamtbevölkerung untersuchen müsse. Und dies ist dann auch durch mehrere später erschienene wissenschaftliche Aufsätze geschehen, z.B. durch eine ein Jahr nach meiner Studie erschienene Untersuchung von 130 Reichen. Und diese Studien kamen exakt zu dem gleichen Ergebnis: Reiche schneiden beim Big Five-Test anders ab als der Durchschnitt der Bevölkerung.
Auch weitere Studien, die den Big Five-Test für Reiche verwendeten und mit Kontrollgruppen arbeiteten, kamen zu dem gleichen Ergebnis, so etwa Wissenschaftler des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, die 2022 eine Studie zur Persönlichkeit von Vermögensmillionären vorgelegt haben.
Sind die meisten Reichen Erben?
Interessant bei dieser Studie ist übrigens ein Nebenergebnis, das mindestens so interessant ist wie die eigentliche Fragestellung der Studie. Denn die Wissenschaftler haben eine Stichprobe der Gesamtbevölkerung verglichen mit einer Stichprobe von 1125 Deutschen, die über ein Nettovermögen von mindestens 1 Million Euro verfügen.
Innerhalb dieser Gruppe wurde unterschieden zwischen Personen, die ihr Vermögen überwiegend „self-made“ erworben hatten (also beispielsweise durch unternehmerische Aktivitäten, Selbstständigkeit oder Investments) oder durch Erbschaft. Das Ergebnis: In der Stichprobe waren 45 Prozent self-made-Millionäre und 12 Prozent Erben. Bei 41 Prozent war die Zuordnung nicht eindeutig oder beide Faktoren spielten eine Rolle.
Rechnet man die Gruppe heraus, bei der die Zuordnung nicht eindeutig möglich ist, dann sind 79 Prozent der Millionäre self-made und 21 Prozent Erben. Aber selbst dann, wenn man die 41 Prozent, die nicht eindeutig einer der beiden Kategorien zuzuordnen sind, hälftig aufteilt, ergibt sich, dass fast zwei Drittel der Vermögen „self-made“ erworben wurden und nur ein Drittel durch Erbschaft oder Schenkung. Das widerspricht der in Friedrichs Buch häufig wiederholten These, die meisten Reichen seien Erben.
Entscheidend für Reichtum ist die unternehmerische Idee
Schon ein Blick auf die Liste der reichsten Menschen der Welt sollte Anlass zum Zweifel sein. Ob Elon Musk, Jeff Bezos, Sergej Brin und Larry Page, Bill Gates, Michael Bloomberg oder Warren Buffett – keiner von ihnen ist durch Erbschaft reich geworden. Zwar haben manche von ihnen etwas geerbt (so wie übrigens jeder fünfte Amerikaner), aber entscheidend für ihren Reichtum war nicht die Erbschaft, sondern die unternehmerische Idee. Brin und Page hatten die Idee, die beste Suchmaschine der Welt zu entwickeln – und wurden mit Google reich. Jeff Bezos erkannte früher als andere die Möglichkeiten des Online-Handels und wurde mit Amazon reich.
Im Jahr 2014 begann Forbes damit, jedem Milliardär einen Selfmade-Score zuzuweisen. Eine Punktzahl zwischen 1 und 5 bedeutet, dass eine Person ihr Vermögen geerbt hat. Eine Punktzahl zwischen 6 und 10 bedeutet, dass sie ihr eigenes Unternehmen aufgebaut oder ihr Vermögen aus eigener Kraft geschaffen haben. Im Jahr 2022 erreichten 275 Mitglieder der Forbes 400 eine Punktzahl zwischen 6 und 10, was bedeutet, dass fast 70 Prozent der Liste „self-made“ sind.
Zurück zum Test: Natürlich wird es viele Menschen geben, die beim Big-Five-Test ähnlich wie Reiche abschneiden, aber niemals reich werden. Das widerlegt jedoch nicht die wissenschaftlichen Studien, die auf die Unterschiede zwischen der Persönlichkeit von Reichen und Nicht-Reichen hinweisen. Was Julia Friedrichs anlangt, so kann man beispielsweise mit Sicherheit sagen, was ein Grund ist, warum sie nicht reich ist: Wer, so wie sie glaubt, reich könne man nur durch Erbschaft, Glück, Zufall etc. werden, der hat damit einen falschen Glaubenssatz verinnerlicht, der allein schon dafür sorgt, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass die Person jemals reich wird.
Friedrichs bestätigt übrigens selbst, dass es diese Unterschiede gibt. Sie schreibt, es gebe zwar ein „rich personality profile“, das jedoch nicht für Erben gelte, sondern nur für Selfmade-Reiche (S. 125). Sie nennt diese eine „gewaltige Einschränkung“ der These, aber tatsächlich ist es eine Bestätigung, denn es ist ja logisch, dass man von Erben nicht lernen kann, wie man reich wird, sondern nur von Selfmade-Reichen.
Ungleichheit und Reichenhass
Ein Thema, das eine zentrale Rolle in dem Buch spielt ist Ungleichheit. Zustimmend zitiert sie einen Professor, der Ungleichheit „die fundmentalste soziologische Frage unserer Zeit“ nennt (S. 90). Wirklich? Ich finde, Armut ist ein Problem, nicht Ungleichheit. Die Armut ist in den letzten Jahrzehnten weltweit so stark gesunken wie nie in der Menschheitsgeschichte. Gleichzeitig ist die Zahl der Milliardäre sehr stark gestiegen. Der Grund für das Sinken der Zahl der Armen und das Steigen der Zahl der Reichen ist der Gleiche: Wirtschaftswachstum. In China und Vietnam sind die Menschen heute viel ungleicher als zu sozialistischen Zeiten, wo in beiden Ländern mehr als 80 Prozent der Bevölkerung in Armut lebten. Ich habe dort niemand getroffen, der zurück zu diesen Zeiten wollte, nur weil die Menschen damals gleicher waren und es keine Milliardäre gab.
Ist es schlimm, wenn Menschen Vorurteile gegen Reiche haben oder gar Hass gegen sie gepredigt wird? Friedrichs zitiert diese Sätze: „Die Geschichte zeigt, dass Gruppen mit hohem Status häufig zu Zielen von Genoziden werden. In Zeiten von sozialer Unruhe und Bedrohung werden beneidete soziale Gruppen zum Ziel schwerster Attacken, bis hin zum Versuch ihrer Massenvernichtung.“ Die Autorin kommentiert: „Heidewitzka. Das sind ordentliche verbale Großkaliber.“ (S. 156). Das Zitat stammt zwar, anders als von Friedrichs behauptet, nicht von mir, sondern von den renommiertesten amerikanischen Vorurteilsforschern der UCSD, Princeton- und Harvard-University Christine Harris, Susan Fiske und Mina Cikara – und es steht auch nicht auf der bei Friedrichs als Fundstelle angegeben Seite meines Buches „Die Gesellschaft und ihre Reichen“.
Aber in der Tat: Die Geschichte ist leider tatsächlich voll von Beispielen – die Ermordung von „Reichen“ und „Kulaken“ in der Sowjetunion, China oder Kambodscha, die Ermordung von reichen Chinesen in Indonesien, von reichen Indern in Uganda oder Pogromen in Tansania, Ruanda oder Bangladesch… George Gilder konstatierte in seinem Buch „Armut und Reichtum“: „Auf jedem Kontinent und in jeder Epoche wurden Menschen, die in der Schaffung von Wohlstand den anderen überlegen waren, Opfer der größten Brutalitäten einer Gesellschaft.“ Was für andere Minderheiten gilt, gilt daher auch für Reiche: Aus Hassreden können Taten werden.
Rainer Zitelmann hat die Master Class „Finanzielle Freiheit“ konzipiert und gibt Seminare zum Thema Unternehmertum/Reichtum.