Gastbeitrag von Ralph D. Thiele - Experte: Mit einer einfachen Frage können Sie jeden Islamisten entlarven

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Die blaue Mullah-Moschee des Islamischen Zentrums in Hamburg.Daniel Bockwoldt/dpa

Eine neue Welle islamistischer Gewalt erschüttert Deutschland: Erst der Anschlag in Solingen, nun ein vereitelter Terrorakt in München. Radikale Islamisten wollen die demokratische Ordnung untergraben und ihre totalitäre Ideologie durchsetzen. In Zeiten globaler Unsicherheit wächst ihre Bedrohung. Eine offene Debatte über den politischen Islamismus und seine Gefahren ist dringender denn je.

Erst der blutige Terroranschlag eines syrischen Migranten in Solingen. Nun der versuchte Anschlag in München. Der junge Mann mit bosnischen Wurzeln wollte im Münchner Generalkonsulat des Staates Israel am Jahrestag des Olympia-Attentats 1972 mordenDer Täter von Solingen kam mit dem Messer. Der Attentäter von München kam mit Karabiner und Bajonett. Beides waren Islamisten.

Das Kalifat lässt grüßen

Terroraktionen haben einen Kontext. Die Welt ist rauer geworden. Hier bringen sich staatliche und nicht staatliche Akteure des politischen Islamismus in Stellung, die von den Verwerfungen der Weltordnung profitieren wollen – Akteure mit einer eigenen, radikalen Interpretation des Islam. Sie wollen weltweit eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der politischen, rechtlichen, sozialen und kulturellen Systeme spielen mit einem allumfassenden, totalitären Geltungsanspruch des islamischen Rechts für alle Bereiche von Staat, Recht und Gesellschaft. Sie sehen in einem hybriden Ansatz, der in Grauzonen des demokratischen Rechtsstaates ansetzen kann, ein Biotop islamistischer Möglichkeiten.

Man will die demokratische politische Ordnung so verändern, dass sie nach islamistischen, undemokratischen und antiliberalen Prinzipien neu geordnet wird. Das Kalifat und die Scharia lassen grüßen.

Im gerade erschienenen, englischsprachigen „Handbuch Politischer Islam in Europa“ führt Thomas Jäger aus: „Der politische Islam stellt die aufgeklärten demokratischen Staaten in vielerlei Hinsicht vor Herausforderungen. Er ist eine Herausforderung für den gesamten Staat und die Gesellschaft und muss mit landesweiten und gesellschaftsübergreifenden Maßnahmen beantwortet werden.

Um diese soziokulturelle Dimension zu verstehen und ihren Kräften zu widerstehen, bedarf es politischer Bildung, einer verteidigungsfähigen Demokratie und damit der Selbstorganisation des demokratischen Lebens. Es ist auch eine wichtige Aufgabe der Sicherheitsdienste, die verschiedenen Bedrohungen der westlichen liberalen Lebensweise im Auge zu behalten. Es ist wichtig zu wissen, dass zwar andere Akteure, wie rechtsextreme Gruppen, extremistische und intolerante Ansichten in Europa verbreiten, die meisten Muslime in Europa jedoch den politischen Islam nicht unterstützen.“

Eine Frage entlarvt jeden Islamisten

Im gleichen Handbuch bringt Bassam Tibi in seinem Beitrag auf den Punkt, woran man Islamisten erkennt: „Wenn Sie also wissen wollen, ob ein Muslim ein Islamist ist, fragen Sie ihn: „Ist der Islam für Sie ein Glaube oder eine Staatsordnung?“ Jeder Muslim, der antwortet, dass der Islam eine Staatsordnung ist, kann mit Sicherheit als Islamist betrachtet werden. ... Wenn Islamisten von al-hall al-Islami (islamische Lösung) sprechen, meinen sie nicht Demokratie, sondern eine Umgestaltung der bestehenden politischen Ordnung im Streben nach dem islamischen Scharia-Staat.“

Der abscheuliche Mordzug der Hamas in Israel im Oktober 2023 und der nachfolgende Gazakrieg haben in der islamistischen Szene einen riesigen Motivationsschub ausgelöst. Die Ambitionen der Attentäter und deren Mordlust sind groß. Aus Erfahrung wissen wir, die Welle kommt immer erst drei bis vier Jahre nach den auslösenden Ereignissen. Noch gibt es die Chance, vor die Welle zu kommen.

Nicht unsere muslimischen Mitbürger sind das Problem. Islamisten sind das Problem. Die große Mehrheit der Muslime in Deutschland und Europa unterstützt weder Terrorismus noch Gewalt und steht für eine maßvolle und friedliche Auslegung des Islam im Rahmen der demokratischen Rechtsordnung.

Wir brauchen eine enttabuisierte Diskussion

Übrigens ist auch unser deutscher Umgang mit Islamisten ein Problem. Wir brauchen endlich eine offene, enttabuisierte Diskussion. Bislang driften Debatten zum Islamismus mit großer Regelmäßigkeit in Richtung einer Selbstbezichtigung ab. Wer Islamismus, dessen Strippenzieher und deren Aktivitäten hinterfragt, landet blitzschnell beim Vorwurf, Islamfeindlichkeit zu schüren.

Begriffe wie Islamfeindlichkeit, Islamophobie, antimuslimischer Rassismus sind längst zu Kampfbegriffen der innenpolitischen Diskussion geworden. Und so gibt es heute keinen Mangel an Gremien und Initiativen, die sich der Bekämpfung von Islamophobie widmen und Kritik an Islamismus und problematischen Strukturen in muslimischen Communities, darunter Zwangsheiraten, Gewalt im Namen der Ehre und Clan-Kriminalität als antimuslimischen Rassismus diskreditieren. Die Arbeit des Expertenkreises „Politischer Islamismus“ im Bundesministerium des Innern und für Heimat hingegen wurde eingestellt.

Ein Nährboden für Islamisten?

Leider vergrößert die Migration den Nährboden für Islamisten. Die Ablehnung der Religionsfreiheit, grassierender Antisemitismus, die Ablehnung der Geschlechtergleichheit, die Ablehnung unserer liberalen Lebensweise durch viele Migranten sind Abholpunkte für eine Radikalisierung.

Die Ablehnung der Religionsfreiheit ist ein Merkmal des politischen Islam. Gerade in Staaten mit einem muslimischen Bevölkerungsanteil von über neunzig Prozent und einer traditionell wichtigen Rolle der Religion kann diese Weltanschauung Anklang finden, der dann auf die anderen, westlichen Staaten ausstrahlt.

Während in der westlichen Welt eine Tendenz zur Abkehr von Religionen besteht und von denjenigen, die versuchen, das Religiöse zu überwinden, oft die Gleichberechtigung agnostischer Weltanschauungen erwartet wird, schwappen in anderen Teilen der Welt Dynamiken des Religiösen lokal und transnational über. Dadurch eröffnen sie politischen Akteuren Handlungsspielräume, die auch vom politischen Islam genutzt werden. Damit aber wird es schwierig mit der Gleichheit der Religionen im säkularen Staat, der Gleichheit der Religionen vor der staatlichen Ordnung und der wechselseitigen Anerkennung ihrer Rechtfertigung.

In den letzten Jahren hat es in Europa eine Zunahme antisemitischer Vorfälle gegeben, von denen etliche dem politischen Islam zugeschrieben werden müssen. So können moderne Verschwörungstheorien über eine vermeintliche jüdische Vorherrschaft und Überlegenheit mit dem islamischen Antijudaismus des 7. Jahrhunderts in Verbindung gebracht und somit religiös gerechtfertigt werden.

Der politische Islam will traditionelle Rollen zwischen Frauen und Männern beibehalten

In seiner islamistischen Variante ist Antisemitismus nicht nur eine Gefahr für die innere Stabilität europäischer Staaten, wenn er dort eine große Zahl von Menschen erreicht, sondern auch, beispielsweise über die Konflikte in Afghanistan und Pakistan, eine Gefahr für den Weltfrieden. Mit der großen Zahl von Flüchtlingen nach Europa seit 2015 hat auch die Zahl der Menschen mit antisemitischen Einstellungen in Deutschland zugenommen, auch wenn umstritten ist, wie stark und in welcher diskursiven Auseinandersetzung mit anderen politischen Strömungen.

Die vom politischen Islam aktiv angestrebte Ungleichstellung der Geschlechter geht in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion häufig unter. In jeder der großen Religionen nehmen Frauen Rollen ein, die klar von denen der Männer getrennt sind. In allen Kirchen ist dieses Verhältnis bis heute umstritten. Am strengsten ist sie jedoch im Islam, weil sie dort mit Ordnungspolitik aufgeladen ist. Der politische Islam zielt darauf ab, traditionelle Rollen zwischen Frauen und Männern beizubehalten und sie entsprechend zu reproduzieren oder dort wieder einzuführen, wo sie derzeit nicht mehr gelten.

Auch die Taliban haben bei der Rückeroberung Afghanistans immer darauf abgezielt, die liberaleren Geschlechterbeziehungen der letzten zwei Jahrzehnte umzukehren und zu traditionelleren Formen zurückzukehren. Dies kann mit der Vorstellung verbunden sein, dass Frauen, die einen „unislamischen“ Lebensstil führen (wobei sich „unislamisch“ auf die Auslegung der Täter bezieht), die „Ehre“ der Familie verletzen und dafür bestraft werden müssen. Solche Handlungen werden auch in Deutschland begangen. Mehr als neunzig Prozent der „Ehrenmorde“ werden an Frauen verübt. Aber auch Männer können Opfer islamistischer Gewalt werden, etwa wenn sie bekannte außereheliche sexuelle Kontakte hatten oder homosexuell sind. Dies wird von Islamisten als „unislamisch“ angesehen.

Die islamistischen Strippenzieher

Wer sind die Strippenzieher? Unter den staatlichen Akteuren des politischen Islam beherrscht der Iran wie kein anderer das perfide Spiel über die Bande. Mit einem Netzwerk von Stellvertretern, darunter die Muslimbrüder, deren Tochterorganisation Hamas oder die Hisbollah, gelingt es ihm, nicht nur im Nahen Osten und weit darüber hinaus Terror und Instabilität zu säen. In Westeuropa fördert und unterstützt er den politischen Islamismus. Seit vielen Jahrzehnten etabliert er Institutionen im Westen, aus denen heraus er Gewalt gegen diejenigen anstiftet, die er als seine politischen Feinde betrachtet oder der Blasphemie beschuldigt. Die Ereignisse in Hamburg mit antisemitischen Demos und Aufrufen für ein Kalifat haben das grell beleuchtet.

Zu den Regierungen, die gemeinhin den politischen Islam unterstützen, zählt zum Beispiel auch die Türkei. Die regierende Partei AKP wird regelmäßig mit dem politischen Islam in Verbindung gebracht, insbesondere mit der Etablierung einer islamistischen Agenda in der Türkei. Zugleich soll sie verschiedene islamistische Gruppen im Nahen Osten unterstützen, darunter die Muslimbruderschaft und deren Tochterorganisation, die Hamas. Der Arm der AKP reicht bis nach Deutschland. Hier nutzt insbesondere die türkische Religionsbehörde Diyanet ihre Möglichkeiten zur Beeinflussung türkischer Gläubiger.

Europa ist für den IS eine wichtige Front für Angriffe auf Christen

Die Muslimbruderschaft ist die bedeutendste transnationale Organisation des politischen Islamismus. Sie fördert in Europa ihre islamistisch geprägten Werte und Zielsetzungen mit einem breiten Netzwerk von NGOs, Moscheen, Schulen, Lobbygruppen und anderen Einrichtungen. Diese üben sowohl innerhalb der muslimischen Gemeinschaften als auch gegenüber europäischen Entscheidungsträgern und der Zivilgesellschaft einen unverhältnismäßig großen Einfluss aus.

Salafistische Gruppen offerieren ein fundamentalistisches, puritanisches und radikales Angebot des Islam. Als eine Sprache der Revolte sind sie vergleichsweise leicht gegen den Westen zu nutzen. In Frankreich haben Islamisten dieses Zuschnitts bereits ganze Stadtviertel übernommen.

Und dann gibt es noch immer gewalttätige islamistische Gruppen, wie al-Qaida und den „Islamischen Staat“. Sie rekonstituieren sich derzeit trotz enormer Verluste und bleiben weiter entschlossen, all denen Gewalt und Leid zuzufügen, die nicht mit ihrer extremistischen Ideologie übereinstimmen. Europa ist hier eine wichtige Front für Angriffe auf Christen. Seit ein paar Jahren ist der „Islamische Staat – Provinz Khorasan“, ein Ableger aus Afghanistan, zunehmend aktiv. Er ist verantwortlich für den blutigen Anschlag auf eine Konzerthalle in Moskau im März , auf eine katholische Kirche in Istanbul im Januar sowie weitere Anschläge in Iran.

Eine relativ neue Gruppe sind Jugendliche. Deren Selbstradikalisierung beginnt auf TikTok oder Instagram. Im Kontext des Islamismus füttern sie die Jugendlichen in einer algorithmischen Spirale mit islamistischer Propaganda. Dort geraten diese dann in Gruppen, die sich gegenseitig Videos von Anschlägen schicken und sich an der Gewalt aufputschen.

Vor die Welle kommen

Wenn wir in den kommenden Jahren mit einer Welle islamistischer Anschläge rechnen müssen, gilt es vor die Welle zu kommen. Weder in sozialen Netzwerken noch beim Veranstaltungsschutz nutzen wir leistungsfähige und preiswerte Technologie in ausreichendem Maße. Insbesondere der Datenschutz behindert einen besseren Schutz für unsere Sicherheit. Es ist dringend notwendig, hier eine bessere Balance zwischen Freiheitsrechten und Schutz des Lebens zu finden. Für die Zukunft wird es wichtig, die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz, Medien, zivilen Behörden Geheimdiensten und Streitkräften so zu verbessern, dass Staats- und demokratiefeindliche Bestrebungen unverzüglich erkannt und unterbunden werden können.

Offensichtlich ist es Zeit für eine differenzierte, kritische und auch selbstkritische Debatte. Gerade die Trennung von Religion und Staat ist eine der wichtigen Errungenschaften der europäischen Geschichte. Wer diese grundlegende Trennung überwinden will, kämpft gegen die europäischen Grundwerte. Es wird wahrscheinlich ein viel größeres intellektuelles und ressourcenbasiertes Engagement der europäischen Regierungen erfordern als bisher, wenn das europäische Verständnis von Werten, Recht – einschließlich der Menschenrechte – und der liberalen Ordnung in einer zukünftigen Weltordnung überleben soll.