Gastbeitrag von WWF-Klimachefin Viviane Raddatz - In Baku entscheidet die Billionen-Dollar-Frage über das Schicksal der Menschheit
Der Klimawandel macht vor nationalen Grenzen nicht Halt. Stürme und Überflutungen gefährden weltweit Stabilität und Wohlergehen. Abschottung ist die falsche Reaktion. Die Welt muss auf der Klimakonferenz zu Ergebnissen kommen - und eine Menge Geld mobilisieren, schreibt Klima-Expertin Viviane Raddatz.
Der Wunsch nach Abgrenzung ist zurück – wenn er denn jemals ganz weg war. Das ist in einer Zeit voller Krisen zu einem gewissen Grad nachvollziehbar. Wen Ängste und Sorgen quälen, der möchte sich am liebsten zurückziehen und abschotten eben von all den Nachrichten, die die Ängste noch vertiefen.
Nur: Wer die Tür verschließt vor dem Sturm draußen, dem können dennoch die Fenster zerbersten. Und so ist Abgrenzung leider die falsche Reaktion auf die Krisen unserer Zeit – allen voran der Klimakrise. Stattdessen braucht es weit geöffnete Augen. Denn nur so kann man schließlich auch erkennen, wo die Lösungen liegen.
Und so soll dies ein Beitrag sein für einen klaren Blick auf die Tatsachen. Ein Beitrag für den nötigen Weitblick und die Chancen, die im Handeln liegen: Denn nur so lassen sich Sorgen nachhaltig minimieren. Ein Beitrag also auch gegen die Abgrenzung.
Vor der Klimakrise kann sich niemand verstecken
Warum also funktioniert das Abschotten bei der Klimakrise nicht? Weil die Folgen nicht an nationalen Grenzen Halt machen. Weil der oben bebilderte Sturm oder der nächste Starkregen mit Überflutung mein Haus eben auch verwüsten können, wenn ich die Wahrscheinlichkeit dafür lieber ignorieren würde.
Aber nicht nur das: Selbst, wenn der Sturm in weit entfernten Ländern tobt, so hat das doch direkte Auswirkungen auf die wirtschaftliche Stabilität auch bei uns- und umgekehrt. Der Markt ist international verflochten. Abschottung? Unmöglich!
Die große Chance der Klimakonferenz nutzen
Aber genau hier liegen auch große Chancen, insbesondere einer soliden Klimafinanzierung, die in diesem Jahr im Mittelpunkt der UN-Klimakonferenz COP29 im aserbaidschanischen Baku stehen wird.
Denn hier sollen sich die Länder auf ein neues Ziel für die internationale Klimafinanzierung einigen. Das sogenannte New Collective Quantified Goal (NCQG), das schon mit dem großen Pariser Klimaabkommen 2015 in Aussicht gestellt wurde, soll ab 2026 gelten und mehr oder weniger das bisherige 100-Milliarden-Versprechen ablösen.
Das bitte was? Das 100-Milliarden-Versprechen war die Zusage der reicheren Länder des globalen Nordens, den Ländern des globalen Südens zwischen 2020 und 2025 jedes Jahr insgesamt 100 Milliarden US-Dollars für die Klimafinanzierung zur Verfügung zu stellen.
Denn kurz gesagt: Die reichen Länder haben ihren Wohlstand auch der Tatsache zu verdanken, dass sie für ihr Wachstum viel Öl, Kohle und Gas verbrannt haben und damit die Klimakrise maßgeblich verursacht haben – während die Länder des globalen Südens nur wenig Anteil daran hatten, die Folgen aber besonders heftig zu spüren bekommen.
Offene Fragen bei der internationalen Klimafinanzierung
Leider schließen hier gleich mehrere Probleme an. Problem Nummer 1: Was zählt eigentlich als Klimafinanzierung und somit in dieses Versprechen ein? Denn es gibt aktuell noch keine einheitliche Definition dazu. Einige Fragen, die es dringend zu klären gilt: Sollen nur staatliche Mittel zählen oder auch private? Gilt nur das als Klimafinanzierung, was im globalen Süden ausgegeben wird oder z.B. auch die Maßnahmen vor der eigenen Haustür? Zählen Zuschüsse genauso wie Kredite und andere Beihilfen? Und sollen Maßnahmen zur CO2-Minderung genauso finanziert werden wie zur Anpassung an die Folgen der Klimakrise und für Schäden und Verluste?
Problem Nummer 2: Bei aller Rechnerei – auf die 100 Milliarden ist die Staatengemeinschaft wohl erst 2022 zum allerersten Mal gekommen. Und wie viel davon in Projekte mit wirklich effektivem Klimaschutzbezug geflossen ist, ist nochmal eine andere Frage.
Das Verfehlen des Versprechens für mehrere Jahre hat natürlich für Unmut gesorgt, was für die internationale Diplomatie, bei der es auf Vertrauen ankommt, nicht sonderlich zuträglich ist.
Was beim neuen Finanzierungsziel gelten sollte
Beim neuen Finanzierungsziel, dem NCQG, muss es also anders laufen (nachdem selbstverständlich auch die „Schulden“ bis 2025 beglichen werden). Was sollte das Ziel möglichst beinhalten, was würde als gutes Ergebnis der Klimakonferenz in Baku gelten?
Zuallererst sollten als Grundlage die tatsächlichen Bedarfe der Länder des globalen Südens dienen, denn diese hat auch das 100-Milliarden-Versprechen bislang nicht berücksichtigt. Die Spanne dafür, wie viel Geld nötig ist, geht in verschiedenen Studien auseinander. Aus NGO-Perspektive sollte das neue Finanzierungsziel bei mindestens einer Billion US-Dollar liegen.
Diese Summe sollte sich aus mehrheitlich öffentlichen Geldern speisen – mit transparentem Berichtswesen und idealerweise anhand einer einheitlichen Definition von Klimafinanzierung. Verbunden damit bräuchte es nahezu gleichwertige Unterziele zu Projekten für die Treibhausgasminderung, für die Anpassung an die Erderhitzung und die nicht vermeidbaren Schäden und Verluste. Und natürlich braucht es auch einen einfacheren Zugang zu den Mitteln mit transparenten Vergabemechanismen und größerer Planbarkeit.
Für uns als deutsche NGO geht der Blick natürlich auch Richtung Bundesregierung. Denn diese hat zuletzt Investitionen in den so dringenden Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise abgewürgt. Das ist kurzsichtig. Aktuell sind auch die bisher zugesagten sechs Milliarden Euro an internationaler Klimafinanzierung in 2024 und 2025 nicht sicher. Und eigentlich müsste diese Summe für das neue Ziel noch aufwachsen.
Deutschland muss endlich umweltschädlicher Subventionen loswerden
Dabei stünde das Geld zur Verfügung. Man müsste nur einmal ran an den unglaublich hohen Batzen an umwelt- und klimaschädlichen Subventionen, die jedes Jahr ausgegeben werden. In Deutschland belaufen die sich auf sagenhafte 67 Milliarden Euro jährlich. Diese schmutzigen Geldflüsse genau wie das verbissene Festhalten an der Schuldenbremse, obwohl selbst die Wirtschaftsweisen davon abraten, gefährden unser Wohlergehen.
Denn jetzt nicht zu investieren aus vermeintlichem Sparwillen wird uns sehr viel teurer zu stehen kommen, das haben zahlreiche Studien mittlerweile gezeigt. So hoch die Summen für den Klimaschutz auch erscheinen mögen: Sie können Gefahren abwenden. Die Kosten des Nichtstuns sind stets höher.
Womit wir wieder beim Thema Abschottung wären. Denn so verkümmern die Chancen des Zusammenarbeitens. Letztlich ist es so: Wenn mehr Wind- oder Solaranlagen in anderen Ländern gebaut werden, profitieren auch wir davon. Einmal, weil diese Anlagen zukunftsfähig sind und so zu einer stabilen Wirtschaft in diesen Ländern beitragen, was sich wiederum positiv auf die internationalen Wirtschaftsbeziehungen auswirkt. Und zum anderen, weil sie CO2 vermeiden. Und damit die Klimakrise auch bei uns abgemildert wird.
Gleiches gilt übrigens auch beim Erhalt der Biodiversität, für den es noch eigene UN-Konferenzen gibt, gerade erst in Kolumbien. Auch hier geht es ums liebe Geld und auch hier sind die Kosten des Nichts-tuns so viel höher als die nötigen Investitionen. Und auch hier ist Abgrenzung unmöglich. Denn wenn wir die Natur immer weiter übernutzen, kollabiert mit ihr auch unser aller Lebensgrundlage.
Genau aus diesen Gründen – und ja, diese sind natürlich Angst einflößend – müssen wir jetzt aktiv werden, statt uns wegzuducken. Denn noch haben wir es in der Hand, die nötige Wende herbeizuführen. Möglich ist sie allemal: Wenn wir zusammenarbeiten, statt auf die falschen Versprechen der Abschottung hereinzufallen.