Gastbeitrag Gabor Steingart - Wie Trump das Ende der transatlantischen Freundschaft besiegelt

Allein der US-Bundesstaat Kalifornien ist kurz davor, Deutschland als fünftstärkste Wirtschaftsmacht der Welt zu überholen. Vier Gründe, warum der designierte US-Präsident Donald Trump nun zum Vollstrecker des Endes der transatlantischen Freundschaft wird.

Es helfen keine Beschönigungen mehr: Die transatlantische Freundschaft ist erkaltet. Europäer und Amerikaner sitzen noch im selben Boot, aber rudern nicht mehr in die gleiche Richtung. Ihre Beziehung ist gekennzeichnet von Apathie – und vielleicht ist schon das eine Beschönigung.

Von wo wir kommen: Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges haben Amerikaner und Europäer einander nur aus den Augenwinkeln betrachtet. Als Bismarck 1871 das Deutsche Reich gründete, bestanden die USA erst aus 37 der heutigen 50 Bundesstaaten. Als Bismarck 1890 abtrat, tobte im heutigen South Dakota der letzte große Indianerkrieg, der mit dem Massaker von Wounded Knee endete.

Als Hitler 1934 bereits die Arbeitslosenzahl von sechs Millionen auf drei Millionen halbiert hatte, kämpfte Amerika noch immer mit den Folgen der Great Depression. Die USA waren damals keine Weltmacht, sondern für viele ihrer Bewohner ein Elendsstaat. Überall standen die als „Hoovervilles“ (nach US-Präsident Herbert Hoover) benannten Wohnquartiere, in denen die Trostlosigkeit hauste und der Hunger herrschte.

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Wirtschaftswachstum dank Weltkrieg: Dann überfiel Hitler Polen, Dänemark, Norwegen, die Benelux-Länder, Frankreich, Griechenland, Jugoslawien und schließlich Stalins Russland. Kurz vor Weihnachten des Jahres 1941 erklärte er den USA den Krieg. Ein Jahr später erst landete die US-Armee in Afrika, um von dort nach Europa überzusetzen. Das lange Warten legte den Grundstein für die Weltsupermacht USA, auch wenn das der damaligen Führung des Landes so klar nicht gewesen ist.

 

Warum das wichtig ist: Nicht der Kriegseintritt, sondern der späte Kriegseintritt sicherte den USA bald darauf die entscheidende Machtposition. Europa lag am Boden, die USA konnten befreit aufspielen. Den Marines folgten die Investoren auf dem Fuße. In den USA kam es zur kraftvollsten Aufwärtsbewegung, die die Wirtschaftsgeschichte der Welt bis dahin erlebt hatte. Dem deutschen Wiederaufstieg ging ein amerikanisches Wirtschaftswunder voraus.

Der weltweite Kapitalmarkt entstand, dessen vornehmstes Ziel es war, die Staaten Westeuropas an die Wertschöpfungskreisläufe der USA anzuschließen. Zweistellige Milliardenbeträge flossen über den Atlantik, als Aufbauhilfe oder, präziser gesagt, als Anschlussgebühr. Der Westen steigerte seine Produktivität, der Osten seine Propaganda.

Moskaus Außenminister Molotow  nannte die Wirtschaftshilfe der USA „imperialistisch“. Der Filmemacher      Wim Wenders sprach – mit Blick auf die Dominanz der Hollywood-Studios – „von der „Kolonialisierung der Phantasie“. Beide hatten recht. Die USA waren der freundliche Hegemon.

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Die Kontinente heißen weiter Amerika und Europa, aber ökonomisch, politisch und kulturell hatte mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Kontinentaldrift eingesetzt. Ein Gebilde von außerordentlicher Anziehungskraft war entstanden, das wir seither „den Westen“ nennen. Das war die Geburtsstunde der „transatlantischen Freundschaft“.

Dieser Westen driftet erneut, aber diesmal auseinander.  Trump ist nicht der Initiator dieser Kontinentaldrift, nur ihr Vollstrecker. Vier Gründe sind maßgeblich für dieses stille Naturschauspiel.

#1 Neue Spielregeln: Die Umkehr der Handelsströme

Bis in die 70er-Jahre hinein glühte der produktive Kern der USA derart intensiv, dass er in alle Welt ausstrahlte. Die USA lieferten Dollar und Waren überall hin. Die Kernenergie des US-amerikanischen Imperiums half beim Wiederaufbau von Europa und Japan. Die Vereinigten Staaten waren der größte Nettoexporteur und der größte Kreditverleiher der Welt.

Diese über jeden Zweifel erhabenen USA gibt es nicht mehr. Die weltweiten Handelsströme haben ihre Laufrichtung verändert. Der größte Kreditverleiher wurde zum größten Schuldner der Welt. Und: Unter den zehn wichtigsten Handelspartnern der USA befindet sich nur noch ein EU-Mitglied: Deutschland.

#2 Neuer Rivale: China ersetzt Sowjetunion

Die Sowjetunion implodierte, und damit verlagerte sich auch die Aufmerksamkeitsökonomie von Europa nach Asien. Präsident Obama definierte die USA bereits 2011 (bei einer Rede vor dem australischen Parlament) als „pazifische Nation“. Trump hatte die politische Bühne noch nicht betreten, da war in Washington schon vom „Pivot to Asia“, dem strategischen „Schwenk nach Asien“ die Rede.

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In kürzester Zeit entstand zwischen Peking und Jangtse-Delta eine Exportwirtschaft, die nicht mehr nur Plastikspielzeug ausspuckt, sondern Elektro-Fahrzeuge, Mobiltelefone, Computer, Halbleiter und digitale Medienplattformen. Und die deutschen Konzerne mit ihren Joint Ventures in China China , das beobachtet man in Washington aufmerksam, betätigten sich nicht als Verteidiger westlicher Werte, sondern als Herrenausstatter der Chinesen. Ohne Volkswagen kein BYD. Ohne Siemens kein Huawei.

#3 Neuer Partner: Putin wird gebraucht

Das letzte, was die USA gebrauchen können, ist eine neue Erbfeindschaft mit Russland. Als Joe Biden vor dem Warschauer Schloss die Parole ausgab, Putin müsse in die Knie gezwungen werden, folgte er seinem Herzen, nicht dem Verstand. Das geostrategische Interesse der Amerikaner ist heute ein anderes.

Das Ergebnis von Bidens Russlandpolitik ist zumindest aus US-Sicht fragwürdig: Putin und Xi Jinping wurden durch die Russland-Sanktionen und den Ausschluss Russlands vom westlichen Zahlungsverkehrssystem Swift zur Allianz gezwungen. Zusammen mit den anderen Brics-Staaten entstand ein anti-amerikanischer Block. Trump will diese Allianz wieder sprengen und wäre dafür auch bereit, Putin vom Paria zum Partner zu machen. Gebietsabtretungen der Ukraine wären sein Eintrittsgeld.

 

#4 Neue Digitalökonomie: Silicon Valley vs. EU

Die USA hängen heute nicht mehr davon ab, dass die Europäer Coca-Cola trinken, den Big Mac von McDonald’s bestellen und Ford Mustang fahren. Das neue Kraftzentrum der USA ist die Digitalwirtschaft des Silicon Valley mit Meta, Alphabet, Open AI, Amazon, Apple, Netflix, Nvidia und dem Elektro-Pioneer Tesla.

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Im Silicon Valley ist – anders als in Europa – ein neuer feuerrot glühender Energiekern entstanden, der die USA als ökonomische Weltmacht des 21. Jahrhunderts positioniert. Der Bundesstaat Kalifornien (39 Millionen Einwohner) wird in Kürze das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik (83 Millionen Einwohner) überholt haben. Schon heute befindet sich Kalifornien, als eigenständiger Staat betrachtet, hinter den USA, China, Japan und (noch) der Bundesrepublik auf Platz 5 der weltgrößten Volkswirtschaften.

Das bedeutet: Trump braucht das Silicon Valley mehr als Deutschland. Bei der Durchsetzung der neuen Spielregeln des Datenkapitalismus aber ist Europa hinderlich. Digitale Rückständigkeit übersetzt sich in Brüssel und London in eine politische Abwehrhaltung, wo man durch Regulierung und Verbote die Digitalisierung zu bremsen versucht.