Gastkommentar - Ex-DSDS-Juror Thomas Stein: Lindenberg-Zensur ist „an Idiotie nicht zu überbieten“

Thomas M. Stein (l) kritisiert die Zensur des Songs "Sonderzug nach Pankow" von Udo Lindenberg (r).
Thomas M. Stein (l) kritisiert die Zensur des Songs "Sonderzug nach Pankow" von Udo Lindenberg (r).

Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ war ein ironischer Hit, der das Staatsoberhaupt der DDR aufs Korn nahm. Doch nun, 40 Jahre später, soll das Wort „Oberindianer“ aus dem Lied gestrichen werden. Ein Beispiel für den absurden Zensurwahn unserer Zeit, meint unser Gastautor.

Udo Lindenbergs Song „Sonderzug nach Pankow“ von 1983 ist und war ein Hit. Heute, über 40 Jahre später, kam man nun auf die Idee, das Lied wegen des Wortes „Oberindianer“ zu zensieren. Die Stiftung Humboldt Forum teilte mit, dass eine offene Diskussion mit den Chören und der künstlerischen Leitung zu einer Zensur des Klassikers geführt habe. Welch Irrsinn.

Als Udo Lindenberg „Sonderzug nach Pankow“ geschrieben hat und die Menschen den Song das erste Mal hörten, hat sich nahezu jeder vor Lachen auf die Schenkel geklatscht. Man staunte, wie elegant man einen Missstand formulieren konnte.

Udo Lindenberg hat es geschafft, ironisch das DDR-Staatsoberhaupt auf den Arm zu nehmen

Weltweit haben sich TV-Anstalten, Rundfunk und die schreibende Presse vor Begeisterung überschlagen. Udo Lindenberg hatte es geschafft, ironisch das Staatsoberhaupt der DDR auf den Arm zu nehmen. Zu aller Überraschung überwand der „Oberindianer“ sein Image und ließ sich veräppeln. Einer, dem man es nicht zugetraut hatte, dreht den Spieß um.

Alle hatten gewonnen.

 

40 Jahre später verbraten wir Zeit und Geld, um diese gebräuchliche Formulierung auf den Index zu setzen. Wenn man das zu Ende denkt, müssten bei Spotify, Apple und vielen Streaming-Dienstleistern jetzt etwa 80 bis 100 Millionen Songtitel auf Textsicherheit geprüft werden. Soll das wirklich das Ziel sein?

Lindenberg-Zensur: Spielen wir das bis zum Ende durch, können wir Spotify und Co. abschalten.

Dann sollte beispielsweise das Lied „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ von Golden Gate Quartett, das auch das Bundeswehrorchester zum Besten gibt, oder Hans Albers „Das Lied von vom Nigger Jim“ und viele andere Texte längst in der Tonne gelandet sein. Und mittlerweile gibt es weitaus schlimmere Texte. Spielen wir das bis zum Ende durch, können wir Spotify und Co. abschalten.

Für mich bleibt heute die Frage, wo wollen wir als Gesellschaft hin? Wir haben in fast allen Bereichen Defizite bei den „Oberindianern“, sei es in der Politik oder der Wirtschaft, oder im Selbstbewusstsein.

„An Idiotie kaum zu überbieten“

Und jetzt wirft man jahrelang gepflegten und gehegten nationalen Helden - wie unter anderem auch Thomas Gottschalk nach seiner Buchveröffentlichung - vor, gesellschaftlich untauglich zu sein. Das ist für mich an Idiotie kaum zu überbieten.

Dieser Artikel entstand aus der Überlegung: Es ist alles schon gesagt, nur nicht von jedem. Demokratie heißt bei mir nicht, Kreativität zu verbrennen. Artikel 5 des Grundgesetzes sagt zudem: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.