Gastkommentar von Tilman Kuban - Anti-Auto-Ideologie macht unsere Wirtschaft kaputt und gefährdet die Demokratie

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, l) lässt sich bei einem Festakt zum Jubiläum 125 Jahre Fahrzeugbau bei Opel am Stammsitz des Autobauers in der Montagestraße von einem Opel-Mitarbeiter einen elektrischem Antrieb erklären.<span class="copyright">Andreas Arnold/dpa</span>
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, l) lässt sich bei einem Festakt zum Jubiläum 125 Jahre Fahrzeugbau bei Opel am Stammsitz des Autobauers in der Montagestraße von einem Opel-Mitarbeiter einen elektrischem Antrieb erklären.Andreas Arnold/dpa

Seit Jahrzehnten führen grüne und linke Politiker und Organisationen einen Feldzug gegen den Individualverkehr. Dass diese Strategie langfristig nicht ohne Auswirkungen bleiben würde, muss den Initiatoren von Beginn an klar gewesen sein. Sich nun über den Verlust von Industriearbeitsplätzen zu empören, ist daher mehr als scheinheilig.

Allein der Volkswagen-Konzern verzeichnet einen jährlichen Rückgang von etwa 500.000 verkauften Fahrzeugen pro Jahr in Europa. Dass dies zu Unterauslastungen in den VW-Werken und auch potenziell zu Stellenabbau führt, ist absehbar. In den vergangenen Jahren konnten die gut bezahlten Industriearbeitsplätze in Deutschland stets durch einen boomenden chinesischen Markt kompensiert werden. Die schlichte Wahrheit ist: Hohe Industrielöhne wurden bereits seit Jahren durch den Markt in China subventioniert.

Tilman Kuban am Rednerpult im Bundestag<span class="copyright">IMAGO/Future Image</span>
Tilman Kuban am Rednerpult im BundestagIMAGO/Future Image

Es geht um unseren größten Industriezweig

Doch müssen sich die Aufsichtsräte, Gewerkschafter und Manager die Frage gefallen lassen, welches langfristige Geschäftsmodell sie verfolgen wollen. Die komparativen Kostenvorteile Chinas in der Batterie- und Elektroautoproduktion sind unübersehbar. Will die deutsche Automobilindustrie also nicht den Weg der Stahlindustrie in Deutschland der vergangenen Jahrzehnte gehen - und damit einen erheblichen Abbau von Produktion und Arbeitsplätzen in Kauf nehmen - muss schnellstmöglich gegengesteuert werden.

Es ist der größte Industriezweig Deutschlands, es geht hier um weit mehr als um ein laues Lüftchen. Denn neben den Herstellern hängen unzählige Zulieferer, wie auch andere große Produzenten aus der Chemie- und Stahlindustrie, aber auch Handwerker vor Ort, an in Deutschland produzierten Autos. Es droht, ein Sturm über unser Land zu ziehen.

Technologieoffenheit und ein Ende des Absolutismus

In den vergangenen Jahren hat sich die deutsche Automobilindustrie aufgrund politischer Vorgaben aus Brüssel auf eine „All in electric“-Strategie festgelegt, um die Flottenziele zu erreichen. Dabei waren wir vor über 20 Jahren schon einmal Vorreiter auf dem Weg zum 1-Liter-Auto. Indem wir mit absolutistischem Blick und den damit einhergehenden Scheuklappen das Ziel der Klimaneutralität 2045 verfolgen, lassen wir die anderen Dimensionen unseres Wohlstands und gesellschaftlichen Miteinanders außer Acht. Es ist richtig und wichtig, dass wir unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten, aber richtig ist auch, dass die Zielvorgaben unter völlig anderen Vorzeichen getroffen wurden.

Wir wollten wenig Geld für unsere Verteidigungsfähigkeit ausgeben und konnten dafür staatliche Kaufprämien aus dem Haushalt anbieten. Wir setzten als Übergangsenergie auf günstiges Gas aus Russland, um die Produktion in Deutschland wettbewerbsfähig zu halten. Wir vertrauten auf den Absatzmarkt in China, um damit den Unternehmen die Liquidität für Investitionen in die Transformation zu geben. All dies steht seit nun mehr zweieinhalb Jahren auf dem Prüfstand, denn unsere Realität ist spätestens seit dem blutigen Überfall Russlands auf die Ukraine eine ganz Andere.

Politik muss Flottenziele drastisch entschärfen

Daher muss die Politik jetzt dringend gegensteuern und in einem ersten Schritt die Flottenziele drastisch entschärfen. Wer jetzt Strafzahlungen von über 15 Milliarden Euro für unsere Autobauer in Europa zulässt, schlägt den Nagel in den Sarg der wichtigsten europäischen Industrie und spielt den Chinesen in die Hände.

Hier ist jetzt auch die neue Führung der EU-Kommission gefragt, ihr Wahlversprechen einzuhalten, dass in dieser Legislaturperiode die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft im Fokus der Politik Europas steht. Denn ansonsten fragen sich die Wählerinnen und Wähler bei der nächsten Europawahl, wofür sie noch zur Wahl gehen sollen. Gleichzeitig muss sich das Europäische Parlament - allen voran die Christdemokraten  - selbstbewusst zeigen, die neue Kandidatin Teresa Ribera in die Pflicht nehmen oder zu Not nicht zu wählen, um ebenso diesem Versprechen zu folgen, eine dirigistische Klimaschutz-Politik 2.0 wie unter dem Ex-Kommissar Timmermanns zu verhindern. Christdemokraten, Liberale und alle Vernünftigen in Brüssel sind aufgefordert, gegen die Fortsetzung der bisherigen Politik zu stimmen und der Zeitenwende Taten folgen zu lassen.

Industrie als Fundament unserer Demokratie

Es geht hier um weit mehr als wirtschaftliche Kennzahlen. Es geht um den Erhalt unserer Demokratie. Denn verlieren immer mehr Menschen ihren gut bezahlten Industriearbeitsplatz, schwindet auch ihr Vertrauen in unseren Staat. Die Stabilität unseres Landes basiert auf der Existenzsicherung jedes Einzelnen. Dieses Gleichgewicht droht zu kippen, wenn immer mehr das Gefühl haben, die Politik arbeite aktiv gegen ihre Interessen. Angesichts des Arbeits- und Fachkräftemangels werden sie vielleicht einen neuen Job finden, aber nur selten einen so gut bezahlten. Ob diese Menschen dann weiterhin gewillt sind, für demokratische Parteien ihr Kreuz zu setzen, bezweifle ich.   Daher gilt es deutlich zu machen: Wir sind Industrieland. Wir wollen es bleiben und wir müssen es bleiben. Es ist höchste Zeit, dass die Politik etwas verändert.