Gauck zieht Ärger der Türkei auf sich

Bundespräsident Joachim Gauck am 23. April bei seiner Rede im Berliner Dom. Foto: Britta Pedersen

Knapp ein Jahr nach seiner Kritik an der Politik des jetzigen Staatsoberhaupts Recep Tayyip Erdogan hat sich Bundespräsident Joachim Gauck erneut den Ärger der Türkei zugezogen.

«Das türkische Volk wird dem deutschen Präsidenten Gauck seine Aussagen nicht vergessen und nicht verzeihen», erklärte das Außenministerium in Ankara am späten Freitagabend.

Auslöser der harschen Worte: Gauck hatte die Massaker im Osmanischen Reich an bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Ersten Weltkrieg am Donnerstagabend erstmals klar als Völkermord bezeichnet. Das Staatsoberhaupt setzte sich damit über Bedenken hinweg, diese Einordnung des damaligen Geschehens könnte die Beziehungen zur Türkei beschädigen. Die Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs lehnt die Bezeichnung Völkermord ab.

Die Regierung in Ankara reagierte entsprechend scharf auf Gaucks Worte: Dieser habe keine Befugnis, der türkischen Nation eine Schuld anzulasten, die den rechtlichen und historischen Fakten widerspreche, hieß es in der Mitteilung des Außenministeriums. Die Regierung warnte vor «langfristigen negativen Auswirkungen» auf das deutsch-türkische Verhältnis.

Es ist nicht das erste Mal, dass Gauck in Ankara in Ungnade fällt: Ende April 2014 hatte er bei einem Staatsbesuch in der Türkei der Regierung von Erdogan, der damals noch Ministerpräsident war, Demokratiedefizite vorgehalten.

Der Bundestag schloss sich am Freitag Gaucks Bewertung der Gräueltaten an den Armeniern an. «Das, was mitten im Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich stattgefunden hat, unter den Augen der Weltöffentlichkeit, war ein Völkermord», sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Redner aller Fraktionen teilten diese Einschätzung. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) meldeten sich nicht selbst zu Wort. Noch vor der Sommerpause will der Bundestag eine Erklärung zu den Gräueltaten verabschieden.

Die Massaker im Osmanischen Reich hatten am 24. April 1915 mit der Verhaftung Hunderter Intellektueller in Konstantinopel (Istanbul) begonnen. Im Kampf gegen das christliche Russland warf die osmanische Regierung den Armeniern vor, mit dem Feind zu paktieren. Nach Schätzungen kamen zwischen 200 000 und 1,5 Millionen Menschen ums Leben.

Die Südkaukasusrepublik Armenien gedachte am Freitag gemeinsam mit Kremlchef Wladimir Putin und dem französischen Präsidenten François Hollande der Taten. Die Parlamente in Paris und Moskau erkennen den Genozid an den Armeniern an, insgesamt verabschiedeten etwa ein Dutzend Staaten entsprechende Resolutionen. Das österreichische Parlament hatte am Dienstag in einer gemeinsamen Erklärung aller Fraktionen die Massaker als Völkermord bezeichnet. Die türkische Regierung beorderte daraufhin ihren Botschafter in Wien zu Beratungen nach Ankara zurück.

Erdogan sprach den Nachfahren der Opfer sein Beileid aus. Im Zusammenhang mit den Massakern sprach er von «traurigen Ereignissen». Die Bundesregierung rief die Türkei und Armenien zur Versöhnung auf. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, Deutschland wolle beide Seiten bei der Annäherung unterstützen.

Als Gauck im April 2014 für Empörung in Ankara gesorgt hatte, sprach er von einer «Gefährdung der Demokratie» in der Türkei. Er warnte vor Einschränkungen bei der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Presse- und Meinungsfreiheit. Er hatte hinzugefügt, seine Bemerkungen sollten als Rat verstanden werden.

Erdogan wies dies damals als «Einmischung in innere Angelegenheiten» zurück. Der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge sagte er, die Deutschen sollten lieber die NSU-Terrorserie und Anschläge auf Türken aufklären, als seiner Regierung Ratschläge zu geben. Gauck erwiderte damals noch in der Türkei, er sei in seiner Kritik «eher noch zurückhaltend gewesen».

Website zum Genozid-Gedenken