Wie geht es mit der deutschen Regierung weiter?

Fast 20 Jahre ist es her, seit ein deutscher Bundeskanzler die Vertrauensfrage gestellt hat.

Am 16. Dezember wird Bundeskanzler Olaf Scholz die Mitglieder des Bundestages bitten, darüber abzustimmen, ob sie ihn noch unterstützen. Es wird allgemein erwartet, dass Scholz die Abstimmung verliert. In einem nächsten Schritt wird der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Parlament in weniger als drei Wochen auflösen und den Weg für die vorgezogenen Neuwahlen am 23. Februar ebnen.

Warum wird die Abstimmung jetzt durchgeführt?

Nur wenige Stunden nachdem Donald Trump zum zweiten Mal zum US-Präsidenten gewählt wurde, brach die deutsche Regierung zusammen. Scholz entließ Finanzminister Christian Lindner. Die anschließende Pressekonferenz war, überraschend für die Bevölkerung, von Emotionen geprägt.

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Seitdem kam ans Licht dass Lindners Partei, die FDP, den Bruch der Koalition geplant hatte. Aber der Schuss ging laut Experten möglicherweise nach hinten los: Trotz der Bemühungen der FDP um vorgezogene Neuwahlen (mit dem Ziel, wieder mehr an Popularität zu gewinnen) ist zu befürchten, dass die Partei die für den Einzug ins Parlament erforderliche 5 Prozent-Hürde nicht erreichen wird.

Nach Ansicht des Politikprofessors Dr. Hajo Funke ist die FDP der größte Verlierer der Vertrauensfrage:

„Die SPD und die Grünen scheinen vom Ende der Koalition zu profitieren und SPD-Chef Olaf Scholz fühlt sich durch die Auflösung der Koalition befreit“, sagt er.

"Es gibt wieder eine Debatte darüber, ob ein Waffenstillstand in der Ukraine möglich ist. Scholz sieht dies als Vorteil, zumal Grüne und CDU Eskalationsstrategien unterstützt haben, die von vielen in der Öffentlichkeit nicht mehr befürwortet werden.

Zweitens geht es um die Wirtschaftskrise und unterschiedliche Ansätze zu ihrer Bewältigung. Die CDU zögert, die „Schuldenbremse“ anzupassen, obwohl Ökonomen eine Reform für notwendig halten. Scholz' SPD hat in dieser Frage eine klarere Haltung als die CDU und die Grünen, die uneins zu sein scheinen. Und schließlich fallen soziale Themen wie die Bezahlbarkeit von Wohnraum (z.B. Mietobergrenzen) nun in den Zuständigkeitsbereich der SPD, ohne dass sich die FDP einmischt“, so Funke weiter.

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Doch was genau steht bei den Neuwahlen auf dem Spiel?

Da die deutsche Wirtschaft weiterhin stagniert und große Unternehmen wie Volkswagen, ThyssenKrupp und Bosch den Abbau von Zehntausenden von Arbeitsplätzen planen sowie sich die Märkte, Elektromobilität eingeschlossen, mehr und mehr nach Asien verlagern, besteht die Gefahr, dass politische Instabilität die Erholung der Wirtschaft bremst.

Funke sagt, dass die politischen Parteien den Druck spüren.

„Angesichts der schweren Krisen in der Automobil- und Stahlindustrie sowie bei den Zulieferern und der im Vergleich zu anderen Ländern außerordentlich geringen Wachstumsaussichten besteht ein erheblicher Druck, bestimmte Maßnahmen noch vor den Wahlen in zweieinhalb Monaten umzusetzen“.

Funke sagte Euronews, dass eine spaltende Politik die Wähler beeinflussen könnte.

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„Zu diesen Maßnahmen gehören der Abbau der als ungerecht empfundenen 'kalten Progression', die Mietpreiskontrolle und die Sicherstellung der Finanzierung der Ukraine-Unterstützung, insbesondere im Zusammenhang mit der Taurus-Entscheidung. Dies sind alles sehr umstrittene Punkte, die sowohl vor als auch während des Wahlkampfes eine entscheidende Rolle spielen werden“, so Prof. Funke.

Obwohl Scholz' Sozialdemokraten (SPD) und die Grünen keine Mehrheit mehr haben, bemühen sie sich, bei diesen wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen mit den Konservativen (CDU) zu kooperieren. Die CDU liegt derzeit in den Umfragen vorn.

„Die CDU befindet sich jedoch in einem taktischen Dilemma: Wenn sie nicht handelt, riskiert sie, sozial und wirtschaftlich desinteressiert zu erscheinen, was ihren Interessen nicht dienlich wäre. Andererseits riskiert sie, das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Partei zu untergraben, wenn sie die Dinge jetzt falsch anpackt. Daher werden wahrscheinlich einige Kompromisse gemacht werden“, fügt Funke hinzu.

Was ist das wahrscheinlichste Ergebnis?

Funke hält zwei Szenarien für sehr wahrscheinlich.

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„Eine Koalition zwischen der CDU und den Grünen oder zwischen der CDU und der SPD. Die SPD hofft immer noch, dass sie so viele Stimmen wie die CDU bekommt, aber das scheint im Moment nicht wahrscheinlich zu sein. Dies sind die wahrscheinlichsten Koalitionsoptionen.“

„Angesichts des Chaos der derzeitigen Koalition [Ampel] wird jede neue Koalition, unabhängig davon, wie lange die Verhandlungen dauern, nach Stabilität streben. Der Druck, eine effiziente, sozial sensible und friedensorientierte Regierung zu bilden, ist immens. Diese Dringlichkeit wird die Wähler beeinflussen, von denen viele noch unentschlossen sind [etwa ein Drittel]. Die politische Landschaft ist jedoch sehr unbeständig, was diesen Wahlzyklus besonders unberechenbar macht.

„Die drei Kernthemen - wirtschaftliches Krisenmanagement, soziale Gerechtigkeit und Krieg/Frieden - werden den Wahlkampf dominieren“, so Funke abschließend.