Gelöste Cold Cases: Die Hoffnung stirbt nicht
Ungelöste Kriminalfälle beschäftigen Angehörige und Polizei über viele Jahre hinweg. Doch mancher "Cold Case", der schon zu den Akten gelegt wurde, wird am Ende doch aufgeklärt.
Wie auch beim Verschwinden von Frauke Liebs geschah es auf dem Weg nachhause. Heike Wunderlich, 18, stieg am 9. April 1987 gegen 21:45 Uhr in Plauen auf ihr Moped, eine Freundin bemerkte noch, dass der Zünder muckte. Das war der letzte Moment, an dem man Heike Wunderlich lebend sah. Einen Tag später wurde ihre Leiche im Wald gefunden, erdrosselt. Eine Ermittlungsarbeit begann, die erst 30 Jahre später zum Täter führen sollte.
Mord und Totschlag sind riskante Angelegenheiten. Die Aufklärungsquote liegt bei 94 Prozent, nur Veruntreuung, Hehlerei und Geldwäsche kommt die Polizei noch häufiger auf die Spur. Wenn ein Mensch stirbt, bleibt nicht nur sein Leben stehen, sondern dann hält vieles inne. Es ist die schlimmste Straftat. Mord verjährt nicht. Und damit auch nicht das Interesse, der Auftrag, ihn stets aufzuklären; dabei geht es nicht nur darum, einen Täter zu verurteilen, sondern auch den Hinterbliebenen Klarheit zu verschaffen, eine bessere Chance auf Bewältigung ihres Verlusts.
Fortschritte bei der DNA-Analyse
Die Mutter von Heike Wunderlich musste darauf lange warten. Sofort hatten Ermittlungen im Umfeld begonnen, zogen immer weitere Kreise, 800 Leute wurden befragt. Doch es ergab sich keine Spur. Die Kriminalpolizisten schöpften 13 Jahre später neue Hoffnung, weil die DNA-Forschung Sprünge gemacht hatte; doch die Überprüfung aller Beweisstücke erbrachte wieder nichts. Dann, wiederum 15 Jahre später, schickte die Kripo erneut alle Spuren zum Laborcheck. Und endlich fand man Reste einer Hautschuppe am Mordwerkzeug – einem Büstenhalter. Damit ließ sich das Erbgut entschlüsseln. Ein Datenabgleich mit dem Bundeskriminalamt gab den entscheidenden Hinweis auf einen Arbeiter, der damals in der Nähe wohnte; mit Vorstrafen, eine davon wegen sexueller Nötigung. Da er jedoch auch mit Vorwürfen der Republikflucht zu tun hatte, hatte die Stasi seine Akte vor der Polizei zurückgehalten. Das Labor konnte sogar nachweisen, dass die Hautschuppe nur beim Zuziehen des Büstenhalters an ihre Fundstelle gelangt sein konnte. Die Verurteilung kam 2016, spät, aber sie kam.
Oder der Fall der verschwundenen Georgine Krüger aus Berlin: Die 14-Jährige verschwand am 25. September 2006 tagsüber auf dem Weg nachhause. An der Bushaltestelle in Wohnnähe war sie noch gesehen worden. Rasch stieg die Kripo in die Vermisstensache ein. Man ortete ihr Handy und ermittelte die Funkzelle, in der es letztlich ausgemacht worden war. Hunderte Dachböden wurden in Augenschein genommen, ohne Ergebnis. Freunde, Bekannte, Verwandte oder Sexualstraftäter der Umgebung – alle wurden befragt; Georgine blieb verschwunden.
Täter nach 14 Jahren überführt
Kriminalkommissar Thomas Ruf ging im Lauf der Jahre immer wieder die Akten durch, suchte nach anderen Ansätzen. "Wenn alles im Sande verläuft", sagte er einmal dem ZDF, "hat man Scham: Schon wieder nicht geklappt". Dann kam Ruf auf die Idee, alle männlichen Bewohner der Straße durchzugehen – und erfuhr, dass einer von ihnen mittlerweile ein Sexualdelikt begangen hatte. Ein Ansatzpunkt? Langsam tastete sich die Polizei mittels einer Überprüfung seines Umfelds an ihn heran, ihr fiel auf: Öfter gab es Ansprachen junger Frauen. Dies begründete den Anfangsverdacht für neue Ermittlungsmaßnahmen. Drei verdeckte Ermittler erwarben sich binnen eines Jahres sein Vertrauen, gaben ihm schließlich einen Mordauftrag. Und er prahlte, sowas habe er schon mal gemacht, erzählte den Ermittlern genau vom Mord am Mädchen; 2020 wurde er zu lebenslanger Gefängnisstrafe verurteilt.
Der Fall der Lolita Brieger schließlich weißt gewisse Ähnlichkeiten zum Fall Frauke Liebs auf. 1982 verschwand die junge Frau im Kreis Euskirchen. Sofort begann eine großangelegte Suche, sämtliche persönlichen Kontakte wurden analysiert. Doch die Polizei fand keinen Anhaltspunkt. 20 Jahre später ging Kriminalhauptkommissar Wolfgang Schu routinemäßig die Akten ungelöster Fälle durch, suchte neue Fragestellungen und überprüfte, ob neue technische Möglichkeiten angewandt werden könnten. Da Mordfälle nicht selten Mitwisser haben, kam ihm eine Idee.
Stern Crime-Interview mit Frauke Liebs Schwester
Mitwisser müssen keine Strafe befürchten
In der Fernsehsendung "Aktenzeichen XY" brachte er den Leuten in der Eifel den Fall in Erinnerung. Sein Kalkül: Vielleicht melden sich Zeugen, wenn ihnen klargemacht wird, dass Mitwisserschaft wegen Verjährung nun straffrei wäre? Und er wandte sich im Fernsehen direkt an den Täter: "Wenn Sie zuschauen, bedenken Sie doch bitte auch die unerträgliche Situation für die Angehörigen von Lolita Brieger, insbesondere für die fast 80-jährige Mutter, die nun endlich, nach fast 29 Jahren, wissen will, was ihrer Tochter zugestoßen ist." Dann meldete sich tatsächlich jemand. Ein ehemaliger Freund des damaligen Freundes der Frau, er erzählte, wie sich dieser ihm damals offenbart und um Hilfe gebeten habe, um die Leiche wegzuschaffen. Ihre Leiche wurde dann gefunden. Im Strafprozess wurde der Täter zwar freigesprochen, da ihm keine Mordmerkmale nachgewiesen werden konnten. Aber er wurde für ihren Tod verantwortlich erklärt, für Totschlag verurteilt, der indes schon verjährt war. Dennoch: Zu wissen, was geschehen war, war für die Angehörigen eine Erleichterung.
Diese Beispiele zeigen: Auch Fälle, die über viele Jahre hinweg in einer ermittlungspolitischen Sackgasse gelandet waren, können gelöst werden. Denn einen Täter gibt es ja, das gilt auch im Fall von Frauke Liebs.