Auch Gerichte betroffen - Riesen-Störung legt Justiz in NRW lahm: „Wir sind zurück in der Steinzeit“
Am Freitag kam es in Nordrhein-Westfalen zu einer Störung, die das gesamte Justizwesen zwischen Rhein und Weser lahmlegte. Keine Mails, kein Netz noch nicht einmal die Word-Datei funktionierte. Schuld soll ein „simpler Stromausfall“ gewesen sein.
Die Nachricht verhieß nichts Gutes. Per Mail teilte der zentrale IT-Dienstleister der Justiz (ITD) den Staatsanwälten und Gerichten in NRW am Freitagmorgen mit, dass es eine Störung im Geschäftsbetrieb des Landes gebe. Dauer nicht absehbar.
Wie FOCUS online erfuhr, ging das gesamte Justizwesen zwischen Rhein und Weser den ganzen Tag offline. Die digitale Rechtspflege stand still. Die PCs waren in allen Justizbehörden quasi nicht mehr nutzbar.
Keine Mails, kein Netz noch nicht einmal die Word-Datei funktionierte. Ermittlungsvorgänge konnten nicht angeklickt werden. Das Gros der 42.000 Justizmitarbeiter in NRW musste wieder seinen Kuli hervorholen, um Fallakten in Papierform zu bearbeiten. Selbst das Landesjustizministerium soll betroffen gewesen sein.
„Justiz ist auf dem Weg ins das digitale Zeitalter“
Laut Philipp Prietze, Sprecher des Oberlandesgericht Köln, in dem der landesweite IT-Dienstleister angesiedelt ist, hängt das Desaster mit einem nächtlichen Stromausfall im zentralen Rechenzentrum in Münster zusammen. Derzeit prüfe man, ob bei den Servern Schäden aufgetreten seien. „Danach wird das System wieder hochgefahren“, erklärte Prietze. Dies gelang allerdings erst am späten Freitagabend.
2016 hatte die damalige rot-grüne Landesregierung das Rechenzentrum in Betrieb genommen. Vollmundig hatte der Justizstaatssekretär Karl-Heinz Krems (SPD) gab seinerzeit den Startschuss für die technische Zentralisierung der Informationstechnik bei Gerichten und Staatsanwaltschaften.
„Die Justiz ist auf dem Weg in das digitale Zeitalter“, so Krems weiter. "Das justizeigene Rechenzentrum ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Einführung einer durchgehenden elektronischen Aktenbearbeitung bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften."
Offenbar haben die Regierenden seither nicht die Folgen einer digitalen Zentralisierung bedacht. Durch einen simplen Stromausfall lag der Justizapparat im bevölkerungsreichsten Bundesland lahm. FOCUS online hatte sich am Freitag bei etlichen Behörden zur aktuellen Lage umgehört.
„Ohne citrix geht gar nichts“
Allenthalben ging nicht viel. Ulrich Bremer, Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft, bestätigte, „dass die Arbeitsabläufe stark eingeschränkt sind“. In Düsseldorf, Bielefeld, Essen und Duisburg sah es ähnlich aus. „Wir sind wieder zurück in der Steinzeit“, schimpfte ein Justiz-Angestellter, der nicht genannt werden möchte.
Die Hauptursache liegt an der digitalen Umstellung der Betriebsabläufe. Das Schlüsselwort für den neuen Workflow in der NRW-Justiz heißt „citrix“. Diese IT-Plattform soll die Arbeit von Richtern, Staatsanwälten und Justizmitarbeitern erleichtern.
„Ohne citrix geht gar nichts“, erklärt eine Strafverfolgerin aus einer rheinischen Behörde. Sobald man den PC gestartet hat, öffnet sich diese zentrale Ebene. Der Zugang führt zu allen wichtigen Elementen der juristischen Fallbearbeitung.
E-Mail-Verkehr über Dienstrechner nicht möglich
Bei Staatsanwälten etwa zu Fallakten, Strafregisterauszügen, strafprozessualen Verfügungen bis hin zu Ermittlungsaufträgen an die Polizei nebst allen verfahrensrelevanten Dateien.
Auch findet sich dort ein Programm, das zahlreiche Vordrucke juristischer Formulare enthält – sei es von kurzen Anklagen, über Strafbefehle oder der Übersendung von Akten an andere Behörden. Auch der E-Mail-Verkehr sei über die Dienstrechner nicht möglich, berichtete die Strafverfolgerin.
„Fällt citrix aus, fällt beinahe alles aus“, so ihr Fazit. Und genau dies ist in der Nacht zum Freitag durch den Stromausfall des zentralen Justizrechenzentrums in Münster geschehen.
Oberverwaltungsgericht Münster beklagte ebenfalls eine „Großstörung“
Die Störungen betrafen auch die Gerichte. Zwar fielen in den großen Landesgerichten Köln und Düsseldorf keine Sitzungen aus. „Ansonsten aber ist der Geschäftsbetrieb schwer eingeschränkt“, hieß es. Das Oberverwaltungsgericht Münster beklagte ebenfalls eine „Großstörung“.
Ein Staatsanwalt aus dem Westfälischen konnte es nicht fassen, wie leicht die Justiz in den Offline-Modus geraten konnte. Von 2026 an sollen die Strafverfolgungsbehörden nur noch mit der sogenannte E-Akte arbeiten.
Kein Papier mehr, die Vorgänge verwalten sich nur noch per Mausklick ab. „Wie soll das gehen, wenn ein simpler Stromausfall im zentralen Rechenzentrum die gesamte Justiz schachmatt setzt?“
Zudem stellte der Beamte eine weitere brisante Frage: „Wie kann es sein, dass ein simpler Stromausfall eine solch diffizile Schnittstelle im Justizverwaltungsapparat lahm legt? Gab es keine Notstromaggregate?“ Derzeit ist die Ursache für den Stromausfall noch unklar.