„Geschenk für die dreckigen Schweine“ - Telegram-Chef holt jetzt ein alter Terroranschlag in Deutschland ein
Telegram-Gründer Pavel Durov muss sich in Frankreich dafür verantworten, dass über seine Plattform Terror und Kriminalität organisiert wird. Nun droht dem Unternehmer auch in Deutschland Ungemach. Ein Anwalt hat wegen des Breitscheidplatz-Attentats Anzeige gegen Durov erstattet.
Minuten vor seinem eigenen Tod bat der Terrorist um religiöse Hilfe. „Mein Bruder, ich bin jetzt im Wagen. Bete für mich, mein Bruder“, flehte der tunesische Asylbewerber Anis Amri seinen Instrukteur “Moumou" in Libyen über den Messenger-Dienst Telegram an. Dann drückte Amri, 24 Jahre alt, das Gaspedal durch.
Berlin am 19. Dezember 2016, kurz nach 20 Uhr. Hunderte Besucher bummelten über den hellerleuchteten Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz, direkt neben der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Der mit 25 Tonnen Baumaterial beladene gestohlene Lkw, dessen Fahrer Amri zuvor kaltblütig erschossen hatte, schoss durch ein paar Absperrgitter und raste direkt in die Menschenmenge. Die schockierende Bilanz: 13 Tote und 67 teils schwer Verletzte, die noch heute unter dem islamistisch motivierten Anschlag auf die deutsche Hauptstadt leiden.
Gewaltaufruf und Attentat-Koordination bei Telegram
Auch bei der Aufklärung von Anschlägen muslimischer Massenmörder in Paris (im Juli 2015 mit 130 Toten), Nizza (im Juni 2016 mit 86 Toten) oder St. Petersburg (im April 2017 mit 14 Toten) stellten Geheimdienste und Polizei im Nachhinein fest, dass die Attentate codiert über Telegram koordiniert worden waren.
Viel zu spät, die Toten vom Breitscheidplatz waren längst beerdigt, gelang es Experten, einen über Telegram verschlüsselten Gewaltaufruf vom 6. Dezember 2016 im Internet zu verifizieren, in dem es hieß: „"Weihnachten, Chanukka (Anmerkung der Redaktion: jüdische Feiertage) und Neujahr sind schon sehr bald. Also, Brüder, lasst uns ein Geschenk für die dreckigen Schweine und Affen vorbereiten!" Die Begriffe „Geschenk“ oder auch „Hochzeit“ galten zu der Zeit als Codewörter für islamistische Anschläge. So geschah es, acht Tage vor Heiligabend auf dem Breitscheidplatz.
Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft gegen Pavel Durov
Der Berliner Rechtsanwalt Andreas Schulz, der im In- und Ausland ein Dutzend Angehörige der Terroropfer juristisch vertritt, fordert nach langen Bemühungen jetzt von deutscher Seite harte Maßnahmen gegen Telegram und dessen Gründer Pavel Walerjewitsch Durov, 39 Jahre alt. Bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe erstattete Schulz kürzlich gegen den gebürtigen russischen Milliardär Durov eine Strafanzeige wegen Beihilfe zum Mord.
Schulz sagte zu FOCUS online: „Durov hat nichts unternommen, obwohl ihm nachweislich längst bekannt war, dass Terroristen wie Amri seinen Messenger-Dienst zur Planung und Ausführung von Anschlägen fürchterlichen Ausmaßes nutzen.“
Die Strafanzeige von Schulz kommt zur rechten Zeit. Denn: Vor knapp zwei Wochen verhaftete die französische Polizei Pavel Durov nach dessen Landung am Flughafen Le Bourget bei Paris. Die Vorwürfe gegen den smarten Telegram-Gründer wiegen schwer: Trotz beständiger Bitten der Sicherheitsbehörden um Kooperation bei der Verfolgung von Straftaten ließ es Durov zu, dass Terroristen, Drogenhändler, Kinderschänder, linke und rechte Extremisten, Geldwäscher und andere Verbrecher weiterhin seinen verschlüsselten Dienst nutzen.
Durov findet Privatsphäre wichtiger als Angst vor schlechten Dingen
Nahezu alle Terror-Gruppen wie der Islamische Staat, Hisbollah, Hamas oder al Quaida verständigen sich klandestin über Durovs Plattform. Dafür droht ihm in Frankreich eine Haftstrafe von zehn Jahren. Gegen Zahlung einer Kaution von fünf Millionen Euro ist Durov derzeit frei, darf das Land aber nicht verlassen und muss sich alle zwei Tage bei der Polizei melden.
Pavel Durov, der neben seinem russischen auch den französischen Pass besitzt, zeigte sich zu keiner Zeit kooperativ. Auf einer Konferenz 2017 Nizza, ein Jahr nach dem verheerenden Bombenanschlag auf der Corniche, wurde er gefragt: „Schlafen Sie nachts gut in dem Wissen, dass Terroristen ihre Plattform für Anschläge nutzen?“ Der Telegram-Boss antwortete: „Wissen Sie, das ist eine sehr gute Frage. Ich denke, dass letztlich Privatsphäre und das Recht auf Privatsphäre viel wichtiger sind als unsere Angst davor, dass schlechte Dinge passieren können.“
Die Öffentlichkeit war geschockt. Ein Proteststurm ging durch das Land, Durov blieb gleichwohl unbeirrt. Er prozessierte aber gegen Medien, die darüber berichteten, dass er als unverheirateter Mann Vater von fünf Kindern mit mehreren Frauen sei. Das jüngste Detail aus seinem Familienleben dürfte ihm ebenso nicht passen. Durov werden „schwere Gewalttaten“ gegen einen heute siebenjährigen Sohn vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Geheimdienste und Emirate mischen sich ein
Rechtsanwalt Schulz hofft, dass die Bundesanwaltschaft zügig über seine eingereichte Strafanzeige entscheidet. Denn in Geheimdienstkreisen wird spekuliert, dass Durov über konspirative Terrornetze auspacken und dafür von weiteren Ermittlungen verschont bleiben könnte.
Zudem haben sich die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), deren Staatsbürger Durov seit 2021 ist, eingemischt. Die Scheichs tadelten Frankreichs Haftbefehl und sollen hinter verschlossenen Türen einen Trumpf ausgespielt haben: Es geht um den Auftrag oder jetzt vielmehr um die Stornierung zum Bau von 80 Kampfflugzeugen aus französischer Produktion.