Werbung

"Gesprächskultur, die man in unserer Gesellschaft leider immer weniger findet"

Das Format schien längst von der Bildfläche verschwunden zu sein, doch jetzt kommt der Daily-Talk zurück ins deutsche Fernsehen: Marco Schreyl möchte mit seiner Talkshow wieder Gesprächskultur in den Nachmittag bringen. Doch passt das ins Jahr 2020?

Gemeinsam mit Oliver Geissen und Steffen Henssler ist er eines von drei prägenden Gesichtern des neuen RTL-Nachmittags: Marco Schreyl holt mit seinem Daily-Talk ein Format zurück ins Rampenlicht, das nach dem Hype der 90er-Jahre von den TV-Bildschirmen verschwand. Nach Stationen als Nachrichtensprecher, Sportmoderator, Quizmaster und als Moderator bei "Deutschland sucht den Superstar" war Schreyl zuletzt vor allem im Radio aktiv. In seiner nach ihm benannten RTL-Show (ab 10. Februar, montags bis freitags, 16 Uhr) wird sich der 46-Jährige mit prominenten und nicht-prominenten Gästen sowie ausgewiesenen Experten über gesellschaftsrelevante Themen unterhalten - von der Rentenversorgung bis zur Abzocke auf Dating-Portalen ist alles denkbar. Wo die Unterschiede zwischen Radio- und Fernsehtalk liegen und warum er sich kein Vorbild an den Talk-Mastern der 90-er nehmen kann, verrät Marco Schreyl im Interview.

teleschau: Es ist nicht mal mehr eine Woche bis zur ersten Sendung. Überwiegt die Vorfreude oder die Nervosität?

Marco Schreyl: Vorfreude empfinde ich in jedem Fall, denn ich weiß ja, was wir schon aufgezeichnet haben und was auf den Zuschauer zukommen wird. Aber es wäre vermessen, zu sagen, dass ich mit einem Ruhepuls unterwegs bin. Es startet eine gesamte RTL-Nachmittagsmannschaft, und da sollte jeder im Team gut gerüstet und schnell unterwegs sein. Das erwarte ich auch von mir selbst. Die Daytime ist ein hartes Geschäft. Da ist große Konkurrenz, wir senden in einer hohen Schlagzahl. Wir haben jetzt zehn Sendungen aufgezeichnet, die alle total verschieden sind. Wir probieren uns aus.

teleschau: Nach Nachrichtensprecher, Sportmoderator und "DSDS" nun eine tägliche Talkshow im Fernsehen. Was hat Sie an der neuen Aufgabe gereizt?

Schreyl: Die Grundaufgabe für unsere Sendung ist die Grundaufgabe des Journalismus: Fragen zu stellen, Antworten zu bekommen und Gespräche zu führen. Dies aus meinem Kernbusiness, dem Radio, vor die Kamera zu holen, ist eine tolle Aufgabe. Wir sprechen jeden Tag über Themen, die Familien, Freunde und Paare beschäftigen, die in der U-Bahn und am Küchentisch besprochen werden können. Das sind Themen mit Relevanz, die einen Großteil der Nation beschäftigen. Darüber am Nachmittag zu diskutieren, betrachte ich als große Herausforderung.

"Wir hatten in den 90-ern keine Social-Media-Kanäle"

teleschau: Sie erwähnten, dass Talk vor allem im Radio zu einem Hauptbestandteil ihrer Arbeit wurde. Glauben Sie, dass sich die Gespräche vor der Kamera anders entwickeln werden als im Radio-Studio?

Schreyl: Der Anspruch ist natürlich immer, ich selbst zu sein und Gespräche völlig unabhängig von der Situation zu führen. Ob es das Radiomikrofon gibt, oder ein Mikrofon und Kamera: Die Begleiterscheinungen unterscheiden sich, nicht die Art, Gespräche zu führen. Kann ich mich von hier nach dort bewegen, und sieht das die Kamera noch? Im Radio hat man wieder das andere Problem, dass die Frage: "Sieht das der Zuschauer?" generell mit Nein beantwortet werden und ich ihm die Situation beschreiben muss.

teleschau: Werden Sie zugunsten der Sendung beim Radio etwas kürzertreten?

Schreyl: Wenn man sich einmal in etwas verliebt hat und diese Liebe nicht abkühlt, dann versucht man alles, um diese Liebe drumherum zu basteln. So geht es mir. Radio ist mein täglicher Puls. Ich bin mit WDR2, Deutschlandfunk Kultur und dem Hessischen Rundfunk in einem wundervollen Gefüge. Dass jetzt dieses schöne Fernsehprojekt dazu kommt, das wir jeden Tag um 16 Uhr umsetzen, ist einfach eine tolle Fügung.

teleschau: Gibt es konkrete Gesprächs-Situationen, in denen Sie von Ihren Radio-Erfahrungen profitieren können?

Schreyl: Die Radio-Basis hilft sehr vor der Kamera. Es gibt zwei Situationen, die ich aus dem Radio kenne: Dort sprechen wir von den typischen 2:30-Minuten-Gesprächen, aber ich mache auch Zwei-Stunden-Talksendungen. Beide Situationen helfen je nach Anzahl und Art unserer Themen. Wenn Sie drei Themen in einer Stunde besprechen, muss die Schlagzahl eine andere sein. Dann muss man schneller zum Punkt kommen und gewisse Sachen weglassen. Wenn wir über das Mutterwerden mit Ende 50 reden, muss ich nichts großartig erklären. Jeder weiß, wie man Mutter wird, wie das Kind auf die Welt kommt, und viele wissen, wie schwer es ist, Mutter zu sein. Also steigen wir an einem anderen Punkt ein als bei der "Liebesfalle Internet". Dort müssen wir über die technischen Abläufe und Gefühle sprechen. Dann kommen wir auf ein Stundengespräch und dann brauchen wir Experten.

teleschau: Das Format der Nachmitags-Talkshow schien lange in der Versenkung verschwunden zu sein...

Schreyl: Ich möchte mir gar nicht erdreisten, darüber zu diskutieren. Die Kolleginnen und Kollegen damals in den 90-ern haben das sehr erfolgreich gemacht. Es war eine andere Zeit, es war auch eine andere Gesprächs- und Diskussionskultur. Es gab andere Rahmenbedingungen: Wir hatten in den 90-ern keine Social-Media-Kanäle. Das Fernsehen hatte eine ganz andere Stellung.

teleschau: Und heute?

Schreyl: Heute stehen wir auf, und der erste Blick geht auf das Handy, weil es uns womöglich schon geweckt hat. Dann können wir auch direkt checken, was es Neues bei Facebook, Instagram und Twitter gibt. Wir haben die Welt also schon in unserem Kopf, bevor wir Fernsehen, Radio oder Zeitungen benutzen. Dies gilt es, anzunehmen und darauf zu reagieren. Fernsehen sollte tiefgründigere und hintergründigere Informationen bieten. Außerdem gilt es, Emotionen zu vermitteln, die meines Erachtens auf Social-Media-Kanälen gar nicht so intensiv bedient werden können. Dann haben wir doch wunderbare Momente. Und diese Momente im Fernsehen zu erleben, ohne Ablenkung, das ist total schön.

teleschau: RTL hat eine lange Tradition im Talk-Bereich. Können Sie sich an Ihren Vorgängern, wie Hans Meiser, Ilona Christen oder Oliver Geissen ein Vorbild nehmen, oder verfolgen sie einen eigenen, moderneren Ansatz?

Schreyl: Mein Team und ich möchten in den Spiegel gucken können und für uns gute Arbeit machen. Das Team der Sendung "Marco Schreyl" bei Filmpool und bei RTL möchte Sendungen produzieren, die ins Jahr 2020 passen. Was die Kolleginnen und Kollegen in den 90-ern gemacht haben, war für diese Zeit genau richtig. Wir machen es jetzt so, wie wir es im Jahr 2020 richtig finden. Mir ein Vorbild an der Vergangenheit zu nehmen, wäre keine gute Idee. Wir leben in der heutigen Zeit.

teleschau: Wie stellen Sie sich die Gesprächs-Atmosphäre im neuen Studio vor?

Schreyl: Als eine Macher-Atmosphäre. Wir haben ein Live-Publikum, das interaktiv dabei sein kann. Wir werden Abstimmungen und Fragen aus dem Publikum haben. Das sorgt dafür, dass wir alle wach unterwegs sein müssen. Mir liegt sehr viel dran, dass wir auf Augenhöhe reden.

teleschau: Was heißt das?

Schreyl: Dass wir mit offenen Karten diskutieren und respektvoll Meinungen gelten lassen. In dieser Diskussion gilt es, das Gegenüber maximal von einer Meinung zu überzeugen. Bei uns wird es nicht laut, es werden keine bösen Worte durchs Studio fliegen, und das bekomme ich auch zurückgespiegelt. Mir ist aufgefallen, dass Menschen aus unserem Studio rausgegangen sind und weiter miteinander geredet haben. Das zeigt, dass wir eine Gesprächskultur hatten, die man in unserer Gesellschaft leider immer weniger findet. Es gibt so heftige Meinungen, die so selten zueinander finden. Eingeladen sind Prominente, Experten, Menschen, die etwas zu erzählen haben. Die mit einem Problem oder mit einer kontroversen Einstellung zu uns kommen. Keine Sendung wird sein, wie die andere.

"Das ist für mich Lebenshilfe"

teleschau: Lebt die Talkshow dann nicht auch ein Stück weit von der Initiative des Studio-Publikums? Erwarten Sie dort ein meinungsstarkes Klientel?

Schreyl: Ich würde gerne eine Schranke im Kopf öffnen. Ich möchte genau nicht, dass es ein Talkshow-Klientel gibt. Wir alle sind Talkshow-Klientel. Sie, ich und unsere Nachbarin haben eine Meinung zu bestimmten Themen. Alles, was anständig dargelegt und besprochen wird, ist legitim, so lange es nicht populistisch und radikal ist. Das sollten wir in unserer Gesellschaft lernen. Wir werden in meiner Sendung gesellschaftsrelevante Themen besprechen, Anstöße geben, Menschen nicht diffamieren. Wir hören zu, wir besprechen und ordnen ein. Wenn sich da jemand traut eine Frage zu stellen, wird er von mir gehört.

teleschau: Wie viele Gäste sind üblicherweise eingeladen?

Schreyl: In der Regel sind es mehr als sechs Gäste, darunter vier Experten oder Prominente. Manchmal unterhalten sich zwei, manchmal drei Leute mit verschiedenen Einstellungen zu einem Thema. Es kann aber auch sein, dass wir uns einem Thema in einem zwanzigminütigen Eins-Zu-Eins-Gespräch nähern. Auch diese Situationen haben wir.

teleschau: "Gesellschaftsrelevante Themen" sollen besprochen werden. Das ist ein weites Feld. Was verstehen Sie darunter?

Schreyl: Natürlich werden wir über Themen sprechen, die die Gesellschaft jeden Tag beschäftigt. Menschen zu warnen und zu schützen, ist wichtig für uns. Rentenversorgung wird ein Thema sein. Überhäufen wir unsere Kinder mit Geschenken? Das ist für mich ebenso Lebenshilfe, wie darüber zu reden, wie man mit der Volksdroge Alkohol umgeht.

"Ich habe den Film "Late Night" kürzlich im Flugzeug gesehen"

teleschau: Wöchentlich ist jeweils eine Livesendung zu einem tagesaktuellen Thema geplant. Wie kann man sich die Vorbereitung auf diese spezielle Sendung vorstellen?

Schreyl: Alles, was wir als Team vor dem Sendestart tun können, ist, zu antizipieren. Was könnte da auf uns zukommen? Das machen wir regelmäßig, immer wieder. Welche aktuellen Themen sind zielgruppenrelevant, passen in den RTL-Nachmittag und lassen sich tagesaktuell umsetzen? Wie wir mit dieser Live-Version umgehen, ist noch in der Arbeitsfindung.

teleschau: Also lässt man lieber Vorsicht walten, bevor ein Schnellschuss nicht sitzt?

Schreyl: Wir alle wissen doch, dass man manchmal am Tag danach intensiver über etwas reden kann, wenn man die passenden Gesprächspartner hat. Besser, als etwas zu versuchen, was nicht gelingt, nur weil man es ganz schnell macht. Wir sind da alle sehr bedacht und der Sender RTL hat eine jahrzehntelange Erfahrung mit Aktualität.

teleschau: Mit etwas Ausblick und unter Berücksichtigung Ihrer Talk-Affinität: Wäre denn eine Late-Night eine Option für Sie?

Schreyl: Jetzt konzentrieren wir uns erst mal auf die Daytime. Aber ich habe den Film "Late Night" kürzlich im Flugzeug gesehen und war von Emma Thompson als Late-Talkerin, die das über ein Vierteljahrhundert gemacht hat, sehr begeistert. Der Film hat mich noch einmal angespornt, immer das zu machen, wofür ich auch stehe und eine Frage zu stellen, die auch meine Frage ist. Ich glaube das ist auch der einzige Weg in diesem linearen Fernseh-Business: authentisch zu sein.