Westen fordert von Moskau Aufklärung des Giftanschlags

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat eine Beteiligung Russlands am Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal zurückgewiesen. Foto: Pavel Golovkin/AP
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat eine Beteiligung Russlands am Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal zurückgewiesen. Foto: Pavel Golovkin/AP

«Ein Übergriff gegen die Souveränität des Vereinigten Königreichs» - nach dem Giftanschlag in Großbritannien stellen sich Deutschland, Frankreich und die USA an die Seite Londons. Russland zeigt sich unbeeindruckt und kündigt «sehr bald» eine Antwort an.

Berlin/London/Moskau (dpa) - Deutschland, Frankreich und die USA haben sich nach dem Giftanschlags auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal hinter Großbritannien gestellt - und in ungewöhnlich scharfen Worten von Moskau Aufklärung verlangt.

«Es handelt sich um einen Übergriff gegen die Souveränität des Vereinigten Königreichs», befanden die Staats- und Regierungschefs aller vier Länder in einer gemeinsamen Erklärung. «Ein solches Vorgehen verletzt eindeutig die Bestimmungen des Chemiewaffenübereinkommens und das Völkerrecht. Es bedroht unser aller Sicherheit.»

Großbritannien habe seinen Partnern gegenüber im Detail dargelegt, dass Russland mit hoher Wahrscheinlichkeit die Verantwortung für den Anschlag trage. «Wir teilen die Einschätzung des Vereinigten Königreichs, dass es keine plausible alternative Erklärung gibt», schreiben Kanzlerin Angela Merkel (CDU), der französische Präsident Emmanuel Macron, US-Präsident Donald Trump und die britische Premierministerin Theresa May. Zudem stelle man fest, dass Russlands Weigerung, auf die berechtigten Fragen Londons einzugehen, «einen zusätzlichen Anhaltspunkt für seine Verantwortlichkeit ergibt».

Russland zeigt sich auch von der Solidarisierung von Frankreich, Deutschland und den USA unbeeindruckt und will schnell auf die britischen Sanktionen reagieren. Das Außenministerium und andere Behörden schlügen Schritte vor, die Entscheidung werde Präsident Wladimir Putin treffen, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Auch Außenminister Sergej Lawrow erklärte der Agentur Interfax zufolge, Russlands Antwort auf die Ausweisung russischer Diplomaten werde «sehr bald» folgen. Bevor diese öffentlich erklärt werde, wolle Moskau sie aber zunächst den Briten mitteilen. Eine Ausweisung britischer Diplomaten aus Russland gilt als eine wahrscheinliche Option. Russische Politiker hatten zuletzt immer wieder von einer «symmetrischen Antwort» gesprochen.

«Unsere Besorgnisse werden angesichts früherer Fälle verantwortungslosen russischen Verhaltens auf weiteren Feldern verstärkt», schreiben Merkel, Macron, Trump und May. Moskau wird aufgerufen, seiner Verantwortung als Mitglied des UN-Sicherheitsrates gerecht zu werden, den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit aufrecht zu erhalten. Alle Fragen, die mit dem Anschlag im britischen Salisbury verbunden seien, sollen von Russland beantwortet werden.

Auch die Nato hat keine Zweifel, dass Moskau für den in Großbritannien verübten Nervengift-Anschlag verantwortlich ist. Die Attacke entspreche dem rücksichtslosen Verhalten Russlands in den vergangenen Jahren, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Donnerstag in Brüssel. «Wir haben keinen Grund, die Ermittlungsergebnisse und Einschätzungen Großbritanniens infrage zu stellen.» Für den kommenden Montag kündigte Stoltenberg ein Treffen mit dem britischen Außenminister Boris Johnson an.

Die britische Regierung verdächtigt Russland, an einem Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter beteiligt gewesen zu sein. Beide befinden sich weiterhin in einem kritischen Zustand. Nach britischen Angaben wurden sie Opfer des Nervengifts Nowitschok, das in der früheren Sowjetunion entwickelt worden war. Daher glaubt London, dass Moskau hinter dem Attentat steckt.

Russland weist die Vorwürfe entschieden zurück, ließ zuletzt aber ein britisches Ultimatum zur Aufklärung der Herkunft des bei dem Anschlag nach Angaben Londons eingesetzten Nervengifts Nowitschok verstreichen. Das Gift wurde in der Sowjetunion entwickelt. Woher der bei dem Anschlag eingesetzte Stoff stammt, ist weiter unbekannt.

Wenige Tage vor der Wahl in Russland sprach sich die russische Präsidentschaftskandidatin Xenia Sobtschak für Sanktionen gegen die Eliten in ihrem Land aus. «Sollte Moskau hinter dem Nervengift-Anschlag stecken, sind neue Sanktionen des Westens unausweichlich», sagte die russische TV-Ikone der «Bild»-Zeitung (Donnerstag). Auch Konzerne wie die Energieriesen Rosneft oder Gazprom müssten ins Visier genommen werden.

Sobtschak ist die einzige Frau bei der Wahl an diesem Sonntag. Ihre Bewerbung gilt als chancenlos. Umfragen zufolge ist Putins Sieg sicher.

Die Sowjetunion hat unter der Bezeichnung Nowitschok (Neuling oder Anfänger) zwischen den 70er und den 90er Jahren eine Serie neuartiger Nervenkampfstoffe entwickelt.

Die rund 100 Varianten gehören zu den tödlichsten Nervenkampfstoffen, die jemals hergestellt wurden. Sie können über die Haut und die Atmung in den Körper gelangen. Als mögliches Gegenmittel kann etwa Atropin eingesetzt werden. Die englische Schreibweise der Kampfstoffe lautet Novichok.