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Gipfeltreffen in der ARD: So stellen sich die Parteichefs Europa vor

Die Europawahl steht an und die Parteichefs der Bundestags-Parteien daher in einer Reihe vor den beiden Moderatoren Tina Hassel (Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios) und BR-Chefredakteur Christian Nitsche. Foto: Screenshot / ARD
Die Europawahl steht an und die Parteichefs der Bundestags-Parteien daher in einer Reihe vor den beiden Moderatoren Tina Hassel (Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios) und BR-Chefredakteur Christian Nitsche. Foto: Screenshot / ARD

In den 90 Sende-Minuten geben die Parteichefs vornehmlich politische Floskeln von sich. Nur an wenigen Stellen werden sie konkret genug, um sich zu reiben. Da dreht es sich vor allem um die aktuelle Krise in Österreich. Um eine Orientierung in der Wahlentscheidung für das kommende Wochenende zu bieten, reicht es aber kaum.

Kurz vor Schluss des Gipfeltreffens blendet die ARD die Sprechzeiten der Kandidaten ein. Die sorgt für gleiche Redeanteile und damit eine gewisse Fairness. Sie zeigt aber etwas anderes: Zu diesem Zeitpunkt liegt Markus Söder etwa in der Mitte aller Kandidaten – er hat 5 Minuten und 46 Sekunden gesprochen. Knapp sechs Minuten also, die er Zeit hatte, um zu dem Skandal der Rechtspopulisten in Österreich Stellung zu beziehen, seine Vision eines sozialeren Europas zu skizzieren, den CSU-Klimaschutz zu erklären, Lösungen zu Flucht und Migration zu bieten und zuletzt seine persönliche Definition von Europa zu liefern.

Das ist schlicht zu wenig Zeit, um mehr zu liefern, als Wahlkampfparolen oder politische Plattitüden. Und so ist es nicht verwunderlich, dass in den 90 Sendeminuten keine Debatte aufkommt, sondern alle Parteivorsitzenden nur mit Schlagworten arbeiten. Und es ist nicht mal ihre Schuld, für Abwägung und Differenzierung ist kein Platz an diesem Abend.

Die Sendung zeigt in Großaufnahme, woran die politische Kommunikation – und damit auch die deutsche Politik insgesamt – krankt: Verkürzung und Vereinfachung, Schwarz-Weiß-Malerei. Wieso nicht, und das ist ernst gemeint, sieben Sendungen machen? Die jeweils 90 Minuten dauern und jeder Parteivorsitzenden und jedem Parteivorsitzenden die notwendige Zeit einräumt, um die Positionen der eigenen Partei zu erklären? Dann gut vorbereitet und kontrovers debattieren, um ein Bild von der Realisierbarkeit ihrer Pläne zu bekommen? Niemand davonkommen lassen, mit halbseidenen Parolen? Denn eine Orientierung für die Wahlentscheidung am kommenden Wochenende bieten die Aussagen der Kandidaten in der ARD-Wahlkampfarena kaum. Sie bestätigen höchstens Entscheidungen, die Wähler im Vorfeld getroffen haben, wenn keine einzige Position kritisch hinterfragt wird.

Um dem Geist der Sendung zu entsprechen, hier in aller Kürze eben jene Positionen der folgenden Parteivorsitzenden: Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Andrea Nahles (SPD), Jörg Meuthen (AfD), Christian Lindner (FDP), Annalena Baerbock (Grüne), Bernd Riexinger (Linke) und Markus Söder (CSU).

Bernd Riexinger, Andrea Nahles und Annalena Baerbock (v.l.n.r.) lassen sich hier gerade von Jörg Meuthen (nicht im Bild) vorwerfen, dass ihre "Organisationen, nichts mit Rechtsstaatlichkeit an der Backe haben". Interessante Ansicht, da die AfD erst vor kurzem wegen illegaler Parteispenden verurteilt wurde. Die illegalen Spenden sind zudem auch noch an Meuthen geflossen. Foto: Screenshot /ARD

Österreich und der Skandal

Der erste Themenblock des Abends, der Skandal der rechtspopulistischen FPÖ in Österreich, entlockt den meisten Kandidaten klare Kante: „Strache beweist, was in Rechtspopulisten in ganz Europa steckt“ (AKK), „nach dem Brexit der zweite Scherbenhaufen in Europa durch Rechtspopulisten“ (Lindner), „es unterstreicht, dass Rechtspopulisten die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kaputtmachen wollen“ (Baerbock), „mit Rechtspopulisten ist keine Regierungsarbeit möglich“ (Söder), „ich hoffe, das hat Auswirkungen auf alle Rechtspopulisten“ (Nahles).

Ausnahme sind mit der AfD die deutschen Rechtspopulisten, die wohl Sorge tragen, das verheerende Verhalten der FPÖ könnte auf sie zurückfallen. So wartet die Alternative mit einem Verhalten auf, für das sie sonst nicht bekannt ist: Meuthen möchte erstmal „vorsichtig analysieren“, bevor er ein Urteil abgibt. Fast schon witzig, ist es doch sonst die politische DNS der AfD, Probleme vereinfachend darzustellen und harte Urteile zu fällen. Und so spricht die AfD zunächst auch von einem „Pseudoskandal“ in Österreich, um sich dann aber tatsächliche lange gar nicht mehr zu äußern, vermutlich um eine gemeinsame Kommunikationsstrategie zu finden, um dann schließlich eine harte Grenze zwischen der AfD und der FPÖ zu ziehen: „Es ist ein innerösterreichisches Ereignis, das keine Rolle außerhalb des Landes spielt.“ Im Übrigen würden sich auch die anderen österreichischen Parteien so verhalten, sagt Meuthen noch, die FPÖ sei nur erwischt worden. Nur ein Opfer also.

Wie stellen sich die Parteien ein sozialeres Europa vor?

Lindner („muss in nationaler Verantwortung bleiben“), AKK („Lohnuntergrenze in jedem Land ja, aber keine einheitlichen“) und Söder („alles über einen Kamm scheren, macht keinen Sinn“) wollen keinen europäischen Mindestlohn, zumindest keinen in europäischer Verantwortung. Riexinger („brauchen wir dringend gegen Lohndumping“), Baerbock („einfache Formel, anhand der Wirtschaftskraft jedes Landes kann er bemessen werden“) und Nahles („europäischer Mindestlohn ist in ureigenem Interesse“) hingegen schon. Meuthen sieht in einer europäisch gelenkten Sozialpolitik den „Versuch, vom nationalen Versagen abzulenken“.

Annegret Kramp-Karrenbauer erklärt, wie sie sich ein sozialeres Europa vorstellt. Bernd Riexinger schaut. Foto: Screenshot / ARD
Annegret Kramp-Karrenbauer erklärt, wie sie sich ein sozialeres Europa vorstellt. Bernd Riexinger schaut. Foto: Screenshot / ARD

Zu einer Arbeitsagentur auf europäischer Ebene sind die Überzeugungen ähnlich verteilt. Lindner möchte keinen bürokratischen Überbau, sondern die Wettbewerbsfähigkeit und Bildungssysteme aller Länder stärken, dazu Freizügigkeit und Mobilität erleichtern. Meuthen möchte den Arbeitsmarkt „renationalisieren“, das könne von Brüssel aus nicht gehen. Für AKK sind Ursachen der Jugendarbeitslosigkeit zu unterschiedlich und zu komplex für eine einheitliche Lösung, man müsse bei Forschung und Innovation investieren. Baerbock möchte die Abgaben der profitierenden Länder erhöhen, dazu gehört auch Deutschland, um das Geld in eine „Daseinsvorsorge auf europäischer Ebene“ zu investieren. Nahles schlägt einen sozialen Rettungsschirm vor, der im Notfall finanzielle EU-Gelder vorsieht, damit Staaten in Not keine Löhne oder Arbeitsplätze kürzen müssten. Söder drängt auf eine Innovations-Union und nicht nur auf eine Sozial-Union. Riexinger möchte Vermögende und Reiche mit einer Steuer zur sozialen Verantwortung ziehen und im absoluten Notfall diese auch Enteignen. Aber vor allem plant er nachhaltigere Strukturpolitik für mehr soziale Gerechtigkeit insgesamt. Bisher habe man sich in Europa „niederkonkurriert und dereguliert“.

Klimaschutz – was soll das?

AKK verrennt sich zunächst in Nicht-Aussagen, sie schwafelt von Steuerwirkungen über den Preis anhand zahlreicher Instrumente, nicht nur einer möglichen CO2-Steuer. Stattdessen müsse es auch Emissionshandel und Zertifikate geben, und alles müsse dabei sozial verträglich und transparent sein. Aber noch sei keine Entscheidung in der CDU getroffen, wie das alles aussehe. Nahles möchte sich „jeden Sektor“ genau anschauen, wie CO2 einzusparen sei. Lindner singt sein altes Lied: „Wir brauchen Technologieoffenheit, keine Verbote.“

Hier spricht gerade Bernd Riexinger von der Linke (nicht im Bild). Markus Söder, Christian Lindner und Jörg Meuthen (v.l.n.r.) tragen Anzüge, das sind aber auch schon alle Gemeinsamkeiten, die sie an diesem Abend haben. Foto: Screenshot / ARD
Hier spricht gerade Bernd Riexinger von der Linke (nicht im Bild). Markus Söder, Christian Lindner und Jörg Meuthen (v.l.n.r.) tragen Anzüge, das sind aber auch schon alle Gemeinsamkeiten, die sie an diesem Abend haben. Foto: Screenshot / ARD

Baerbock sagt, man habe keine Zeit mehr und fragt zurecht: „Was kostet eigentlich der Nicht-Klimaschutz?“ Meuthen sieht die Frage nicht abschließend geklärt, ob der Mensch verantwortlich sei, für den Klimawandel – das hat den Nebeneffekt, dass man auch nichts ändern muss am eigenen Verhalten. Söder möchte ebenfalls Innovationen, um CO2-Reduktion, Versorgungssicherheit und Preiswürdigkeit sicherzustellen – also ebenfalls ein ganz behutsames Vorgehen. Riexinger möchte wieder die Superreichen belasten: „Wir müssen raus der Kohle, regenerative Energien stärken und eine Verkehrswende starten. Mit Reichensteuern kann man ohne Probleme einen kostenlosen ÖPNV finanzieren. Da könnte man auch viele Arbeitsplätze schaffen.“

Flucht und Migration

Humanitäre Flüchtlingspolitik und solidarische Verteilung innerhalb der EU, dazu starke Außengrenzen und eine Bekämpfung der Fluchtursachen: Da sind sich die Kandidaten größtenteils einig.

Söder sagt außerdem, man müsse eine intensivere Nachbarschaftspolitik mit Afrika anstreben, um die Integration in Deutschland zu erleichtern und Migranten, die Straftaten begangen haben, leichter zurückzuführen. Meuthen möchte eine „Festung Europa“ aufbauen und „niemand mehr reinlassen“, dann erledigt sich das Problem in wenigen Wochen. Selbst die Moderatorin Tina Hassel spricht da von einer „zynischen und brutalen“ Art.

Linder plädiert dafür, legale Migration zu erleichtern, indem vor allem das UNHCR stärker unterstützt wird und damit niemand mehr über das Mittelmeer muss und sein Leben riskiert. Riexinger geht noch weiter und spricht sich für offene Grenzen für alle Menschen aus: „Uns zwingt der Gedanke eines humanistischen Europas, die Flüchtlinge ordentlich zu behandeln. Eine Festung ist absurd, sie widerspricht dem Grundgedanken eines vereinten Europas.“ Zudem trage die EU große Verantwortung für die Fluchtursachen als großer Waffenexporteur. Baerbock möchte zudem ein ziviles Seenotrettungsprogramm aufsetzen und endlich die Blockade des Verteilmechanismus für Flüchtlinge auf die Länder in der EU beenden – denn auch Deutschland stehe dem noch im Weg.

Wert der EU

Zuletzt in kurzen Statements, was die EU den Kandidaten persönlich bedeutet:

Meuthen: „Es ist eine Zweckgemeinschaft, die wir erhalten wollen, um internationale Aufgaben, wie Klimaschutz oder Migration anzugehen.“

Lindner: „Europa ist die Garantie für unsere Werte, für unseren Lebensstil, für unseren Wohlstand. Nur als Europäer werden wir in der Lage sein zwischen China und den Vereinigten Staaten von Amerika unsere Interessen und Werte zu verteidigen.“

Tina Hassel und Christian Nitsche leiten durch den Abend. Meist souverän, doch kontroverse Ansätze stecken nur in den vorformulierten Fragen. Debatten kommen nicht auf. Foto: Screenshot / ARD
Tina Hassel und Christian Nitsche leiten durch den Abend. Meist souverän, doch kontroverse Ansätze stecken nur in den vorformulierten Fragen. Debatten kommen nicht auf. Foto: Screenshot / ARD

Söder: „Europa ist unsere Heimat. Es ging uns noch nie so gut wie jetzt. Das gilt es mit Optimismus zu verteidigen.“

AKK: „Europa ist eine Selbstverständlichkeit für mich. Der Friedensaspekt ist ein Wunder, eine hohe Verpflichtung, das so an die spätere Generation weiterzugeben.“

Baerbock: „Das Beste, was Europa je geschaffen hat, ist Europa. Wir müssen es aber mit Mut verändern und gemeinsam Verantwortung übernehmen.“

Nahles: „Der beste Ort, an dem man leben kann. Deshalb müssen wir ihn verteidigen. Es muss ein Bollwerk gegen rechts und für ein demokratisches Europa sein. Friedensstiftend und Sehnsuchtsort.“

Riexinger: „Wäre ein noch besserer Ort, wenn er für alle eine Zukunft bietet mit sozialen Garantien. Wenn wir nicht aufrüsten, sondern abrüsten. Klimawandel hält nicht an den Grenzen, er muss europäisch gelöst werden.“