Ganze Industriezweige betroffen - Ohne VW wäre Deutschland ein viel ärmeres Land, als Sie denken

VW-Arbeiter montieren einen Elektro-ID.3 in Zwickau. Auch weil die Nachfrage nach E-Fahrzeugen zuletzt einbrach, liegen viele VW-Produktionskapazitäten in Deutschland derzeit brach. Der Vorstand bringt erstmals Werksschließungen ins Spiel. Alles nur Verhandlungsmasse, um bei den anstehenden Tarifverhandlungen Höchstforderungen der Gewerkschaften abschmettern zu können, meinen einige. Streicht VW seine Produktion in Deutschland jedoch tatsächlich zusammen, träfe dies das Land hart.<span class="copyright">IMAGO/Uwe Meinhold</span>

Seit VW seinen Sparkurs verschärft, zittert die deutsche Wirtschaft vor den Folgen. Das Wolfsburger Weltunternehmen ist der größte private Arbeitgeber des Landes. Ganze Industriezweige hängen von ihm ab. Kriselt Volkswagen, kriselt das Land. Und Volkswagen kriselt. Das können nur unbequeme Schritte aufhalten.

Viele Menschen verbinden Volkswagen##chartIcon zurecht mit dem deutschen Wirtschaftswunder. Kein Konzern trägt so viel zur deutschen Wirtschaft bei wie die Wolfsburger. „Für die deutsche Wirtschaft ist VW wichtiger als der gesamte Außenhandel mit Griechenland “, sagt Chef-Volkswirt der ING-Bank, Carsten Brzeski, gegenüber „ Bild “.

Die jüngsten Probleme beim Wolfsburger Konzern gefährden den Wohlstand der Bundesrepublik daher deutlich mehr als etwa die Schwierigkeiten beim Chemie-Weltmarktführer BASF##chartIcon im Zuge der Energiekrise. Ohne VW wäre Deutschland ein deutlich ärmeres Land. Auch weniger VW tut schon weh.

Im Video: Schließt VW ein Werk in Deutschland, sind diese besonders gefährdet

VW sichert den Wohlstand ganzer Regionen

Schon die Größe des Unternehmens beeindruckt: 684.000 Mitarbeiter beschäftigt Volkswagen laut jüngstem Geschäftsbericht weltweit, davon knapp 300.000 in Deutschland. Damit erreichen die Wolfsburger weltweit Platz acht der Unternehmen mit den meisten Angestellten. In Deutschland führen sie die Rangliste mit weitem Abstand an. Ähnliche viele Menschen beschäftigen sonst nur personalintensive Firmen wie Supermärkte und Postdienste.

Die Werke sind meist regional wichtige Arbeitgeber. In Zwickau, rund 90.000 Einwohner, beschäftigt VW rund 10.000 Angestellte. In Kassel, rund 200.000 Einwohner, sind es rund 15.000.

VW ist auch so wichtig für viele Regionen, weil der Konzern seine Angestellten gut bezahlt. Die Konzernzentrale hebt den Durchschnittsverdienst ihrer Heimatstadt Wolfsburg an die Spitze deutscher Städte und Landkreise. Niederlassungen, wie in Zwickau, steigern den Wohlstand ihrer Kreise und Städte über den Durchschnitt vergleichbarer Gegenden. Wo manche Unternehmen eher Probleme schaffen, lässt VW ganze Regionen gut leben.

Kein Wunder also, dass Hannover, Emden, Osnabrück, Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Zwickau, Dresden und Chemnitz Werksschließungen und Entlassungen vermeiden wollen. Andere Stellen werden meist deutlich schlechter entlohnt als die gut dotierten Produktionsjobs bei VW. Schließt der Autobauer eine Fabrik, verliert eine Region massiv Wohlstand, selbst wenn sie die Angestellten in andere Beschäftigungen vermittelt.

VW ist das wichtigste Unternehmen des wichtigsten Industriesektors

Hinzu kommt, dass laut Schätzungen des Verbands der Automobilindustrie knapp 800.000 Menschen in der Auto-Zulieferindustrie arbeiten. Auch sie hängen zu einem Großteil vom Wolfsburger Konzern ab und auch sie verdienen größtenteils gut.

Insgesamt erwirtschaftet die Autoindustrie laut Statistischem Bundesamt knapp fünf Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Ein ähnlicher Anteil der Arbeitsplätze hängt von ihr ab. Weil viele Firmen indirekt von ihr profitieren, etwa Gummi- und Kunststoffhersteller, Sicherheitsdienste und Handwerker, hängt der Wohlstand unseres Landes insgesamt noch deutlich mehr von ihr ab.

Der VW-Konzern baut knapp die Hälfte aller in Deutschland hergestellten Autos. Er ist das wichtigste Unternehmen der wichtigsten Industrie. Eine Krise bei VW trifft die Bundesrepublik also an ihrer empfindlichsten Stelle.

Krisen und Politik setzen VW zu

Nun wird VW der eigene Erfolg zum Verhängnis. Toyota##chartIcon verkauft weltweit mehr Fahrzeuge als die Wolfsburger, beschäftigt aber nur etwas mehr als halb so viele Angestellte. Die durch Beschäftigungsgarantien und staatlichen Einfluss aufgeblähte Konzernstruktur kostet zu viel, um die Profitabilität zu sichern.

Das führt zu zwei Problemen. Einerseits müsse ein Unternehmen, das über Jahrzehnte Personal und neue Werke in Deutschland auf-, aber nie abbaute, in Krisen mit Überkapazitäten rechnen, sagen nun die einen. Die Milliardenkosten der Dieselaffäre, die teure Entwicklung der E-Mobilität und die Schwächen beim Aufbau der in vielen Gegenden immens wichtigen Autosoftware brachten in kurzer Zeit gleich mehrere Mega-Belastungen.

Da kommt es ungelegen, dass der Autoabsatz in Deutschland im August um über ein Viertel einbrach: Insgesamt ließen Menschen und Unternehmen laut Kraftfahrzeugbundesamt 28 Prozent weniger Autos zu als im Vorjahresmonat. 69 Prozent weniger Elektroautos, 24 Prozent weniger Dieselfahrzeuge und sieben Prozent weniger Benziner. In gesamt Europa verkauft VW rund 500.000 Fahrzeuge weniger im Jahr als vor der Corona-Pandemie. Das entspricht der Leistung von zwei Werken.

Teile der Politik tragen daran eine Mitschuld, sagte die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, der Wirtschaftswoche: „VW hat sich auf steigende Absatzzahlen eingestellt und seine Produktionskapazitäten dafür ausgebaut. Durch die Forderung mancher Parteien, aus der Koalition und der Opposition, nach einer Abkehr vom Verbrenner-Aus, ist gerade in Deutschland eine Kaufzurückhaltung zu beobachten, die es so in anderen europäischen Ländern nicht gibt.“

Vieles läuft derzeit gegen VW. Kein Wunder also, dass sich VWs Bläh-Strukturen derzeit nicht mehr lohnen.

VW entwickelt und baut immer mehr vor Ort – also nicht in Deutschland

Hinzu kommt: Der Konzern verlagert sich immer mehr ins Ausland.

  • Die China-Strategie VWs trägt den Titel „In China für China“. Die China Technology Company entwickelt 450 Kilometer vor Shanghai mit mehr als 2000 Angestellten Produkte und Technologien in „China-Geschwindigkeit“, wie es Konzernchef Blume im Geschäftsbericht nennt.

  • In Nordamerika, Indien und Südamerika will VW ebenfalls stärker vor Ort produzieren. Bislang exportiert VW noch Hunderttausende Fahrzeuge aus Deutschland in alle Welt. Diese Zahl dürfte künftig deutlich sinken.

  • In Europa laufen viele Kunden von VW zum ehemaligen Billiganbieter und VW-Tochter Skoda über, der inzwischen für weniger Geld vergleichbare Fahrzeuge baut – aber eben nicht in Deutschland.

Ermutigen deutsche Großstädte mit Mega-Parkgebühren und anderer autofeindlicher Politik die Menschen dann noch zum Umstieg auf Lastenrad und S-Bahn, verwundert es kaum, dass VW seine Werke nicht mehr auslastet. Wer soll die Autos denn kaufen?

Das verdeutlicht Deutschlands größtes Problem in Bezug auf VW: Die Bundesrepublik verliert auch Wohlstand, wenn die Wolfsburger niemanden entlassen und keine Werke schließen. Solange der Konzern weniger verkauft und Abteilungen in andere Länder verlagert, drohen Produktionen heruntergefahren und gut bezahlte Jobs nicht nachbesetzt zu werden. Das trifft die Wirtschaft mittelfristig wie eine Werkschließung.

Langfristig erhält Deutschland seinen wichtigsten Arbeitgeber daher nur in seiner bestehenden Kraft, wenn es seine Produkte kauft. Wirtschaftsweisen-Chefin Schnitzer fordert die Politik dafür auf, am Verbrenner-Aus festzuhalten. So unbequem es für einige außerdem sein mag: Deutschlands Wohlstand hängt auch davon ab, ob es Autos weiter in seine Innenstädte lässt und seine Straßen weiter ausbaut. Die Hoffnung Autos hier zu bauen, damit sie anderswo fahren, können wir begraben.