Grüner schreibt emotionalen Artikel - Özdemir sorgt für Kontroverse: „Sexistischstes, rassistischstes Klischee schlechthin“
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat einen Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) geschrieben. Darin fordert der Politiker ein Umdenken in der Migrations- und Asylpolitik. Der Artikel wird aber nun hitzig diskutiert.
Der Text fängt mit einer persönlichen Information an. „Meine Tochter macht im nächsten Jahr ihr Abitur. Sie überlegt, was danach kommen könnte, welches Studium, welchen Beruf sie ergreifen will“, schreibt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir.
Es ist die Einleitung eines Gastbeitrags für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) , der vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde und hitzige Debatten ausgelöst hat.
Özdemir berichtet darin von seiner eigenen Jugend, von seinen Eltern und davon, wie er die deutsche Staatsbürgerschaft beantragte. „Um meinen Weg soll es hier aber nicht gehen“, erklärt er dann.
Denn seine Gedanken würden derzeit darum kreisen, „was für ein Leben meine Kinder vor sich haben werden“. „Hier schreibt deshalb nicht nur der Politiker Özdemir, sondern auch der Vater.“
Özdemir über eigene Tochter: „Von Männern mit Migrationshintergrund unangenehm begafft“
Der Landwirtschaftsminister berichtet von den Zumutungen, denen seine Tochter in Berlin ausgesetzt ist. „Wenn sie in der Stadt unterwegs ist, kommt es häufiger vor, dass sie oder ihre Freundinnen von Männern mit Migrationshintergrund unangenehm begafft oder sexualisiert werden.“
Seine Tochter habe sich „ein dickes Feld zugelegt“, heißt es im Gastbeitrag weiter. „Doch ich spüre, wie sie das umtreibt. Und wie enttäuscht sie ist, dass nicht offensiver thematisiert wird, was dahintersteckt: die patriarchalen Strukturen und die Rolle der Frau in vielen islamisch geprägten Ländern.“
Özdemir schreibt auch, dass seine Tochter nicht gern über solche Erfahrungen spricht. „Wenn sie davon erzählt, zögert sie, weil sie nicht möchte, dass Rechtsradikale daraus Kapital schlagen.“
Ihr sei wichtig, „dass anerkannt wird, dass sehr viele Migranten und Geflüchtete alles tun, um hier schnell anzukommen, hart arbeiten und sich engagiert einbringen“.
Ereignisse wie der Anschlag von Solingen sollten uns laut Özdemir wachrütteln
Der Grünen-Politiker will die Erlebnisse seiner Tochter nicht ignorieren, sondern die „dahinterstehenden Realitäten sehen und benennen“. Er erklärt ausführlich, was sich seiner Meinung nach alles im Bereich der Migrations- und Asylpolitik ändern muss.
„Das liberal-progressive Lager ist gefordert, die notwendigen Änderungen an der Asyl- und Migrationspraxis umzusetzen, gerade weil es das glaubhaft ohne den Anschein falscher Beweggründe tun kann. Dazu gehört zuvorderst das Eingeständnis, dass sich die Asylpraxis des vergangenen Jahrzehnts immer mehr zu einem Recht des Stärkeren entwickelt hat.“
Ereignisse wie der Anschlag von Solingen müssen uns in den Augen des grünen Landwirtschaftsministers alle wachrütteln. Er schreibt: „Wir müssen wissen, wer im Land ist. Wir müssen dafür sorgen, dass nur die im Land sind, die hier sein dürfen.“
Özdemir ruft außerdem dazu auf, Asyl und Arbeitsmigration zu trennen und für beides klare Regeln festzulegen.
„Das sexistischste, rassistischste Klischee überhaupt“
Der Beitrag hat hohe Wellen geschlagen. In den sozialen Netzwerken ist eine Debatte entbrannt. Manche Kommentatoren machen dem Minister heftige Vorwürfe. So zum Beispiel die Journalistin und Autorin Annika Brockschmidt.
„Die „Sorge um die Tochter“ wegen „illegaler Migranten“ ist nun wirklich das sexistischste, rassistischste Klischee schlechthin. Und: nichts anderes wird seit Monaten in sämtlichen deutschen Medien durchgespielt, rauf und runter. So zu tun, als sei das nicht der Fall, ist bizarr“, moniert sie auf X (ehemals Twitter).
Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zeigte sich ebenfalls empört. „Es ist geradezu abstoßend, wenn jetzt die eigene Tochter für politische Zwecke instrumentalisiert wird“, sagte er im Gespräch mit der „Welt“.
Und weiter: „Gerade die Grünen haben im links-grünen Mainstream der letzten Jahre eine restriktive Flüchtlingspolitik blockiert, zum Beispiel bei der Einstufung der Maghrebstaaten als sichere Herkunftsländer.“
„Wenn Özdemir nicht erzählen darf, was ihn bewegt, sind wir wirklich im Arsch“
Es gibt aber auch Menschen, die Özdemir verteidigen. Der bekannte Jurist Arnd Diringer etwa schreibt auf X: „Cem Özdemir äußert die Sorge um das Wohl seiner Tochter.“
Von üblen Herabwertungen wie „sexistisch, rassistisch“ oder „Er ist nun ein Gesicht der völkischen Wende in der Bundesrepublik“ bis hin zu menschenverachtenden Relativierungen fände sich dazu in einer bestimmten Blase so ziemlich alles, so Diringer. „Dass sich @cem_oezdemir einfach nur um seine Tochter sorgt, ist dagegen ein Gedanke, der solchen Menschen offensichtlich fremd ist.“
Wieder andere sind schockiert über die Reaktionen, die Özdemir auf seinen Gastbeitrag bekommen hat. „Wenn ein seit Jahren integerer Politiker wie Cem Özdemir nicht erzählen darf, was ihn bewegt, dann sind wir wirklich im Arsch“, erklärt „Welt“-Journalist Frédéric Schwilden in einem X-Post.