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Greta Thunberg liest Frankreichs Abgeordneten die Leviten

Greta Thunberg (Getty)
Greta Thunberg (Getty)


Die junge Umweltaktivistin war in der Pariser Nationalversammlung zu Gast. Thunbergs Rede bewegte die Volksvertreter – manche aber reagierten mit Häme.

 

Es war eine der kürzesten, aber vielleicht eine der besten Reden über den Klimawandel, die je in der französischen Nationalversammlung gehalten wurde: Am Dienstagmittag hat die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg vor 130 Abgeordneten darauf hingewiesen, dass die Menschheit im Hinblick auf das Klima über ihre Verhältnisse lebt.

„Wenn sich nichts ändert, wird in acht Jahren das CO2-Budget aufgezehrt sein, das uns noch zur Verfügung steht, wenn die Erderwärmung bei 1,5 bis 2 Grad bleiben soll“, sagte sie in einem Saal der Assemblée Nationale. Und wiederholte diese Botschaft gleich vier Mal, damit sie auch jeder verstand.

Jeder könne diese Zahlen im jüngsten Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change nachlesen, aber in der öffentlichen Debatte spielten sie keine Rolle. „Stattdessen müssen wir Kinder uns verhöhnen und lächerlich machen lassen von gewählten Volksvertretern“, warf die 16-Jährige ihren Kritikern vor  – und bekam dafür starken Beifall.

Kritik gibt es auch in Frankreich, und nicht zu knapp: Seit Tagen überschlagen sich die französische Politik und die Medien mit einer Polemik über den Auftritt der Schwedin. „Prophetin der Apokalypse“ oder „Prophetin in kurzen Hosen“ nannten konservative und rechtsextreme Abgeordnete sie. Der „Guru des Niedergangs“ ist sie für den Konservativen Guillaume Larrivé, der als Vorsitzender seiner Partei „Les Républicains“ kandidiert.

Erstaunlich, dass eine Jugendliche gestandene Politiker so aus der Rolle fallen lässt. Thunberg selbst hatte möglicherweise die Antwort: „Wir sind die Kinder, aber vielleicht seid ihr nicht reif genug, um der Realität ins Auge zu sehen.“

Vor ihrer Rede in einem der Säle für die Ausschüsse des Parlaments wurde die 16-Jährige am Mittag in der pompösen Residenz des Präsidenten der Nationalversammlung vom fraktionslosen Abgeordneten Matthieu Orphelin empfangen. Von ihm ging die Einladung aus, im Namen einer fraktionsübergreifenden Initiative, der sich 160 Abgeordnete angeschlossen hatten.

Sie alle wollen, dass mehr getan wird gegen den Klimawandel. Thunberg zeigte sich nicht sehr beeindruckt vom Palais aus dem frühen 18. Jahrhundert: Ein kurzer Blick in die Höhe und an die Gold geschmückten Wände, das war’s auch schon.

Macron ändert seine Haltung zur Klimapolitik

Die Pressestelle der Nationalversammlung legte großen Wert auf die Feststellung, dass die Schwedin nicht vor der Nationalversammlung reden werde und es sich um eine rein private Einladung handele. Doch nachdem Orphelin sie freundlich in Empfang genommen hatte, kam Richard Ferrand dazu, Präsident der Nationalversammlung, und führte Thunberg sowie vier französische Jugendliche von „Youth for climate France“ in den Garten seiner Residenz. Das anschließende halbstündige Gespräch fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Die politische Dimension dieses angeblich völlig privaten Termins kann man nur verstehen, wenn man weiß, dass der einladende Abgeordnete Orphelin bis Ende vergangenen Jahres der Fraktion der Regierungspartei La République en Marche angehörte, sie aber aus Protest darüber, dass „die Politik der Regierung der Dringlichkeit von Umwelt- und Klimaproblemen überhaupt nicht gerecht“ werde, verlassen hat.

Kurz zuvor hatte sein enger Freund Nicolas Hulot das Amt des Umweltministers hingeworfen, ebenfalls weil er das Gefühl hatte, dass die Regierung die Klima-Thematik nicht ernst genug nehme.

Richard Ferrand ist nicht nur Präsident der Nationalversammlung, sondern auch einer der engsten und ältesten Vertrauten von Staatspräsident Emmanuel Macron. Dass er und der abtrünnige Abgeordnete Orphelin sich anlässlich des Besuchs von Greta Thunberg wieder annähern, hat politische Bedeutung. Es zeigt vielleicht deutlicher als so manche Erklärung von Regierung und Präsident, dass Macron und seine Partei beginnen, die Klimapolitik sehr viel ernster zu nehmen.


Watsche für Macron von den eigenen Experten

Sowohl in seinem Wahlprogramm als auch in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit haben sie keine große Rolle gespielt, auch wenn Macron US-Präsident Donald Trump wegen dessen Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen öffentlich scharf kritisiert hat. Außerdem stimmte er gegen die Aufnahme von Handelsverhandlungen der EU mit den USA, solange der transatlantische Partner nicht zum Klimaabkommen zurückkehrt.

Doch in der Wirklichkeit der Regierungsarbeit hat Macron wenig für das Klima getan. Der von ihm selbst eingerichtete Hohe Rat für Umweltfragen bescheinigte ihm vor wenigen Wochen, dass Frankreich seine Selbstverpflichtung zum Aufbau erneuerbarer Energien und der Verringerung von Emissionen des Klimagiftes CO2 nicht einhält und die eigenen Ziele in den kommenden Jahren verfehlen wird. Schlimmer kann eine öffentliche Watsche kaum sein, als wenn sie von den eigenen Experten kommt.

Drei Faktoren haben den Präsidenten und seine Partei zum Umdenken bewegt: die von Thunberg mit angestoßene internationale Jugendbewegung gegen die Passivität angesichts des Klimawandels, das gute Abschneiden der Grünen bei der Europawahl und der zunehmende Problemdruck in Frankreich selbst.

Thunbergs Besuch fällt zusammen mit einer neuen Hitzewelle, und Frankreich ist viel stärker als erwartet von atypischen Klimaereignissen betroffen. In großen Teilen des Landes ächzt die Landwirtschaft unter einer ungewöhnlichen Trockenheit. Im Laufe des Jahres sind im Schnitt 20 Prozent weniger Niederschläge gefallen als üblich, in einzelnen Regionen ist der Wassermangel viel größer.

In manchen Gegenden wird das Futter für die Viehzucht knapp. Das Gesundheitsministerium schaltet in Radio und Fernsehen Werbung mit Hinweisen, wie man sich bei ungewöhnlich hohen Temperaturen verhalten soll.

Mit ihrer Polemik gegen den Besuch von Thunberg in der Nationalversammlung haben die Konservativen und rechtsextremen Abgeordneten Macron ungewollt in die Hände gespielt. Ihre völlig überzogenen Angriffe gegen die Jugendliche lenken von der bescheidenen Klimabilanz des Präsidenten ab.

Ob Thunberg der Regierung lediglich als politisches Feigenblatt dient, oder ob sie zur Katalysatorin einer aktiveren Umweltpolitik wird? Hugues Renson von Macrons Partei La République en Marche jedenfalls zeigte sich reuevoll: „Danke dafür, dass Sie uns auf unsere eigenen Widersprüche hinweisen.“