Kommentar: Greta Thunbergs Turn ist noch lange nicht zu Ende

Swedish teenage climate activist Greta Thunberg waves from a yacht as she starts her trans-Atlantic boat trip to New York, in Plymouth, Britain, August 14, 2019. REUTERS/Henry Nicholls
Klimaaktivistin Greta Thunberg auf dem Segelschiff, das sie nach Amerika bringen soll (Bild: REUTERS/Henry Nicholls)

Vor einem Jahr begann die Schülerin einen Schulstreik. Damit erreichte sie Unglaubliches – die Klimaaktivistin versichert einer ganzen globalen jungen Generation: Wir haben Macht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Vor einem Jahr schauten wir auf den verschrumpelten Rasen und dachten erstmals über ihn nach. Dann sahen wir die Bäume, wie sie ächzten und schlecht aussahen wie nie zuvor. Zeitgleich zog ein 15-jähriger Teenager in Schweden daraus die nötigen Konsequenzen. Greta Thunberg bastelte ein Schild, ging an einem Freitag vors Parlament in Stockholm und begann einen Schulstreik. Seitdem jeden Freitag. Und setzte damit das Signal für die machtvollste politische Jugendbewegung seit Jahrzehnten.

Vor einem Jahr wurde der Klimawandel für jeden sichtbar. Der Sommer brannte, die Erde trocknete aus, dann gab es Sturzregen – wie es halt ist, wenn der Mensch an der Naturschraube dreht. Wir leben nun im Payback.

Eine Frage der Konsequenz

Während die Erwachsenen seit Jahren Diskussionen um den Klimawandel verfolgen und ab und zu halbherzig ein Wort einwerfen, fordern die Jungen nun eine Korrektur. Sie ziehen einen Schnitt. Die Folgen dieses schädlichen Handelns werden sie ja auch dreimal mehr bezahlen als die heutigen Erwachsenen: Meine Generation wird vielleicht noch die ersten Mecklenburger Trollingerreben vom Pflegeheimfenster aus sprießen sehen, aber all das andere krasse kommt erst noch.

Thunberg hat Konsequenz angepeilt. Sie tat das richtige und wurde damit Inspiration, viele warteten auf ein Signal, das längst fällig war. Daher wird die „Fridays for Future“-Bewegung nicht so schnell enden. Es ist Thunbergs Verdienst, durch ihren Ansatz Pflöcke eingehauen zu haben: Nun läuft alles allein, die Bewegung diversifiziert sich – da gibt es einen radikalen Arm, ein Flügel versucht inhaltliche Profilierung, und dennoch wird Hauptstoßrichtung immer bleiben der Politik unter die Nase zu reiben: Wir haben verstanden, also handelt.

Greta Thunberg im November 2018 vor dem schwedischen Parlament (Bild: TT News Agency/Hanna Franzen via REUTERS)
Greta Thunberg im November 2018 vor dem schwedischen Parlament (Bild: TT News Agency/Hanna Franzen via REUTERS)

Denn der Klimawandel kann nur eingedämmt werden, wenn sich die Politik auf tiefschneidende Strukturänderungen einlässt. Damit einher geht ein Bewusstseinswandel, der viele privat erfasst und sie in ihrem Alltagsleben die eine oder andere Schraube nun anders drehen lässt. Es ist verdammt viel in diesem Jahr passiert.

Die Besserwisser melden sich

Mit dem ersten Geburtstag dieser neuen Bewegung häufen sich auch die Ratschläge an Thunberg. Die mittlerweile 16-Jährige segelt gerade über den Atlantik, und wieder wissen es alle besser. Für die einen ist sie eine Ikone, eine Heilige und unfehlbar. Für die anderen eine Marionette, unwissend und manipuliert. Alles davon ist falsch.

Thunberg hat den Klimawandel verstanden, was keine Genieleistung ist, aber eben gehandelt – das haben wir alle nicht hingekriegt. Niemand manövriert sie. Sie sieht sich gewiss nicht als Jeanne d’Arc der Klimaproteste; all das Gerede über sie offenbart nur einerseits das schlechte Gewissen darüber, von Thunberg den Spiegel vorgehalten zu bekommen und andererseits die missbilligenden Einstellungen von Älteren gegenüber Jüngeren, von Männern gegen Frauen und von Menschen ohne Behinderung gegen über welchen mit. Da kriegt jemand wie Thunberg schon ordentlich Fett weg. Wer aus irgendwelchen Gründen, und es können nur schlechte sein, nichts gegen den Klimawandel unternehmen will, personifiziert diesen und die Proteste mit Thunberg – was natürlich Quatsch ist, aber der Hoffnung entspringt, dass bei einem unvermeidbar fehlbaren Menschen dann auch ein „Fehler“ an den Klimaprotesten gefunden werde.

Auch die gutgemeinten Ratschläge sind wohlfeil. Sie möge nun in den Urlaub gehen, sich zurückziehen, sie drohe zu zerbrechen – ich kenne Thunberg nicht persönlich und wüsste natürlich nicht, was ich ihr raten sollte, also lass ich es sein. Ich denke aber, dass Thunberg ihre Lage, die schon außerordentlich ist, erfasst und so reagiert, dass sie keinen Schaden nimmt. Aktuell wird sie versuchen, die Idee von Fridays for Future in Nord- und Südamerika zu verankern. Sie wird dort gebraucht. Und in Europa auch. In anderen Kontinenten. Thunbergs Mission hat gerade erst begonnen. Thunbergs Anteil an dieser Bewegung wird stetig sinken, aber immer noch gefragt sein. Machen bei ihr Gesundheit und Wille mit, wird es noch einige Geburtstage von Fridays for Future mit ihr geben.