"Wenn Gruppen sich zusammenschließen, um für die Freiheit zu kämpfen, lohnt sich das immer"

Nina Gummich (Bild) entstammt einer Schauspielerfamilie: Ihre Mutter ist die Schauspieldozentin, Schauspielerin und Regisseurin Anne-Kathrin Gummich, ihr Adoptivvater ist der Schauspieler Hendrik Duryn. Sie selbst kann auf eine mehr als 20 Jahre andauernde Karriere zurückblicken. Die Rolle der Alice Schwarzer ist dabei nur der nächste Höhepunkt.  (Bild: rbb / Alexander Fischerkoesen)

Als Nina Gummich die Hauptrolle von Alice Schwarzer in dem Biopic "Alice" angeboten bekam, zögerte sie "keine Sekunde". Im Interview erzählt die 31-Jährige von ihrem ersten Treffen mit der Frauenrechtlerin. Wie hat sich ihr Blick auf Alice Schwarzer durch die Dreharbeiten verändert?

Sie ist erst 31, doch bei Weitem keine Nachwuchsschauspielerin mehr: Nina Gummich, die Tochter der Schauspielerin und Regisseurin Anne-Kathrin Gummich und Adoptivtochter des Schauspielers Hendrik Duryn, kann bereits auf mehr als 20 Jahre Berufserfahrung zurückblicken. Sie spielte in renommierten Produktionen wie "Babylon Berlin", "Unterleuten - Das zerrissene Dorf" und in der dritten Staffel "Charité". Vor wenigen Wochen war sie zudem als Missbrauchsopfer in dem Drama "So laut du kannst" (abrufbar in der ZDFmediathek) zu sehen.

Von dieser Rolle erzählt Gummich auch im Interview, doch eigentlich geht es in dem Gespräch um ihren nächsten großen Fang: In dem Zweiteiler "Alice" (beide Filme am Mittwoch, 30. November, 20.15 Uhr im Ersten, sowie ab 23. November in der ARD Mediathek) verkörpert die gebürtige Leipzigerin die berühmte Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, die am 3. Dezember ihr 80. Lebensjahr vollendet. Welche Bedeutung hat Schwarzers Kampf für die Gleichberechtigung von Frauen gerade in Krisenzeiten?

teleschau: Konnten Sie den unterernährten Babyigel aus Ihrer Instagram-Story retten?

Nina Gummich: (lacht) Ja, wir haben ihn in einen kleinen Karton mit Luftlöchern gesetzt und wollten ihn eigentlich ins Tierheim bringen, haben aber keines gefunden. Jetzt hat ihn der Außenrequisiteurchef aufgenommen und päppelt ihn auf, bevor er eine Igelauffangstation sucht.

teleschau: Zu dem Post schreiben Sie: "Ihr müsst den Glauben an die Menschheit vielleicht doch noch nicht verlieren". Wie steht es derzeit um die Menschheit?

Gummich: Man kann die momentane Situation natürlich sehr negativ sehen. Vielleicht gibt es aber dadurch auch die Chance, dass die Menschheit einen großen Bewusstseinsschritt vor sich hat. Einige große Katastrophen der Vergangenheit haben etwas bewegt. Deswegen hoffe ich, dass wir aus der Krise herausgehen und etwas gelernt haben und etwas verändern können. Ich denke, das ist die einzige Chance, wie man das sehen kann, ohne verrückt zu werden.

"Ich habe keine Vorbilder", sagt Nina Gummich im Interview: "Aber ich lasse mich gerne von ihr inspirieren. Denn sie inspiriert mich dazu, zu mir selbst zu stehen, so wie sie zu sich steht." (Bild: rbb / Alexander Fischerkoesen)
"Ich habe keine Vorbilder", sagt Nina Gummich im Interview: "Aber ich lasse mich gerne von ihr inspirieren. Denn sie inspiriert mich dazu, zu mir selbst zu stehen, so wie sie zu sich steht." (Bild: rbb / Alexander Fischerkoesen)

"Man sollte die Menschlichkeit nicht verlieren"

teleschau: Was könnten wir denn aus der Pandemie und dem Ukraine-Krieg lernen?

Gummich: Man lernt, zu erkennen, was man wirklich zum Leben braucht. Für mich wäre das Schlimmste, wenn ich nicht mehr rausgehen dürfte. Ein anderes Beispiel wäre, wenn das Essen knapp wird. Man sollte sich einfach bewusst machen, mit wie wenig man zufrieden sein kann. Und man sollte die Menschlichkeit nicht verlieren.

teleschau: Wie relevant ist der Kampf um Gleichberechtigung in Zeiten von Kriegen, Umweltkatastrophen und Pandemien?

Gummich: Aktuell sehen wir die Rückschrittlichkeit in anderen Ländern. Das Abtreibungsverbot in den USA und die Proteste im Iran bewegen die Welt wahnsinnig. Ähnlich ist es mit Filmen: Jedesmal, wenn ich in einem DDR-Film mitspiele und an der Mauer stehend rufe: "Die Mauer muss weg!" Da läuft mir ein Schauer über den Rücken. Wenn Gruppen sich zusammenschließen, um für die Freiheit zu kämpfen, lohnt sich das immer - auch jetzt!

teleschau: Wird das Thema Frauenrechte durch die Proteste im Iran und durch das Abtreibungsverbot in den USA auch bei uns noch einmal an Bedeutung gewinnen?

Gummich: Das kann ich mir sehr gut vorstellen, denn es ist ein extrem aktuelles Thema, das dadurch auch in jeder Filmproduktion heiß diskutiert wird. Es gibt andere Frauenrollen. Frauenrollen werden anders gesehen. Es gibt viel mehr Regisseurinnen inzwischen. Ich freue mich auch, dass es so eine Offenheit gibt. Vor "Alice" spielte ich in dem ZDF-Film "So laut du kannst" eine junge Frau, die K.o.-Tropfen verabreicht bekam. Dass ich da als starke Frau besetzt wurde, wäre vor 15 Jahren noch gar nicht möglich gewesen: Damals hätte man immer jemanden besetzt, der ganz blass und dünn und schüchtern und mäuschenhaft ist, damit das Publikum die Erzählung glaubt. Das verändert sich gerade. Die starken, toughen Frauen, die was zu sagen haben, werden heute genauso verletzbar, aber auch genauso erotisch gezeigt wie andere. Diese Entwicklung gefällt mir.

teleschau: Also fällt das Aussehen bei der Besetzung einer Rolle weniger ins Gewicht?

Gummich: Das wiederum sehe ich anders: Bei der Vorbereitung auf diesen Film hatte ich das Gefühl, dass die Hauptrolle einfach so auf mich übergegangen ist, ohne dass ich viel dazu beigetragen habe. Meine Agentin sagte aber: "Nina, du hast dich körperlich total verändert! Du hast plötzlich total viel Sport gemacht, du hast deine Haare blond gefärbt." Da gibt es natürlich extrem rückschrittliche Kategorien. Auf den Covern der Fernsehzeitschriften sind nur blonde Frauen zu sehen, von denen eine retuschiert wird wie die andere. Die Tatsache, dass sich "normale" Frauen von dem Klischee der schönen Schauspielerinnen dann womöglich unter Druck gesetzt fühlen, ist natürlich extrem schade. Deshalb muss dahingehend auch dringend etwas unternommen werden.

Als Kind dachte Nina Gummich (links), dass Alice Schwarzer (rechts) eine wichtige Politikerin sei. Im Vorfeld der Dreharbeiten zu "Alice" und auch danach standen die beiden Frauen in intensivem Austausch miteinander.  (Bild: rbb / ARD / Alexander Fischerkoesen)
Als Kind dachte Nina Gummich (links), dass Alice Schwarzer (rechts) eine wichtige Politikerin sei. Im Vorfeld der Dreharbeiten zu "Alice" und auch danach standen die beiden Frauen in intensivem Austausch miteinander. (Bild: rbb / ARD / Alexander Fischerkoesen)

"Ich bin ein Mensch, der lebt, um Erfahrungen zu sammeln"

teleschau: Mit Alice Schwarzer spielen Sie eine der bekanntesten, aber auch eine der kontroversesten Figuren unserer Zeit. Hatten Sie je Bedenken, die Rolle anzunehmen?

Gummich: Nein, keine Sekunde! Ich habe aber auch keine Angst vor Diskussionen. Im Gegenteil: Ich bin ein Mensch, der lebt, um Erfahrungen zu sammeln. Im September war ich auf der Premiere des Dokumentarfilms "Alice Schwarzer". Da haben die Leute neben mir geschrien vor Lachen, dann heulte jemand, dann ist jemand in Ohnmacht gefallen und musste abtransportiert werden. Danach gab es ein Riesenstreitgespräch, bei dem sich die Leute angeschrien haben. Da dachte ich mir: Das gibt es doch nicht, dass eine Frau immer noch so viel auslöst! Das ist doch ein Phänomen!

teleschau: Unter dem Instagram-Post, in welchem Sie den Film erstmals bewerben, schreibt eine Person: "Gratuliere zur Schurkenrolle!" Wie reagieren Sie auf derartige Kritik?

Gummich: Das habe ich gar nicht gelesen. Es interessiert mich aber auch gar nicht. Natürlich bereite ich mich auf mögliche Kritik vor. Alice Schwarzer wird seit Jahrzehnten relativ einseitig durch die Presse gezeigt. Ich glaube, sie war schon damals die meist gehetzte Person Deutschlands, und das hat sich nie geändert. Sie hat mich sogar selbst davor gewarnt: "Nina, du musst wissen, dass du zum einen Teil als Schauspielerin bewertet werden wirst, und zum anderen Teil wird auf dich übertragen, was die Menschen über mich denken." Ich finde es wahnsinnig spannend, was das über die Menschen aussagt, wenn sie mich als Schauspielerin mit ihr verwechseln. Es ist total seltsam, wenn bestimmte Zeitungen anbieten, mich mit von ihren Aussagen verletzten Personen zu konfrontieren.

Vor wenigen Wochen war Nina Gummich in einer ganz anderen Rolle zu sehen: In dem ZDF-Drama "So laut du kannst" (abrufbar in der ZDFmmediathek) spielte sie eine junge Frau, die K.o.-Tropfen verabreicht bekommt. Ihre Freundin Kim (Friederike Brecht) versucht, den Schuldigen zu finden.  (Bild: ZDF / Marion von der Mehden)
Vor wenigen Wochen war Nina Gummich in einer ganz anderen Rolle zu sehen: In dem ZDF-Drama "So laut du kannst" (abrufbar in der ZDFmmediathek) spielte sie eine junge Frau, die K.o.-Tropfen verabreicht bekommt. Ihre Freundin Kim (Friederike Brecht) versucht, den Schuldigen zu finden. (Bild: ZDF / Marion von der Mehden)

"Ich wusste, dass sie die beste Quelle ist, die ich haben kann"

teleschau: Haben Sie im Vorfeld der Dreharbeiten viel mit Alice Schwarzer gesprochen?

Gummich: Unser erstes Treffen hatten wir bei einem gemeinsamen Abendessen im Vorfeld der Dreharbeiten. Ich wusste, dass sie die beste Quelle ist, die ich haben kann. Nicht nur, was sie erzählt, sondern auch sie einfach sehr genau zu beobachten.

teleschau: Sie sind 1991 geboren. Welche Verbindung hatten Sie vor den Dreharbeiten zu Alice Schwarzer und ihrer Arbeit?

Gummich: Ich konnte sie überhaupt nicht richtig einordnen. Als Kind sah ich sie ständig im Fernsehen, dachte aber, sie sei eine ganz wichtige Politikerin. (lacht) Später habe ich sie dann ein bisschen aus dem Blick verloren. Meine Mutter gehört zu den großen Fans von Alice Schwarzer. Sie sagt immer: "Wie sie das schafft, ihrem Gegenüber mit so viel Charme mitzuteilen, dass sie ihn für den größten Vollidioten hält, ist sehr unterhaltsam." Selbst wenn man nicht allen ihren Aussagen zustimmt, hat sie einen unglaublichen Unterhaltungsfaktor!

teleschau: Wie hat sich Ihr Blick auf Alice Schwarzer durch die Dreharbeiten verändert?

Gummich: Obwohl ich selbst öffentlich bekannt bin, merke ich, dass ich Prominente ein Stück weit entmenschliche. Ich denke nicht darüber nach, wie diese Leute leben, was sie essen oder dass sie alt werden. Bei Alice Schwarzer ging es mir genauso: Ich musste mir erst klar werden, dass sie ein Mensch mit vielen Facetten ist. Was mich am meisten überrascht hat, war ihre sehr melancholische Seite, die sie vor allem im privaten Umgang zeigt. Diese Tiefe ist dafür verantwortlich, dass sich so viele Frauen ihr anvertrauen. Außerdem hatte ich erwartet, dass sie mit ihrer Vorgeschichte als gehetzte Frau auch mir bestimmte Themen oder Meinungen vorgibt, die ich vertreten soll. Aber das Gegenteil war der Fall: Als ich sie gefragt habe, was ich denn antworten soll, wenn mich jemand nach meiner Einschätzung ihrer politischen Haltung fragt, sagte sie: "Darauf lässt du dich gar nicht ein, du sagst, dass du Schauspielerin bist." Das fand ich so cool, weil ich dachte, sie ist viel frustrierter und starrer. Tatsächlich ist sie ein offener, humorvoller und streitlustiger Mensch.

Von "Babylon Berlin" über "Unterleuten - Das zerrissene Dorf" bis hin zu "Charité" war Nina Gummich bereits in zahlreichen renommierten Produktionen zu sehen.  (Bild: 2022 Getty Images/Andreas Rentz)
Von "Babylon Berlin" über "Unterleuten - Das zerrissene Dorf" bis hin zu "Charité" war Nina Gummich bereits in zahlreichen renommierten Produktionen zu sehen. (Bild: 2022 Getty Images/Andreas Rentz)

"Ich habe keine Vorbilder"

teleschau: In einem Statement vorab sagten Sie: "Die bekannteste Frauenrechtlerin Deutschlands in jungen Jahren darzustellen, hat mich zu einem stärkeren Menschen gemacht."

Gummich: Wenn ich mich auf eine Rolle vorbereite, schaue ich natürlich genau, was unsere Gemeinsamkeiten und unsere Unterschiede sind. Ein großer Unterschied zwischen Alice und mir ist, dass sie angstfrei und streitlustig ist. Ich selbst hingegen passe mich oft an, sorge dafür, dass die Atmosphäre im Raum schön ist und dass man gut aus einer Verhandlung herauskommt. Dass ich ihre Angstfreiheit in Szenen wie den Vertragsverhandlungen gespielt habe, hat in mir extrem viel bewegt. Gleiches gilt für ihren Umgang auf Augenhöhe mit Bruno im ersten Teil.

teleschau: Das klingt, als sei Alice Schwarzer zu Ihrem persönlichen Vorbild geworden ...

Gummich: Ich habe keine Vorbilder. Aber ich lasse mich gerne von ihr inspirieren. Denn sie inspiriert mich dazu, zu mir selbst zu stehen, so wie sie zu sich steht.