Gustl Mollath, der Wahnsinn und die Justiz

Der Fall Gustl Mollath wird heute wieder vor Gericht behandelt (Bild: AFP)
Der Fall Gustl Mollath wird heute wieder vor Gericht behandelt (Bild: AFP)


Der Fall Gustl Mollath hat Deutschland erschüttert. Sieben Jahre saß er in der Psychiatrie. Am Montag beginnt sein Prozess noch einmal von vorn. Es geht auch um das Ansehen der Justiz und der Gerichtspsychiatrie.



Ein Mann wird für verrückt erklärt und über Jahre in die Psychiatrie eingesperrt, er behauptet seine Gesundheit, lehnt Behandlung ab und wird von Ärzten dafür als krankheitsuneinsichtig eingestuft – ein Stoff, aus dem Albträume sind.

Wenn am Montag vor der 6. Strafkammer des Landgerichts Regensburg der Prozess gegen Gustl Mollath neu aufgerollt wird, geht es um weit mehr als nur die Vorwürfe, die in der Anklageschrift gegen den 57-Jährigen genannt sind. Es geht um das Vertrauen der Menschen in die Justiz und in die Gerichtspsychiatrie.

Im August 2006 hatte das Landgericht Nürnberg-Fürth geurteilt, Mollath habe 2001 seine damalige Frau mit der Faust geschlagen, sie in den Arm gebissen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Im Folgejahr soll er sie für eineinhalb Stunden in der Wohnung eingesperrt haben. Auch soll er später zahlreiche Autoreifen zerstochen haben. Die Anklage lautete auf gefährliche Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung. Mollath bestreitet seit jeher alle Vorwürfe.

Mollath hatte im Vorfeld Anzeige gegen seine Frau, damals Bankerin, gegen Mitarbeiter der HypoVereinsbank und einige Kunden wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung, Schwarzgeld- und Insidergeschäften erstattet. Die Staatsanwaltschaft lehnte ein Ermittlungsverfahren ab. Mollath sieht in seiner Anzeige den Anfang von allem, was ihm in der Folge widerfahren ist.

Das Nürnberger Gericht spricht ihn damals frei, aber nicht, weil es ihn nicht als Verursacher der vorgeworfenen Taten sieht, sondern einem Gutachten folgt, wonach Mollath psychisch krank und deswegen schuldunfähig sei. Da niemand schuldig gesprochen werden kann, der nicht Herr seiner Handlungen ist, wird er freigesprochen und stattdessen in die Psychiatrie eingewiesen. Dort bleibt er sieben Jahre.

Sein Prozess damals wurde alles andere als akribisch geführt. Die Verhandlung dauerte nur wenige Stunden. Ob an Mollaths Vorwürfe wegen unsauberer Bankgeschäfte irgendetwas dran war, wurde nicht geprüft, sondern von einem zum anderen Gutachter als Ausdruck eines Wahns angenommen.

In mühsamer Fleißarbeit stellte Mollaths Verteidiger Gerhard Strate schließlich alle Indizien zusammen und beantragte, den Prozess neu aufzurollen. Dass ein rechtskräftig abgeschlossener Prozess noch einmal von vorne beginnt, ist ein in Deutschland seltener Vorgang. Die Hürden für ein Wiederaufnahmeverfahren sind hoch. Zu den Raritäten des Falles Mollath gehört, dass auch die Staatsanwaltschaft Regensburg einen Antrag auf Wiederaufnahme stellte. Am 6. August 2013 ordnete das Oberlandesgericht Nürnberg an, dass der Prozess neu aufgerollt und Mollath freigelassen werden muss. Nun steht alles wieder auf Anfang.

Bislang sind 17 Prozessterminen angesetzt. Es geht noch einmal darum, was Mollath in welchem Zustand wirklich getan hat. Mehr als 40 Zeugen sind geladen, darunter auch frühere Gutachter. Mollaths Exfrau sollte gleich am ersten Tag aussagen, doch sie beruft sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht und ist inzwischen nicht mehr als Zeugin geladen. Sie nimmt als Nebenklägerin am Prozess teil, doch ab sie tatsächlich im Saal sitzen wird, ist unklar.

Der Freispruch von damals steht jedenfalls nicht zur Debatte. Mollath kann im neuen Prozess nicht zu einer härteren Strafe verurteilt werden als im ersten. Mollath will seine Unschuld beweisen.

Und wieder wird ein Psychiater Mollath genau beobachten. Norbert Nedopil hat darüber zu befinden, ob bei Mollath eine psychische Erkrankung und gegebenenfalls Gründe für eine fehlende Schuldfähigkeit vorliegen und er gefährlich für die Allgemeinheit ist. Mollath hat es bislang abgelehnt, mit Nedopil zu sprechen. So bleibt dem Psychiater nichts anderes übrig, als sein Gutachten anhand des Aktenmaterials und seiner Beobachtung von Mollath im Prozess zu erstellen. Theoretisch könnte Mollath erneut eingewiesen werden, wenn das Gericht zum Urteil käme, Mollath hätte seine Frau tatsächlich misshandelt, Autoreifen zerstochen, er sei psychisch krank, schuldunfähig und gefährlich.

Es geht auch um den Ruf der Psychiatrie. Der Gutachter steht vor der Aufgabe, den Eindruck zu widerlegen, jeder könnte allzu leichtfertig für Jahre als verrückt in der Psychiatrie landen. Was seine „größte Angst“ sei, wurde Nedopil 2012 in einem Interview des SZ-Magazins gefragt. Seine Antwort: „Dass ich mein Gesicht verliere. Dass jemand über mich sagen könnte, der war nicht professionell.“

Für Mollaths Weigerung, sich mit ihm zu unterhalten, wird Nedopil übrigens wohl Verständnis haben. Denn im selben Interview sagte er, dass er sich selbst auch nicht psychiatrisch explorieren ließe. Nedopil: „Ich selbst würde so eine Prozedur übrigens nie über mich ergehen lassen.“ Und weiter: „Wenn ich etwas getan habe, dann stehe ich dazu und muss mich in die Hände des Gerichts begeben. Aber ich muss nicht auch noch meine Seele vor denen entblättern.“ Mollath sagt, er habe nichts getan, zu dem er stehen müsste. In die Hände des Gerichts muss er sich dennoch begeben, seine Seele aber will auch er nicht entblättern.

Das letzte Wort haben die Richter. Zu welchem Ergebnis auch immer Nedopil kommen wird: Ob das Gericht ihm folgt oder nicht, hat die Kammer unter Vorsitz von Richterin Elke Escher ganz alleine zu entscheiden. Ihr Urteil wird frühestens für den 14. August erwartet.