Hätte der Terror verhindert werden können? - Fatale Schwachstelle! Asylexperte erklärt, warum Solingen-Syrer nie abgeschoben wurde
Der mutmaßliche Attentäter von Solingen hätte eigentlich nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, tauchte aber unter. Jetzt stellt sich die Frage: Hätte das Asylrecht doch mehr Möglichkeiten hergegeben?
Die bittere Frage, die sich nach dem Messer-Attentat in Solingen aufdrängt: Hätte der Angriff durch die Abschiebung des Tatverdächtigen Issa al H. verhindert werden können? In der Praxis scheint die Antwort einfach zu sein, doch die geltenden Gesetze enthalten einige Tücken.
Dafür muss man die Vorgeschichte des mutmaßlichen Täters kennen: Al H. reiste von Syrien aus über Bulgarien in die Europäische Union ein. Im Dezember 2022 kam er dann nach Deutschland, wo er in Bielefeld Asyl beantragte. Eine vorherige Registrierung in einem anderen EU-Staat ist zunächst nicht ungewöhnlich, wie Daniel Thym, Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Konstanz, betont.
Diese Länder, in denen die EU-Außengrenze zum erstem Mal überschritten wurde, ist dann eigentlich auch für das weitere Verfahren zuständig. So sieht es das sogenannte Dublin-System vor. Halten sich Asylbewerber wie al H. aber in Deutschland auf, kann die Bundesrepublik sie in das zuständige Land überführen. Laut EU-Recht bleiben dafür sechs Monate Zeit. Wird diese Frist gerissen, geht die Zuständigkeit für das Asylverfahren auf Deutschland über.
Asylrechtsexperte: „In vielen Fällen versuchen die Behörden die Überstellung nicht einmal“
„Das ist gängige Praxis und passiert andauernd“, erklärt Asylrechtsexperte Thym. „In vielen Fällen versuchen die Behörden die Überstellung nicht einmal; es vergehen einfach sechs Monate und dann gibt es ein reguläres Asylverfahren in Deutschland.“
Im Fall des mutmaßlichen Solingen-Attentäters gab es im Juni 2023 den Versuch einer Überstellung nach Bulgarien. Dieser scheiterte allerdings, al H. war offenbar untergetaucht. In seiner Flüchtlingsunterkunft in einer ehemaligen Kaserne in Paderborn konnten ihn die Behörden nicht antreffen. Wohl weil der Syrer bis dahin unauffällig geblieben war und die Plätze für Abschiebehaft rar sind, gab es daraufhin keine Ausschreibung zur Festnahme.
Ende 2023 erhielt al H. dann subsidiären Schutz. Dieser wird gewährt, wenn den Personen kein Asyl oder Flüchtlingsschutz zusteht, ihnen aber im Heimatland ein ernsthafter Schaden drohen würde, zum Beispiel durch Folter oder die Todesstrafe. Darüber, ob das in Syrien noch pauschal der Fall ist, sind sich Experten uneinig. Flüchtlinge aus dem Land erhalten in Deutschland bislang dennoch diesen speziellen Schutzstatus.
Hätte mutmaßlicher Attentäter bis heute abgeschoben werden können?
Sind die Regeln für Asylanträge relativ klar, beginnen beim Untertauchen vor einer Abschiebung die juristischen Spitzfindigkeiten. Taucht eine Person unter und kann deshalb nicht überstellt werden, verlängert sich eigentlich die Frist von sechs auf 18 Monate.
Deutschland hätte also deutlich mehr Zeit gehabt, um al H. aufzuspüren und nach Bulgarien zu überstellen. Statt im August 2023 hätte der Syrer bis August 2024 abgeschoben werden können – also genau bis zu dem Monat des Solingen-Attentats.
Der Haken daran: „Der Europäische Gerichtshof legt den Begriff des Untertauchens eng aus, sodass ein Nicht-Antreffen in einer Asylunterkunft, wo eine Person an sich noch wohnt, nicht ausreicht“, erklärt Jurist Thym. Aus den bisherigen Erkenntnissen zum gescheiterten Abschiebe-Versuch geht nicht eindeutig hervor, ob das Verhalten von al H. unter die Definition des Gerichts fallen würde – „vermutlich nein“, sagt Thym. Somit wäre eine Überführung nach Bulgarien nach August 2023 doch nicht möglich gewesen.
EU-Asylreform könnte Regeln für untergetauchte Personen ändern
So ist zumindest die aktuelle Rechtslage – über die es durchaus immer wieder Diskussionen gibt. Zum Beispiel 2016 wollte die EU-Kommission und die Bundesregierung um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einen EU-einheitlichen Asylantrag einführen. Das hätte das Ende der bislang geltenden Dublin-Regeln bedeutet. „Das scheiterte jedoch, weil eine solche Lösung voraussetzt, dass man die Antragsteller halbwegs solidarisch auf alle Mitgliedstaaten verteilt. Dazu kam es nicht und so bleibt es dabei, dass mehrfache Asylanträge in der EU ganz legal sind“, erklärt Thym.
Die im Mai beschlossene EU-Asylreform , auf die die Ampel-Koalition viel setzt, ändert an diesen Regeln nichts: Man darf weiterhin innerhalb der EU mehrere Asylanträge stellen und es bleibt auch bei der Sechsmonatsfrist. Thym weist aber darauf hin, dass es ausgerechnet beim Untertauchen der Asylbewerber eine Änderung gibt: „Es könnte in solchen Fällen eventuell – abhängig von den Umständen – künftig eine längere Frist gelten, sogar bis zu drei Jahren. Zunächst muss die EU-Reform aber in nationales Recht umgesetzt werden, die Mitgliedsstaaten haben dafür zwei Jahre Zeit.
Bei allen juristischen Feinheiten und verlängerten Fristen gilt aber ohnehin weiter: Abgeschoben werden kann nur, wenn es den Willen gibt, die betroffenen Personen aufzufinden und man dabei auch erfolgreich ist.