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"Wir hätten diese Tragödie verhindern können": ZDF-Doku macht China und WHO schwere Vorwürfe

Verzweifelte Forscher, träge Politiker und ein chinesischer Machtapparat, der systematisch vertuschte: Ein neuer ZDF-Dokumentarfilm blickt auf den Ausbruch der Corona-Pandemie zurück - und legt Versäumnisse im weltweiten Umgang mit Corona schonungslos offen.

Die Corona-Pandemie stellt seit ihrem Ausbruch vor mehr als zwei Jahren die ganze Welt vor große Herausforderungen. (Bild: ZDF / Fei Maohua)
Die Corona-Pandemie stellt seit ihrem Ausbruch vor mehr als zwei Jahren die ganze Welt vor große Herausforderungen. (Bild: ZDF / Fei Maohua)

"Wenn wir warten, bis die Pandemie da ist, wird es zu spät sein": Dieser markante Satz stammt von George W. Bush, aus einer Zeit, in der SARS-Cov-2 lediglich eine beliebige Buchstaben-Zahlen-Kombination war. Doch der einstige US-Präsident warnte schon im November 2005, es könne eine Pandemie eintreten, die "wiederholt Wellen der Zerstörung" verursachen könne. Außerdem wies er darauf hin: "Masken, Schutzausrüstung, Personal werden knapp werden." Die eindringlichen Worte markieren den Anfang des 90-minütigen Dokumentarfilms "Der Ausbruch - War die Pandemie vermeidbar?", der am Dienstagabend im ZDF zu sehen war.

Das Publikum erlebte im Film von Michael Wech noch einmal den Ausbruch der Krankheit mit, die uns seit mehr als zwei Jahren beschäftigt. Spannend aufbereitet, erinnerte das filmische Lehrstück in einem True-Crime-ähnlichen Erzählstil an politische Versäumnisse und enttarnte eindrucksvoll die Verschleierungstaktiken der chinesischen Regierung nach den ersten Corona-Fällen. Chronologisch und äußerst penibel arbeitet sich der Film an den ersten zehn Wochen des globalen Virus-Ausbruchs ab - beginnend am 31. Dezember 2019 im Londoner Hauptquartier von Wellcome Trust.

Damals erreichte Jeremy Farrar, den Direktor der gemeinnützigen Stiftung, von einem befreundeten Kollegen aus China die Kunde über den Ausbruch einer Lungenkrankheit in Wuhan. Doch der Informationsgehalt über die "Lungenkrankheit unbekannter Ursache" war dürftig, war die Gesundheitskommission von Wuhan doch um Stillschweigen bemüht, wie offizielle Dokumente in der Doku beweisen. Ärzte oder Krankenschwestern, die die Welt warnen wollten, wurden von chinesischen Behörden gemaßregelt und unter Androhung von Strafe ruhiggestellt, wie Investigativjournalist Dake Kang im Film berichtet: "Es wurde sogar eine Nachrichtensendung über diese Ärzte ausgestrahlt, in der sie als Gerüchtemacher bezeichnet wurden."

Leere Straßen in New York: Im Lockdown ging in der Millionenmetropole gar nichts mehr. (Bild: ZDF / BROADVIEW Pictures)
Leere Straßen in New York: Im Lockdown ging in der Millionenmetropole gar nichts mehr. (Bild: ZDF / BROADVIEW Pictures)

Versäumnisse der westlichen Welt: "Die Gefahr wurde heruntergespielt"

Trotz Verpflichtung gegenüber der WHO meldeten chinesische Behörden die Fälle der Weltgesundheitsorganisation nicht. Und das, obwohl "Schnelligkeit essenziell" im Kampf gegen eine drohende Pandemie sei, wie Farrar im ZDF-Film erklärt. Von der Hilflosigkeit der WHO zeugen Audio-Aufnahmen einer Sitzung, die in Ausschnitten in der Doku zu hören sind. Laut Journalist Kang seien die Mitarbeiter frustriert gewesen, was Lawrence Gostin, Professor für Gesundheitsrecht, bilanzieren lässt: "Die WHO ist eigentlich eine ziemlich machtlose Organisation." Gostin ist sich sicher: "Wir hätten diese Tragödie, die Millionen Leben gekostet hat, verhindern können. Aber wir haben diese Chance vertan, wegen Chinas Verhalten und der Impotenz der WHO, etwas dagegen zu unternehmen."

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Neben dem faszinierenden Abbild des chinesischen Macht- und Medienapparats, belegt durch unzählige interne Dokumente, offenbarte "Der Ausbruch - War die Pandemie vermeidbar?" auch die verhängnisvolle Diskrepanz zwischen schnell handelnden Forschern auf der einen Seite und der Trägheit der Politik auf der anderen. "Wir waren sehr besorgt über die Behäbigkeit, mit der die Bedrohung in den USA angegangen wurde", beklagte James Lawler, Ex-Berater von Barack Obama.

Während Experten und Wissenschaftler dank jahrelanger Grundlagenforschung schon kurz nach der Veröffentlichung der Gensequenz des Virus die Basis für die Impfstoffentwicklung lieferten, ging man auf dem WEF in Davos Mitte Januar auf politischer Ebene noch dem Tagesgeschäft nach. "Es war, als würde man in einem Paralleluniversum leben", erinnerte sich Jeremy Farrar. Der Epidemiologe Richard Hatchett nahm die damalige Gemengelage ähnlich wahr: "Der Westen war damals gegenüber dem chinesischen Autoritarismus voreingenommen. Die Gefahr wurde heruntergespielt."

Mitte Januar 2020 ging die WHO noch davon aus, das Coronavirus sei nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. (Bild: ZDF / BROADVIEW Pictures)
Mitte Januar 2020 ging die WHO noch davon aus, das Coronavirus sei nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. (Bild: ZDF / BROADVIEW Pictures)

"Die Welt ist mit offenen Augen in die Katastophe gerannt"

Auch als ein Münchner Team um Infektiologin Camilla Rothe nach dem ersten Corona-Fall in München auf die asymptomatische Übertragung des Coronavirus hinwies, ging kein Ruck durch die Politik. Ganz im Gegenteil: Die Autorinnen und Autoren der Studie wurden öffentlich an den Pranger gestellt, ihre Studie sei gefälscht. Die WHO verleugnete sogar deren Berichte. "Für mich ist da eine Welt zusammengebrochen", räumt Mit-Autor Michael Hoelscher in dem Dokumentarfilm ein.

Für Jeremy Farrar steht fest: "Hätten die politischen Entscheidungsträger darauf im Januar reagiert, hätten die Ereignisse bis zu einem gewissen Grad verhindert werden können." Doch auch der US-Seuchenschutzbehörde CDC schien die ernste Lage damals nicht bewusst gewesen zu sein. Sie machte dem Forscherteam um James Lawler beim Thema Massentestungen von Wuhan-Rückkehrern Ende Januar einen Strich durch die Rechnung: "Wir wurden kaltgestellt." Bei der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar sei es auch verpasst worden, dringend notwendige Schritte einzuleiten. "Die Welt ist mit offenen Augen in die Katastrophe gerannt. Wir haben uns nicht vorbereitet, obwohl wir es hätten tun können", lautete das vernichtende Urteil von Michael Hatchett.

Letzten Endes erklärte die WHO Covid-19 erst am 11. März zur Pandemie. Viel zu spät, wenn es nach Jeremy Farrar geht: "Wenn wir in den ersten zehn Wochen anders gehandelt hätten, hätten wir zwar die Epidemie nicht verhindern können, aber wir hätten die Pandemie aufhalten können." Dennoch gibt sich der Direktor von Wellcome Trust auch selbstkritisch, wenn er für die Wissenschaft spricht: "Wir haben es einfach nicht geschafft, unsere damit verbundene Befürchtung so zu vermitteln, dass Politiker handeln konnten. Da haben wir versagt." Derlei Selbstkritik fehlt von der WHO in "Der Ausbruch - War die Pandemie vermeidbar?" übrigens gänzlich. Die Weltgesundheitsorganisation ließ sämtliche Interviewanfragen unbeantwortet.

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