Häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch, Menschenhandel - Ukrainische Spitzenpolitikerin gibt Einblick in Kriegsrealität
Die stellvertretende Innenministerin der Ukraine, Kateryna Pavlichenko, hat Einblicke in die durch den Krieg gezeichnete ukrainische Gesellschaft gegeben. Dabei sprach sie über häusliche Gewalt, sexuellen Missbrauch und Menschenhandel.
Kateryna Pavlichenko sagte im Interview mit staatlichen Informations- und Nachrichtenagentur der Ukraine „Ukrinform“, dass der Krieg die Grundlage für eine Zunahme von Gewalt geschaffen habe. Innenminister Ihor Klymenko hatte laut „Ukrinform“ am 20. Mai bereits erklärt, dass die häusliche Gewalt in der Ukraine seit Anfang 2024 um 14 Prozent gestiegen sei.
Pavlichenko sieht dafür mehrere Faktoren, die meisten davon stünden im Zusammenhang mit dem Krieg. Auch die Rückkehr von Veteranen von der Front mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), die dem ukrainischen Medium zufolge bereits von Klymenko im Mai benannt wurde, sei ein solcher.
Krieg sorgt für „Emotionale Erschöpfung“ in der Gesellschaft
Der Krieg sorge für „ständige Ängste und Verluste - manche Menschen haben ihr Zuhause verloren, manche ihre Verwandten, manche waren gezwungen umzuziehen", erklärte sie. All das führe der ukrainischen Politikerin zufolge zu „emotionaler Erschöpfung in unserer Gesellschaft und in einigen Fällen zu Unterdrückung, manchmal auch zu Aggression“, so Pavlichenko. Insgesamt sei häusliche Gewalt aber ein “komplexes Problem“ und man brauche für dessen Lösung einen „systematischen Ansatz und eine systematische Analyse der Gesamtsituation“. Wichtig sei aber darauf zu achten, dass Täter zur Verantwortung gezogen werden.
310 Fälle sexuellen Missbrauchs im Krieg dokumentiert
Ein weiteres Thema im Interview mit „Ukrinform“ war die Dokumentation sexueller Verbrechen, die von russischen Soldaten begangen wurden. Pavlichenko zufolge seien bereits 310 Fälle von sexuellem Missbrauch während des Krieges dokumentiert worden. Die Mehrheit der Opfer seien Frauen, aber es gebe auch 113 Männer und 15 Minderjährige unter den Betroffenen. Diese Verbrechen umfassen nicht nur Vergewaltigungen, sondern auch erzwungene Entkleidungen und Vergewaltigungsdrohungen.
Die ukrainische Politikerin betonte, dass diese Verbrechen schwer zu entdecken und zu untersuchen seien, da viele Opfer nicht darüber sprechen wollten. Dennoch seien spezialisierte Gruppen der Nationalen Polizei in fast 700 befreite Dörfer gereist und hätten mehr als 20.000 Zivilisten befragt, um diese Verbrechen zu dokumentieren.
Bislang seien nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft 48 russische Militärangehörige über einen Verdacht informiert und 21 Anklagen gegen 30 Personen an die Gerichte weitergeleitet worden. Fünf Personen seien bereits zu Haftstrafen verurteilt worden.
Rund 60 Hinweise auf möglichen Menschenhandel bei Europol eingegangen
Aber auch das Thema Menschenhandel betrifft die Ukraine, wie „Ukrinform" berichtet. Rund 60 Hinweise auf möglichen Menschenhandel mit ukrainischen Opfern seien bei der europäischen Polizeibehörde Europol eingegangen, teilte Kateryna Pavlichenko mit. Die Hinweise stammen aus verschiedenen europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, und werden aktuell untersucht. Es seien aber nicht alle Fälle bestätigt, hieß es.
Ein konkretes Beispiel für die Menschenhandel lieferte eine Meldung von Europol am 24.05.2024 über fünf Festnahmen in Almeria, Spanien. Die Verdächtigen sollen ukrainische Flüchtlinge unter dem Vorwand der Hilfe zur Erlangung des Flüchtlingsstatus und mit falschen Jobversprechen zur sexuellen Ausbeutung gelockt haben.
Internationale Kooperation gegen Menschenhandel
Die nationale Polizei der Ukraine arbeitet eng mit Europol und Interpol zusammen, um Informationen auszutauschen und Fälle zu verfolgen, erklärte Pavlichenko. Die stellvertretende Innenministerin der Ukraine erklärte, dass Meldungen von Bürgern, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, nicht immer an die ukrainischen Behörden übermittelt werden, da sie häufig bei den Strafverfolgungsbehörden des Aufenthaltslandes verbleiben.
Sie sagte, dass Straftaten, die auf dem Territorium anderer Staaten begangen werden, in den Zuständigkeitsbereich der lokalen Polizei fallen und man sich deshalb erst an diese wenden müsse. Informationen über Opfer von Menschenhandel seien aber durch das Rechtssystem des Landes, in dem die Meldung erfolgt, besonders geschützt und es gelte ein bestimmter Vertraulichkeitsgrad.
Sie ergänzte gegenüber „Ukrinform“ außerdem, dass die Identität eines Opfers im Rahmen eines Strafverfahrens in der Regel während der Ermittlung vertraulich behandelt wird und dies ebenfalls berücksichtigt werden müsse.