Vor Haager Gericht: Russland bekräftigt "Neonazi"-Vorwurf gegen Ukraine
Russland hat bei einer Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) seinen Vorwurf gegen die Regierung der Ukraine bekräftigt, sie sei "neonazistisch" und "russlandfeindlich" eingestellt. Zugleich bezeichnete der Vertreter Moskaus, Gennadi Kusmin, am Montag in Den Haag eine von der ukrainischen Regierung beim IGH eingereichte Klage gegen Russland als unzulässig und appellierte an das Gericht, den Fall zu verwerfen.
Die Klage Kiews bezieht sich auf die von Russland als einen der Gründe für die Invasion im Nachbarland erhobene Anschuldigung, in den ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk finde ein "Genozid" gegen russischstämmige Bürger statt. Die Klage gegen das "Völkermord"-Argument reichte Kiew zwei Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2011 beim IGH ein. Darin wies die ukrainische Regierung die "Völkermord"-Vorwürfe zurück und warf Moskau vor, die UN-Völkermordkonvention als Kriegsvorwand "missbraucht" zu haben.
Kusmin sagte nun in der Anhörung im Haager Friedenspalast mit Blick auf die Moskauer Position, die "Bedenken" hinsichtlich einer Völkermord-Bedrohung "waren wenig überraschend, wenn man die Politik des Regimes in Kiew betrachtet, die fest in der Geschichte, den Lehren und Praktiken des Nationalsozialismus verwurzelt sind".
Vor allem brachte der russische Diplomat jedoch formaljuristische Argumente gegen die ukrainische Klage vor. So führte er ins Feld, Moskau habe sich bei seiner Begründung der Invasion keineswegs auf die UN-Völkermordkonvention von 1948 berufen.
Zudem argumentierte Kusmin, dass die Konvention auf die "Prävention und Unterbindung" von Völkermord abziele und Kiew deshalb die Konvention nicht für eine Klage gegen bloße "Erklärungen" zu einem Genozid heranziehen könne. Die Ukraine habe den IGH zu Unrecht angerufen, denn: "Die Ukraine wirft Russland nicht vor, Völkermord zu begehen. Die Ukraine wirft Russland auch nicht vor, Völkermord nicht verhindert oder bestraft zu haben."
Es war das erste Mal, dass ein russischer Vertreter vor dem IGH zu der ukrainischen Klage aussagte. Am Dienstag wird die ukrainische Seite vor dem Gericht ihre Argumente vortragen. Ab Mittwoch bekommen dann mehr als 30 weitere Länder, alles westliche Verbündete Kiews, ebenfalls die Gelegenheit, zugunsten der Ukraine auszusagen.
Der IGH muss dann entscheiden, ob er die Klage der Ukraine annimmt und es damit zu einem Prozess kommt. Es können jedoch noch Monate verstreichen, bis das Gericht diese Entscheidung trifft.
Im März vergangenen Jahres hatte sich der IGH in einer Eilentscheidung auf die Seite der Ukraine gestellt. Das Gericht forderte Russland damals auf, alle seine Militäreinsätze in der Ukraine "unverzüglich einzustellen". Allerdings handelte es sich um eine lediglich vorläufige Entscheidung des Gerichts - vorbehaltlich der Prüfung, ob der IGH überhaupt für die ukrainische Klage zuständig ist.
Der Internationale Gerichtshof ist das zentrale Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen und entscheidet über Streitigkeiten zwischen Ländern. Seine Urteile sind bindend. Allerdings stehen dem IGH keine wirklichen Instrumente zur Verfügung, um eine Einhaltung seiner Urteile durchzusetzen. Aus Sicht von Experten wäre ein Urteil des IGH zugunsten der Ukraine aber von hoher symbolischer Bedeutung für Kiew.
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