"Ich habe manchmal das Gefühl, die Natur rächt sich ein bisschen an uns"

"Die Krise öffnet einem auch die Augen, worauf es im Leben ankommt", sagt der Schauspieler Max Simonischek. Im Interview findet der Kommissar-Laim-Darsteller kluge Worte zur Analyse der allgegenwärtigen Corona-Krise.

Es gibt Schauspieler, die ziemlich schnell auf einen Rollentyp oder ein Genre fixiert sind. Und es gibt die, die sich absolut nicht festlegen lassen wollen. Maximilian - kurz Max - Simonischek gehört definitiv der zweiten Gruppe an. Der 37-Jährige, dem als Sohn der Schauspieler Peter Simonischek und Charlotte Schwab das Talent quasi in die Wiege gelegt worden ist, probiert aus, was geht: Von Theater über Film und Fernsehen bis zu Hörspiel - Simonischek hat schon alles gemacht. 2019 gab der dunkelhaarige Mime als Papageno in Mozarts "Zauberflöte" sogar sein Operndebüt. Er wolle sich die Neugierde einfach wahren, denn Neugierde sei für ihn die Vorstufe von Kreativität, erzählt Simonischek, der mit seiner Frau und der zweijährigen Tochter in Berlin lebt. Einer Rolle bleibt der 1,92 Meter große Schlaks allerdings schon länger treu: In "Laim und der letzte Schuldige" (Montag, 18. Mai, 20.15 Uhr, ZDF) spielt er bereits zum dritten Mal den eigenwilligen Kommissar Lukas Laim. Warum gerade diese Figur ihm besonders am Herzen liegt, verrät Simonischek im Interview. Außerdem spricht er darüber, wie er die Corona-Krise erlebt und was er daraus gelernt hat.

teleschau: Wie geht es Ihnen?

Max Simonischek: Danke sehr, mir geht es gut. Wir sind alle gesund. Corona nervt einfach, die Kitas sind zu, und wir müssen uns organisieren, wie viele Familien das tun müssen.

teleschau: Wie durchlebt man Corona als Schauspieler? Können Sie überhaupt arbeiten?

Simonischek: In den letzten Wochen nicht. Ich war im März gerade in Hamburg am Drehen für das ZDF-Format "Sarah Kohr". Der Dreh musste dann abgebrochen werden. Glücklicherwiese können wir seit ein paar Tagen wieder weiterarbeiten. Was das Theater betrifft, da war eigentlich eine Koproduktion zwischen dem Deutschen Theater und den Bregenzer Festspielen geplant. Das wurde auf unbestimmt verschoben.

"Eine Verschnaufpause für die Natur"

teleschau: Wie sind Sie persönlich mit der Corona-Krise umgegangen?

Simonischek: Auf der einen Seite ist das belastend. Auf der anderen Seite ist auch eine Chance darin, diese Entschleunigung anzunehmen und zu genießen und wie eine geschenkte Zeit zu sehen. Vorausgesetzt, man ist existenziell nicht bedroht und finanziell einigermaßen aufgestellt. Was mich betrifft, diese Wochen, die ich jetzt zu Hause mit meiner Familie hatte, ohne Kita, ohne, dass einer beruflich unterwegs war - diese Situation ist selten, und manchmal ist es mir auch gelungen, sie als Geschenk zu sehen. Klar, manchmal wurde ich auch ein bisschen unruhig und ich wollte, dass es wieder weitergeht. Es war immer so ein Gefühl dazwischen irgendwie.

teleschau: Wie haben Sie sich bei Laune gehalten?

Simonischek: Ich habe viel Sport getrieben, bin häufig joggen und spazieren gegangen und habe versucht, mich in den Tag treiben zu lassen. Was sonst eigentlich so selten möglich ist. Ich habe auch versucht, das wie ein Training zu sehen, diese Entschleunigung, dass man einfach mal in den Tag hineinlebt, ohne wirklich etwas erledigen zu können. Man hatte ja auch das Gefühl, nichts zu verpassen, weil sowieso alles stillsteht. Das war wirklich neu und hatte auch was.

teleschau: Also lässt sich aus dieser Krise auch etwas Positives abgewinnen?

Simonischek: Man macht sich plötzlich viele Gedanken, wie das in einer Krise so ist. Krise bedeutet im ursprünglichen Sinne ja, dass in der Zeit etwas entschieden wird. Ich finde, darin liegt auch eine Chance, dass wir überlegen, was haben wir davor falsch gemacht, auch als Gesellschaft. Beispielsweise diese ganze Ökonomisierung des Gesundheitssystems, was auch auf andere Stellen zutrifft, dieses ständige "Wo kann ich noch was sparen", auch dieses Aufbrauchen von Reserven - das holt uns jetzt ein, weil wir einfach keine Reserven haben. Stichwort Krankenhausbetten. Das ist alles mit heißer Nadel gestrickt. Es ist wirklich kurz vor Zwölf, und ich finde, das ist diesem Optimierungsgedanken geschuldet, den wir seit Jahren pflegen. Es besteht eine Chance, dass diese Krise ein Umdenken bringt.

teleschau: Vielleicht ist dieses Virus in der Hinsicht auch ein guter Dämpfer zur rechten Zeit für die Menschheit ...

Simonischek: Ja, vielleicht. Diese ganze Corona-Krise ist auch wie eine Verschnaufpause für die Natur, Autos fahren weniger, Flugzeuge fahren weniger. Ich habe manchmal das Gefühl, die Natur rächt sich ein bisschen an uns und nimmt sich wieder das, was wir ihr geraubt haben.

teleschau: Und wie beurteilen Sie die Reaktion der Menschen darauf?

Simonischek: Wie immer kontrovers. Ich finde, die Idee von Europa ist wieder ganz klar an ihre Grenzen gestoßen. Man sieht, sobald die Not kommt, schaut jeder an erster Stelle auf sich, sowohl was die Staaten anbelangt, als auch jeder einzelne. Grenzschließungen, Hamsterkäufe - das bläst alles ins gleiche Horn. Aber insgesamt zeigt die sinkende Ansteckungsrate ja doch, dass der Großteil vernünftig agiert und sich seiner Verantwortung bewusst ist, was ich relativ beruhigend finde, ehrlich gesagt.

"Alles in allem hat die Politik das ganz gut gehandelt"

teleschau: Die Politiker haben derzeit ja auch keinen leichten Job, oder?

Simonischek: Ich finde, alles in allem hat die Politik das ganz gut gehandelt. Wir haben es nicht so weit kommen lassen wie in einigen Nachbarstaaten, wo es wirklich zu Katastrophen kam. Jetzt ist die Frage, wie geht man damit um, wie behalten wir die Verhältnismäßigkeit zwischen den Sanktionen und dem Bewahren der Menschenrechte. Es ist eine spannende Zeit, und es ist noch nicht zu Ende, da werden wir noch lange damit zu tun haben.

teleschau: Wie geht es Ihnen dabei als Vater - was wollen Sie Ihrer Tochter für die Zukunft mitgeben?

Simonischek: Unabhängig von der Epidemie, die wir gerade durchleben, versuche ich ihr in erster Linie mitzugeben, dass sie einen ausgeprägten sozialen Sinn hat für ihre Mitmenschen und respektvoll den Leuten gegenüber auftritt und höflich ist und eben nicht zu einer Hamsterkäuferin wird, sondern zu einer sozial denkenden Europäerin.

teleschau: Glauben Sie, dass wir wieder zu einem Leben zurückkehren werden, wie es zuvor war?

Simonischek: Ich glaube ganz sicher, dass diese Erfahrungen, die wir jetzt machen, nachhaltig etwas mit uns machen. Ich denke zum Beispiel an die Hygiene, ich glaube, dass wir ein größeres Bewusstsein behalten werden, was Händewaschen, Mundschutz, Ansteckungsgefahr betrifft. Ich hoffe auch, dass diese Entschleunigung, die uns jetzt widerfährt, und auch dieses Besinnen aufs Wesentliche, dass davon etwas hängenbleibt. Es könnte natürlich auch sein, dass dieses Zusammengehörigkeitsgefühl noch bleibt ... Ach, das ist wahrscheinlich utopisch. Sicher ist, es gibt ein Davor und ein Danach. Es ist schon ein historisches Ereignis.

"Das fehlt schon sehr"

teleschau: Im aktuellen "Laim" gibt es eine Szene, in der Sie mit Sophie von Kessel an der Feldherrnhalle sitzen und auf den stark belebten Odeonsplatz schauen - das stimmt unter den Corona-Umständen schon wehmütig, oder?

Simonischek: Ja, diese Szenen hätten wir heutzutage nicht drehen können. Der Platz wäre leer gewesen. Natürlich, irgendwie fehlt einem das doch, der Kontakt zu anderen und dieses gesellschaftliche Leben. Insofern öffnet die Krise einem auch die Augen, worauf es ankommt im Leben, und zwar Menschen zu begegnen, Beziehungen einzugehen. Ich glaube, das ist das, was am Schluss zählt, die Beziehungen, die man eingegangen ist, die Auseinandersetzung mit den Menschen. Und das fehlt schon sehr.

teleschau: Die Rolle des Lukas Laim begleitet Sie ja schon seit Jahren...

Simonischek: Ja, den ersten Teil haben wir vor neun Jahren gedreht und jetzt gerade den vierten abgeschlossen. Das ist keine hohe Schlagzahl, das stimmt. (lacht)

teleschau: Der Laim sticht auch sonst aus der Riege der deutschen Kommissare heraus, Sie selbst haben ihn mal als eine Art "Comic-Figur" bezeichnet.

Simonischek: Comic in der Hinsicht, dass wir ihn inhaltlich als sinnsuchenden, melancholischen Romantiker zeichnen, ohne eine wirkliche Erklärung dafür zu liefern, warum er so ist wie er ist. Auch optisch mit seinem langen schwarzen Mantel, dem aufgestellten Kragen und seinem fettigen Haar könnte er einem Corto Maltese Comic entwischt sein.

teleschau: Hat er sich im Laufe der Jahre auch weiterentwickelt?

Simonischek: Entwickelt hat er sich in den nun vier Teilen insofern, dass wir sowohl in der artifiziellen Bildsprache, in der oben beschriebenen Figurenführung sowie im Tempo der Erzählung noch konsequenter geworden sind.

teleschau: Wie gelingt es Ihnen, immer wieder in diese Figur hineinzukommen?

Simonischek: Das Tolle daran ist, dass wir immer im gleichen Team arbeiten, also Kamera, Regie, Produzent und Hauptdarsteller, wir sind seit neun Jahren die gleiche Gruppe, und wir müssen daher nicht immer neu bei Null anfangen, wenn wir die Geschichten entwickeln und überlegen, wie machen wir weiter. Das ist ein großer Vorteil. Ein weiterer Vorteil ist, dass ich schon im Entstehungsprozess, das war vor allem auch beim dritten Teil der Fall, involviert bin und mir die Geschichten und Handlungsstränge grob ausdenken kann. Natürlich schreibt das ein Autor, aber gerade in den ersten Schritten, in welchem Milieu das spielt und so was, sitzen wir alle in einem Boot. Das ist ganz spannend und hat auch einen gewissen Mehrwert für mich als Schauspieler.

"Kritik bringt dich weiter"

teleschau: Apropos Mehrwert - es heißt, dass Sie sich auf den Theaterbühnen wohler fühlen als vor der Kamera.

Simonischek: Es kommt immer darauf an, mit wem man arbeitet, und grundsätzlich bin ich froh, zweigleisig fahren zu können, weil das eine das andere schon bereichert und auch jeweils eine andere Herausforderung ist, eine andere Arbeitsweise. Im Theater komme ich aber kreativ mehr auf meine Kosten, man hat mehr Zeit und kann sich intensiver mit den Inhalten auseinandersetzen. Meine Verantwortung für das Produkt ist auch viel größer: Ich bin das letzte Glied in der Kette, der Vorhang geht auf, und dann steh ich da.

teleschau: Und beim Film ...

Simonischek: Der Film ist ganz klar das Medium der Regie, und bei den einen Filmproduktionen kann ich mich mehr einbringen, bei den anderen weniger. Das, was wir mit dem "Laim" haben, das Maß an Verantwortung und auch der Input, den ich da geben kann, das ist selten, und dadurch ist der "Laim" auch etwas Besonderes. Sonst bin ich bei TV-Produktionen eher ausführendes Organ als kreativer Kopf, leider. Deswegen liegt mir das Theater mehr.

teleschau: Sie suchen ohnehin die Abwechslung, 2019 traten Sie als Papageno in der "Zauberflöte" auf ...

Simonischek: Ja, das war so ein Ausflug in eine andere Welt, in die Opernwelt. Auch wenn sie verwandt ist mit der Theaterwelt, sie funktioniert doch anders. Wir neigen immer dazu, zu kategorisieren und zu schubladisieren. Ich bin aber einfach neugierig auf die verschiedensten Ausflüge, die ich mit meinem Gelernten unternehmen kann, und da gehört die Oper genauso dazu wie das TV oder das Theater. Neugierde ist für mich die Vorstufe von Kreativität.

teleschau: Besteht dabei nicht die Gefahr, auch mal zu scheitern?

Simonischek: Absolut, und das passiert öfter, als man glaubt. Aber ich habe keine Angst davor. Was uns fehlt in Deutschland, ist eine Kultur des Scheiterns. Scheitern ist verboten, konkret gesagt. Scheitern geht nicht, Scheitern kostet Geld, kostet Zeit, und wir sind alle so ergebnisorientiert, dass das einfach nicht im Bereich des Möglichen liegt. Im kreativen Beruf ist es das Gegenteil, wenn du innovativ sein möchtest, wenn du sozusagen Pionierarbeit leisten möchtest, musst du das Scheitern in Kauf nehmen, und dann ist das Scheitern wie Teil des normalen Prozesses. Denn wenn du immer die Wege gehst, die sicher sind und die schon mal gegangen sind, wirst du nicht weiterkommen, weder in deiner Kunst noch selbst als Künstler, und deswegen - das ist ein langer Weg - gehört das Scheitern dazu und muss sogar stattfinden.

teleschau: Dazu gehört auch der richtige Umgang mit Kritik ...

Simonischek: Auf jeden Fall. In unserem Beruf ist man ja der öffentlichen Meinung ausgesetzt, und zwar ständig. Kritik - das sehe ich schon an Ihrer Fragestellung - hat immer etwas negativ Angehauchtes, das sehe ich gar nicht so. Kritik bringt dich ja weiter, ist im Grunde etwas Positives. Man muss natürlich unterscheiden, aber ich sehe Kritik wie eine Hilfestellung, mich zu verbessern. Die kann ich dann annehmen oder nicht, diese Selektierung findet auch statt. Aber klar, Kritik und das Ausgeliefertsein einer öffentlichen Meinung, das ist ein essentieller Bestandteil unseres Berufes. Wir machen das ja für ein Publikum, wir wollen ja, dass sie sich eine Meinung bilden.

teleschau: Dabei muss man aber auch was aushalten können ...

Simonischek: Ja, man darf es nicht persönlich nehmen. Man darf es einfach nicht persönlich nehmen.