Haftbefehl gegen ukrainischen Staatsbürger - Sprengten Ukrainer Nord Stream? Experte warnt vor schnellen Schuldzuweisungen
Die Aufklärung der Nord-Stream-Sprengung bleibt mysteriös, die Verantwortlichen sind nicht eindeutig identifiziert. Politik-Experte Krause wehrt sich dagegen, dass die Regierung in Kiew vorschnell als Auftraggeber der beispiellosen Anschläge auf die deutsche Infrastruktur angeprangert wird.
Wie ist der aktuelle Stand bei der Aufklärung der Nord-Stream-Sprengung?
Über den Stand der Ermittlungen ist öffentlich wenig bekannt. Sicher ist, dass am 26. September 2022 der Strang A der Nord Stream Pipeline 2 gegen 2 Uhr in der Früh an zwei Stellen zerstört wurde und dass am Abend des selben Tages die beiden Nord Stream 1 Röhren an einer Stelle gesprengt wurden, die viele Kilometer davon entfernt lag.
Bei den vier Anschlägen wurden jeweils Sprengsätze in der Größenordnung von 500 Kg TNT-Äquivalent eingesetzt, das bedeutet, dass die Sprengladungen jeweils 400 bis 500 Kg schwer gewesen sein müssen. Aufgrund der hohen Sprengkraft liegt die Vermutung nahe, dass es sich um militärische Grundminen gehandelt haben muss.
Genaues lässt sich allerdings erst nach einer kriminaltechnischen Untersuchung sagen, die von schwedischen Behörden im September 2022 in Auftrag gegeben wurde. Die Schweden haben allerdings Anfang 2024 die Ermittlungen eingestellt, weil es keinen Hinweis auf die Mitwirkung schwedischer Staatsbürger gebe. Ähnlich hat sich Dänemark verhalten.
Entweder hat die kriminaltechnische Untersuchung nichts ergeben, oder das Thema war der schwedischen Regierung aus welchen Gründen auch immer zu heiß. Die deutschen Ermittlungsbehörden arbeiten weiter an dem Fall und haben nun einen ersten Haftbefehl gegen einen ukrainischen Staatsbürger ausgestellt, der in Polen lebt. Die polnische Staatsanwaltschaft hat von der Bundesanwaltschaft einen Europäischen Haftbefehl zur Festnahme erhalten.
Taucher von der Segeljacht Andromeda - ein Vertuschungsversuch?
Aufgrund der technischen Parameter ist diese Annahme von allen die am wenigsten glaubwürdige. Wenn es wirklich ein von dem ukrainischen Staat ausgesandtes Team von Tauchern war, hätten diese die Pipelines mit sehr viel weniger Sprengstoff und viel geringerem Aufwand zerstören können. Da fragt man sich, warum das kleine Schiff ausgerechnet mit so viel Sprengstoff beladen werden musste. Um von der Andromeda aus die enormen Sprengkräfte freizusetzen, die am 22. September seismisch zu messen waren, hätte die Segeljacht mit mehr als zwei Tonnen Sprengstoff beladen werden müssen, zudem mit Dutzenden von Sauerstoffflaschen, Markierungsbojen, Navigationshilfen, Hebekissen und anderem Gerät.
Das wäre doch in dem kleinen Hafen aufgefallen. Zudem wäre das Anbringen dieser großen Mengen an Sprengstoff in der Tiefe von 70 bis 80 Meter außerordentlich zeitaufwändig und mühsam gewesen. Da es dort unten sehr schmutzig ist, hätte das gemietete Schiff nach der Rückkehr außerordentlich verdreckt sein müssen. Dafür gab und gibt es keine Hinweise. Stattdessen wurden Sprengstoffreste an Bord gefunden,was sehr ungewöhnlich ist, denn Sprengstoffpackungen sind in der Regel sicher in Plastik verpackt und würden auch so am Grund verteilt werden.
Es liegt daher nahe davon auszugehen, dass die Sprengstoffreste absichtlich an Bord verteilt worden sind, um eine falsche Spur zu legen.
Was bedeutet die Ausstellung des Haftbefehls gegen Wladimir S. ?
Dieser Mann ist schon lange im Visier der deutschen Behörden. Wenn jetzt ein Haftbefehl ausgestellt wird, bedeutet das erst einmal nur, dass die deutschen Behörden davon ausgehen, dass er in der einen oder anderen Weise an den Sprengungen beteiligt war. Das muss nicht bedeuten, dass er tatsächlich die Sprengung durchgeführt hat. Er könnte auch Teil der Vertuschungsoperation gewesen sein.
Und wenn man eine Vertuschungsoperation aufklären kann, dann gewinnt man daraus Hinweise auf die wahren Verursacher der Sprengungen. Ich wundere mich nur, wie sehr Medien in Deutschland die Ausstellung des Haftbefehls ohne nähere Kenntnisse des Hintergrunds zum Anlass nehmen, die Regierung der Ukraine zu beschuldigen. Es sind vor allem der SPIEGEL, die ZEIT und die Süddeutsche, die schon seit langem diese Behauptung immer wieder - und zumeist auf dürftiger empirischer Basis - verbreiten und diese sind jetzt auch vorne dran mit Verdächtigungen.
Falls es wirklich „Freunde“ aus der Ukraine waren, was bedeutet das politisch?
Die Tatsache, dass Ukrainer an einer Vertuschungsaktion oder möglicherweise an den Sprengungen beteiligt waren, sagt noch gar nichts darüber aus, ob die Regierung in Kiew der Auftraggeber war. Es gibt nicht wenige Ukrainer, die mit Russland kooperieren und die sich bereit finden, an Operationen teilzunehmen, die die Regierung Selenskyj diskreditieren sollen. Von daher wäre ich erst einmal sehr vorsichtig mit Schuldzuweisungen in Richtung Kiew. Ich hoffe, dass dieser Wladimir S. bald verhaftet wird und eine Klärung seiner Rolle möglich wird.
Bundesregierung: Ukraine-Hilfe unabhängig von Nord Stream
(Update der Redaktion:) Die bisherigen Ermittlungsergebnisse ändern laut dem stellvertretenden Regierungssprecher Wolfgang Büchner nichts an der Unterstützung Deutschlands für die Ukraine. Er betonte auf Nachfrage von Journalisten in Berlin, „dass hier die Ermittlungen nach Recht und Gesetz geführt werden auch ohne Ansehen der Person und auch völlig unabhängig davon, zu welchem Ergebnis solche Ermittlungen führen“.
Die Ermittlungen hätten auch keinen Einfluss darauf, ob und in welchem Umfang Deutschland die Ukraine auch in Zukunft unterstützen werde. Denn sie änderten „nichts an der Tatsache, dass Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt“, fügte er hinzu.