Handschlag im fahrenden ICE

Bahnfahren verbindet. Liebende mit ihrer Fernbeziehung. Berufspendler mit ihrem Arbeitsplatz. Urlauber mit ihrem Reiseziel. Und manchmal auch Kontrahenten, bei denen man sonst gern den Eindruck hat, dass sie sich am liebsten mit dem Rücken ansehen. So etwa im Fall von Deutschlands oberstem Lokführer Claus Weselsky und dem Personalvorstand der Deutschen Bahn.

Doch auf den letzten Metern im ICE von Frankfurt nach Berlin – zwischen Spandau und dem Hauptbahnhof – gelang am Internationalen Frauentag etwas, was viele in den Wochen zuvor kaum jemand für möglich gehalten hatten. Weselsky und Bahn-Managerin Sigrid Heudorf, die für Personalvorstand Ulrich Weber eingesprungen war, besiegelten per Handschlag den Tarifabschluss zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und dem Konzern. Ganz ohne die Schlichter Bodo Ramelow und Matthias Platzeck. Aber der Ministerpräsident aus Thüringen und der Ex-Regierungschef aus Brandenburg hatten zuvor nach sechs erfolglosen Verhandlungsrunden zwischen den Tarifparteien in acht intensiven Schlichtungswochen die Grundlage für den am Ende erfolgreichen Handschlag gelegt.

Für die streikgeplagten Bahn-Kunden ist die Einigung eine gute Nachricht. Nachdem sich das Unternehmen im vergangenen Dezember bereits mit der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) auf einen Abschluss geeinigt hatte, ist jetzt bis Herbst 2018 Ruhe an der Tariffront. Und auch der nach dem überraschenden Abgang von Bahn-Chef Rüdiger Grube führerlose Konzern kann aufatmen. Ein mehrwöchiger Streik hätte dem Unternehmen in dieser Situation sehr geschadet.

Leicht ist die Einigung nicht gefallen: „Einen derart komplexen Tarifvertrag hatte ich noch nie in meinen Händen“, sagte ein sichtlich erfreuter und gelöster Ramelow, der viel Erfahrung als Tarifpolitiker hat. Schließlich ging es nicht nur um Lohnprozente, sondern um etwas, was in den meisten Unternehmen selbstverständlich ist: planbare Arbeitszeiten und regelmäßige freie Wochenenden. Das aber in einem Unternehmen hinzubekommen, das seine Züge rund um die Uhr über die Gleise der Republik und im Ausland rollen lässt, ist eben keine Kleinigkeit. „Gerade in einem Betrieb, der auf Schichtbetrieb fußt, ist die Planbarkeit des Lebens eine der größten Lebensqualitäten überhaupt“, sagte Platzeck.

Erreicht haben Arbeitgeber, Gewerkschaft und Schlichter nun – wie in Tarifverhandlungen üblich – einen Kompromiss. Die mit der EVG vereinbarte Einmalzahlung von 550 Euro für die Monate Oktober 2016 bis März 2017 ist bereits an alle Beschäftigten ausgezahlt worden. Der GDL-Abschluss sieht nun vor, dass das Entgelt für das Zugpersonal ab April um 2,5 Prozent angehoben wird. Eine zweite Stufe von 2,6 Prozent folgt im Januar 2018. Lokführer, Zugbegleiter oder Bordgastronomen können dann aber wählen, ob sie lieber das Geld, eine von 39 auf 38 Stunden abgesenkte Wochenarbeitszeit oder sechs Tage mehr Urlaub haben. Bis hierhin ist der Abschluss weitgehend identisch mit dem bereits mit der EVG erzielten Ergebnis. Die Bahn legt großen Wert darauf, nur „widerspruchsfreie“ Tarifverträge im Konzern zu haben, also gleiche Regeln für Lokführer oder Zugbegleiter – egal, ob sie bei der GDL, der EVG oder gar nicht organisiert sind.


Basis für ein friedliches Miteinander

Um bessere Planungssicherheit für die Beschäftigten zu erhalten, wurden darüber hinaus verbindliche Regeln vereinbart. So erhalten die Mitarbeiter künftig eine Jahres-, Monats- und Wochenplanung mit Urlaubs- und Ruhetagen. Mit seiner Forderung, dass auf eine Fünf-Tage-Schicht zwingend zwei Ruhetage folgen müssen, konnte Weselsky sich nicht durchsetzen. Diese Forderung hätte nach Berechnungen der Bahn im Schichtdienst zu einer Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich geführt. Zumindest im Jahresdurchschnitt soll das 5+2-Prinzip nun aber gelten, was die Schichtplaner noch vor einige Schwierigkeiten stellen dürfte. Insgesamt habe man aber eine gute Balance zwischen den „völlig berechtigten Interessen der Mitarbeiter“ und dem 24-Stunden Schichtbetrieb der Bahn gefunden, sagte Heudorf, die im Unternehmen den Bereich Beschäftigungsbedingungen und Sozialpolitik verantwortet. Weselsky sprach von einem Kompromiss, mit dem die GDL-Mitglieder „sehr zufrieden sein können und auch werden“. Er hob hervor, dass es zudem gelungen sei, eine bessere Eingruppierung in den Entgelttabellen zu erreichen, von der vor allem junge Lokführer profitieren. Nur so könne man dem Nachwuchsmangel begegnen und den Beruf wieder attraktiver machen. Im Schnitt dauere es heute 180 Tage, bis eine freie Lokführerstelle besetzt werden könne.

Am Ende bleibt die Hoffnung, dass hitzige Tarifauseinandersetzungen zwischen Bahn und GDL mit wochenlangen Streiks künftig eher Seltenheitswert haben werden. So hätten beide Seiten vereinbart, künftig fairer miteinander umzugehen und nicht – wie oft in der Vergangenheit – gleich jeden Vorschlag der Gegenseite als Gemeinheit abzuqualifizieren. Dazu soll ein Dialogforum eingerichtet werden, um Konflikte zu lösen und künftige Tarifrunden vorzubereiten. „Die Basis für einen sozialpartnerschaftlichen Umgang ist jetzt zwischen Bahn und GDL gelegt“, lobte Platzeck. Dabei sollte das zwischen Tarifparteien eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

Ramelow empfahl, die Zeit bis zur nächsten Tarifrunde zu nutzen, um einen Flächentarifvertrag für alle Bahnbeschäftigten in Deutschland zu erreichen, der auch die privaten Konkurrenten einbezieht. Nur so lasse sich eine „Schmutzkonkurrenz über Niedriglohn“ ausschließen. Auch die Arbeitszeitregelungen sollten Schule machen, denn „ein Millionenkonto an Überstunden ist kein tragbarer Zustand“, sagte er.

Der sonst leicht auf Konflikt gebürstete Weselsky, dessen Gewerkschaft in diesem Jahr ihr 150-jähriges Bestehen feiert, ließ am Ende versöhnliche Töne hören. Man sei in der Vergangenheit gut darin gewesen, sich auseinanderzusetzen, aber schlecht darin, sich dann wieder zusammenzusetzen. „Aber Sie sehen, wir können auch anders“, sagte der GDL-Chef. Kein Eisenbahner sei von vorneherein auf Streik aus, im Gegenteil, er liebe seine Arbeit und wolle, dass die Räder rollen. Eines hat dieser Tarifkonflikt auf jeden Fall gezeigt: Manchmal ist ein fahrender Zug einer Lösung dienlicher als ein durch Streik lahmgelegter.

KONTEXT

Die Baustellen der Bahn

Fernverkehr

Im Herbst hat die Bahn den neuen ICE 4 vorgestellt - und sich im Fernverkehr Einiges vorgenommen. Um 25 Prozent soll das Angebot bis 2030 ausgebaut, fünfzig Millionen neue Fahrgäste gewonnen werden. Tatsächlich schafft es die Bahn mit ihrer Preisoffensive, etwa mit den 19-Euro-Tickets, mehr Fahrgäste in die Züge zu locken. Aber die Rendite leidet.

Güterverkehr

Der Güterverkehr der Bahn ist ein Sanierungsfall. Zwar verbesserte sich das Ergebnis von DB Cargo im ersten Halbjahr 2016, aber die Sparte ist defizitär - und das schon seit Jahren. Zwischen 2007 und 2015 stagnierte die Verkehrsleistung, und das in einer boomenden Wirtschaft. Private Anbieter, auch auf der Straße, machen der Bahn zunehmend Konkurrenz.

Pünktlichkeit

174,63 Millionen Minuten haben die Personen- und Güterzüge der Bahn 2015 an Verspätungen eingefahren. Hauptursache ist die wachsende Zahl von Baustellen. Zwar schneidet die Bahn im ersten Halbjahr 2016 besser ab. Aber: Das Bemühen um pünktliche Züge ist laut Bahnchef Grube "mit großen Kraftanstrengungen verbunden".

Infrastruktur

Die Bahn investiert viel Geld in die Infrastruktur: Gut 5,2 Milliarden Euro flossen 2015 etwa in die Instandhaltung von Schienenwegen und Brücken. Doch es hapert bei der Koordinierung der vielen Baustellen. Und so verursacht die von Konzernchef Grube gefeierte "größte Modernisierungsoffensive in der Bahn-Geschichte" vor allem eines: Verspätungen.

Privatisierung

Die Bahn braucht Geld, um den Schuldenanstieg zu bremsen. Geplant war deshalb ein Verkauf von maximal 40 Prozent der britischen Tochter Arriva und des Transport- und Logistikkonzerns DB Schenker. Arriva sollte im zweiten Quartal 2017 an der Londoner Börse starten, Schenker danach in Frankfurt. Doch die Pläne sind jetzt vom Tisch.

Stuttgart 21

Bahnchef Grube feierte kürzlich die Grundsteinlegung für den Stuttgarter Tiefbahnhof, aber das Großprojekt bleibt umstritten. Beim Volksentscheid 2011 war noch von 4,5 Milliarden Euro Kosten die Rede. Der Bundesrechnungshof hält nun offenbar zehn Milliarden Euro für möglich, Grube selbst spricht von 6,5 Milliarden Euro.