Harald Lesch über Digitalisierung: "Seid ihr wahnsinnig?"

Harald Lesch findet klare Worte: "Wie kommt man eigentlich darauf, Algorithmen zur Bewertung von Menschen einzusetzen, etwa im Bewerbungsgespräch? Seid ihr wahnsinnig?" (Bild: ZDF)
Harald Lesch findet klare Worte: "Wie kommt man eigentlich darauf, Algorithmen zur Bewertung von Menschen einzusetzen, etwa im Bewerbungsgespräch? Seid ihr wahnsinnig?" (Bild: ZDF)

Ohne die Welt des Digitalen wären wir in der Pandemie wohl aufgeschmissen. Doch lauern in den Algorithmen auch Gefahren, warnt Harald Lesch: "Wir sollten nicht alles tun, was wir tun können", so der TV-Professor.

Homeschooling, digitale Konferenzen und die Großeltern zumindest am Bildschirm grüßen: Die Digitalisierung rettete im vergangenen Jahr zumindest einen Bruchteil Normalität. "In der Pandemie ist das dank vieler wichtiger Kommunikationsmöglichkeiten ja eine wahre Freude gewesen", weiß auch Harald Lesch. Zugleich hat der Münchner Professor allerdings "das Gefühl, dass im Hintergrund ziemlich katastrophale Dinge passieren", warnte er im Interview mit der Nachrichtenagentur teleschau. Viele Hacker hätten sich etwa die Situation zunutze gemacht.

"Natürlich ist die Chance da, mithilfe von Digitalisierung extrem gute Ergebnisse zu erzielen - etwa in der Landwirtschaft", sagte Lesch. Komme aber "die egomanische Komponente hinzu, dann wird es katastrophal". Weshalb, führte der Münchner Astrophysiker weiter aus: "Im Reinraum, ohne all die Interessen, Zwecke und Ziele, ohne Triebe wie Gier, ist Technik - wie etwa bei der Digitalisierung - ethisch völlig neutral. Aber in der Kombination mit dem Menschen wird sie zu einer Machtmaschine und Bedrohungsmaschine, zu einer Maschine der Manipulation und praktischen Dehumanisierung - denken wir an autonom entscheidende Waffensysteme."

Die Gesellschaft müsse dafür sorgen, dass auch mit Blick auf die Digitalisierung Grenzen gezogen werden, warnte Harald Lesch in einem Interview. (Bild: ZDF / Johanna Brinkmann)
Die Gesellschaft müsse dafür sorgen, dass auch mit Blick auf die Digitalisierung Grenzen gezogen werden, warnte Harald Lesch in einem Interview. (Bild: ZDF / Johanna Brinkmann)

"Ein Algorithmus ist nicht intelligent"

Scharfe Kritik übte Lesch hinsichtlich der Möglichkeiten, mit denen Algorithmen inzwischen die Gesellschaft beeinflussen können: "Wie kommt man eigentlich darauf, Algorithmen zur Bewertung von Menschen einzusetzen, etwa im Bewerbungsgespräch? Seid ihr wahnsinnig?" Weiter erhob Lesch im Gespräch mit der teleschau klare Forderungen: "Diesen wissenschaftlichen Missentwicklungen müssen wir entgegentreten. Wir sollten nicht alles tun, was wir tun können." Die Gesellschaft müsse dafür sorgen, dass Grenzen gezogen werden, so der Naturphilosoph.

Was die Algorithmen angeht, stellte der Wissenschaftsjournalist in dem Interview aber auch klar: "Ein Algorithmus ist nicht intelligent, er kann nicht von sich absehen, nicht über sich hinausgehen." Er sei deshalb in seinem Sprachgebrauch vorsichtiger geworden, so Lesch: "Ein Algorithmus hat auch keine Probleme, deshalb kann er keine Probleme lösen. Er lernt auch nichts. Sondern wertet Datenmaterial nach bestimmten Kriterien aus. Lernen und Probleme lösen können nur Menschen."

Wie wir Menschen im Laufe der Jahrhunderte mit Hilfe der Wissenschaft erforschten, was die Welt eigentlich zusammenhält, zeigt Harald Leschs aktuelle "Terra X"-Sendung unter dem Titel "Supercodes - Die geheimen Formeln der Natur" (Sonntag, 9. Mai, 19.30 Uhr, im ZDF).