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Wer tötete Libanons Ex-Premier Rafik Hariri?

Der frühere libanesische Premierminister Rafik Hariri (M) im Jahr 2004.
Der frühere libanesische Premierminister Rafik Hariri (M) im Jahr 2004.

Der Mord an Libanons ehemaligem Regierungschef schockte 2005 die Welt. Sechs Jahre verhandelte ein Sondertribunal ohne Angeklagte. Am Ende gab es viele Handy-Daten, wenig Beweise und ein Urteil.

Den Haag/Beirut (dpa) - Der Terroranschlag war einer der schwersten in der Geschichte des Libanon: Fast 3000 Kilogramm Sprengstoff hatten die Attentäter eingesetzt, als sie vor 15 Jahren den ehemaligen Premier Rafik Hariri töteten.

Die Druckwelle war noch kilometerweit zu spüren. Der Terroranschlag schockte die Welt. Sechs Jahre lang hatte ein auf Initiative der UN eingerichtetes Sondertribunal über den Hariri-Fall verhandelt. Am Dienstag urteilten die Richter: Ein Libanese wurde für schuldig befunden, drei andere freigesprochen.

Das Urteil war im Libanon wegen möglicher politischer Auswirkungen und Verbindungen zur schiitischen Hisbollah mit großer Spannung erwartet worden. Der Sohn des ermordeten Ex-Premiers akzeptierte es. Mit der Entscheidung habe das Gericht «große Glaubwürdigkeit» bewiesen, sagte Saad Hariri. Sein Vater sei ermordet worden, weil er gegen die Politik des syrischen Regimes gewesen sei. Für Saad Hariri besonders wichtig: Es sei deutlich geworden, dass das Netzwerk der Täter aus den Reihen der Hisbollah-Organisation stamme.

Mit dem Urteil geht ein Verfahren zu Ende, das Rechtsgeschichte geschrieben hat. Denn es war der erste Terrorismus-Prozess eines internationalen Gerichts. Doch es war ein Prozess ohne Angeklagte. Alle vier blieben bis zum letzten Tag spurlos verschwunden. Und die Beweislage gegen die vier Libanesen der Hisbollah war dürftig. «Es gibt fast ausschließlich indirekte Beweise», sagte der Vorsitzende Richter David Re.

Am Ende reichte es nur für einen Schuldspruch: «Salim Dschamil Ajjasch ist zweifelsfrei schuldig befunden worden», sagte Richter Re. Er ist nach dem Urteil einer der Hauptdrahtzieher, verantwortlich für Planung und Ausführung des Terroranschlages und damit der Morde ab Hariri und 21 anderen Personen. Ihm droht nun eine lebenslange Haftstrafe. Über das Strafmaß wird erst im September entschieden.

Am 14. Februar 2005 hatte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt, als Hariris Autokolonne im Zentrum der libanesischen Hauptstadt Beirut vorbei fuhr. Außer dem 60 Jahre alten sunnitischen Politiker starben noch 21 Personen, 226 wurden verletzt. Zeugen verglichen die Explosion mit einem Erdbeben. Das Entsetzen im Libanon und die internationale Empörung waren groß.

Hariri, ein schwerreicher Geschäftsmann, genießt bis heute bei vielen Libanesen großes Ansehen. Er spielte beim Wiederaufbau des Landes nach 15 Jahren Bürgerkrieg eine zentrale Rolle. Und er wollte sich erneut zur Wahl stellen und der syrischen Dominanz im Libanon ein Ende bereiten. Da lag, so skizzierten die Richter es in ihrem Urteil, das Motiv für den Anschlag. «Das Attentat war zweifellos eine politische Tat.» Doch direkte Beweise für eine Beteiligung der Führung der pro-syrischen Hisbollah oder Syriens fanden die Richter nicht.

Viele Libanesen aber machen bis heute das Nachbarland für Hariris Tod verantwortlich. Es hatte damals Truppen im Libanon stationiert. Die schiitische Hisbollah, vom Iran unterstützt und mit der syrischen Regierung verbündet, weist jegliche Verantwortung zurück. Syrien war nach dem Attentat gezwungen, seine Truppen abzuziehen.

Das Verfahren in Leidschendam in einem früheren Bürohaus war eines der Superlative. Es kostete hunderte Millionen Euro - zur Hälfte bezahlt von den UN und dem Libanon. 297 Zeugen sagten aus. Das Urteil umfasst über 2600 Seiten.

Bei den Beweisen, die das Team um den kanadischen Chefankläger Norman Farrell vorgelegt hatte, ging es vor allem um Handydaten. Aus unzähligen Daten baute die Anklage eine Beweiskette auf - als wäre es ein 10 000-Teile-Puzzle.

Die Verschwörer hatten vier Telefonnetzwerke: Um Hariri zu beobachten, seine Bewegungen zu überwachen und schließlich den Anschlag zu koordinieren und auszuführen. Mit Hilfe der Daten von Sendemasten konnten die Ankläger minutiös rekonstruieren, wo die Angeklagten waren, vor und während des Attentates und mit wem sie telefonierten. Nur: Über den Inhalt der Gespräche ist nichts bekannt.

Am Ende reichte es nur für einen Schuldspruch aus. «Ajjasch muss ein Kernmitglied der Verschwörung gewesen sein.» Nur er war als Einziger direkt des terroristischen Anschlages beschuldigt worden. Die anderen sollten Komplizen sein und unter anderem ein falsches Bekennervideo produziert haben, das den Verdacht auf sunnitische Extremisten lenken sollte. Selbst die Schuld des mutmaßlichen Hauptdrahtziehers konnte nicht bewiesen werden. Mustafa Badreddin, ein Militärführer der Hisbollah, war 2016 getötet worden.

Auch der Schuldspruch ist rein symbolisch, denn die Hisbollah wird Ajjasch kaum ausliefern. Das Urteil kann aber in der Politik des Libanons Spuren hinterlassen. Auch wenn es keine direkten Beweise für eine Schuld der Hisbollah gibt, stellten die Richter unmissverständlich den politischen Hintergrund des Anschlags fest.

Die Hisbollah zählt in dem kleinen Land am Mittelmeer zu den mächtigsten politischen Akteuren und ist an der Regierung beteiligt. Doch die politische Elite - und mit ihr die Hisbollah - steht unter Druck. Seit Monaten gibt es immer wieder Proteste gegen die Regierung und die schlechte Wirtschaftslage. Die verheerende Explosion in Beirut, wegen der die Urteilsverkündung verschoben worden war, hat die Wut der Menschen noch vergrößert.

«Wir wissen, dass das Urteil selbst nicht wichtig sein wird, weil es nicht umgesetzt werden kann», sagte der libanesische Politiker Marwan Hamadah, ein Vertrauter Hariris. «Aber es ist eine internationale Maßnahme und es könnte dem Libanon eines Tages erlauben, seine rechtlichen Verpflichtungen umzusetzen und die Täter festzunehmen.»