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"Hart aber fair": Drei Minister - eine Meinung

Bei "Hart aber Fair" waren Franziska Giffey, Jens Spahn und Hubertus Heil zu Gast. (Bild: Screenshot ARD)
Bei "Hart aber Fair" waren Franziska Giffey, Jens Spahn und Hubertus Heil zu Gast. (Bild: Screenshot ARD)

Einen seltenen Auftritt konnten die ARD-Zuschauer gestern bei „Hart aber fair” verfolgen: Drei Minister - eine Meinung. Die beiden SPD-Ressortchefs Franziska Giffey und Hubertus Heil zelebrierten 75 Minuten lang traute Eintracht mit CDU-Mann Jens Spahn. So als wollte das Erste beweisen, dass die Groko trotz aller aktueller Zerwürfnisse handlungsfähig sei. Vielleicht fühlte sich Moderator Frank Plasberg deshalb genötigt zu betonen, dass diese Sendung schon lange geplant war. Sein SWR-Kollege hielt das harmonische Trio dennoch für ein „Marketingtool”.

Trotz der aktuellen SPD-Führungskrise drehte sich am Montagabend die Diskussion um den Pflegenotstand in Deutschland. Sachthema statt Personaldebatte. Keine schlechte Idee. Schließlich dürfte fast jeder hierzulande pflegebedürftige Angehörige haben. Und die Frage, wie wir im Alter ein menschenwürdiges Leben führen können, ist allemal interessanter, als die Suche nach einem oder einer neuen SPD-Vorsitzenden.

Das waren die Gäste:

Franziska Giffey, SPD-Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Hubertus Heil, SPD-Bundesminister für Arbeit und Soziales

Jens Spahn, CDU-Bundesgesundheitsminister

Gottlob Schober, SWR-Pflegeexperte

Silke Behrendt-Stannies, Altenpflegerin,

Clarissa Gehring, angehende Altenpflegerin

Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands privater Pflegeheime und Betreiber dreier Pflegeheime

Wie ist die Situation in der Pflege?

Nicht gut. Soviel ist sicher. Altenpflege-Azubi Clarissa Gehring, derzeit im dritten Lehrjahr, sagte:

„Ich habe mehrmals in den vergangenen Jahren daran gedacht, meine Ausbildung abzubrechen.

Als Azubi sei sie allein für zwölf Heimbewohner zuständig. „Oft muss ich Bewohner, die reden möchten, abwimmeln, weil ich keine Zeit habe.” Für ihre Arbeit bekomme sie 680 Euro brutto, berichtete Gehring. Die erfahrene Altenpflegerin Silke Behrendt-Stannies sieht das ähnlich:„Ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Situation verbessert hat.”

SWR-Journalist Schober erzählte: „Ein Heimleiter hat mir erzählt, dass er aus Personalmangel mittlerweile Pflegekräfte einstellt, die er vor 3 Jahren noch nicht mal zum Vorstellungsgespräch eingeladen hätte.” Schobers Fazit: „Die Qualität der Pflege sinkt.”

Was unternimmt die Politik?

Bei Plasberg glänzten die drei Minister vor allem mit blumigen Absichtserklärungen. Die meisten Sätze begannen so: Wir werden...Wir müssen... Wir wollen...Ministerin Giffey: „Wir drei arbeiten seit drei Jahren sehr intensiv an dem Thema.” Minister Heil: „Wir müssen mehr anpacken, für mehr Personal und mehr Zeit, Pflegekräfte müssen besser entlohnt werden, sie brauchen bessere Arbeitsbedingungen.” Minister Spahn: „Zu Detailfragen sind wir in der Großen Koalition noch im Gespräch.” Nach über einem Jahr Regierungsarbeit ist das ein überschaubares Ergebnis.

Was ist konkret geplant?

SPD-Mann Heil will die Entlohnung von Pflegekräften anheben. Er versprach: Sollten die Pflegeheimbetreiber und Pflegekräfte keinen Tarifvertrag abschließen, werde die Regierung Lohnuntergrenzen für Pflegekräfte beschließen. Tatsächlich arbeiten derzeit nur 20 Prozent der Pflegekräfte tarifgebunden.

Seine Kollegin Giffey kündigte an: „Wir werden ab 2020 eine neue Ausbildungsoffensive starten, bei der die Schulgebühr abgeschafft und eine Ausbildungsvergütung eingeführt wird.” So soll der Pflegeberuf attraktiver werden.

CDU-Mann Spahn schob den schwarzen Peter den Pflegekräften zu. Die seien einfach schlecht organisiert. Spahn: „Die Pflegekräfte sind derzeit am längeren Hebel, weil es kaum einen Pflegedienst gibt, der nicht nach Fachkräften sucht; sie müssten sich nur in Vereinen oder Kammern zusammenschließen, um ihre Interessen zu vertreten.”

Was sagen die Betroffenen zu den Groko-Vorschlägen?

SWR-Pflegeexperte Gottlob Schober glaubt nicht, dass es in naher Zukunft angemessene Tarifverträge gibt. Er sagte: „Die Politik hat die Verantwortung an die Heimbetreiber und an die Krankenkassen abgegeben und diese Selbstverwaltung ist mit verantwortlich für die derzeitige Situation.” Zuerst müsse man diese Selbstverwaltung ändern. Schober zu den drei Ministern: Ihr Auftritt hier st nur ein Marketingtool.”

Dass eine gewerkschaftliche Organisierung nicht so einfach ist, machte die angehende Altenpflegerin Clarissa Gehring klar. Sie sei in ihrem Heim die einzige Auszubildende und daher sei es schwierig, sich mit anderen zusammen zuschließen.

Völlig weltfremd war die Forderung von Heimbetreiber Meurer. Er erklärte zum Thema Ausbildungsvergütung: „Die Pflegekräfte müssen auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern verhandeln.” Denn welcher Lehrling stellt sich schon selbstbewusst vor seinen Chef und verlangt mehr Gehalt?

Zoff um des Abends

Den lieferten sich Gesundheitsminister Spahn und Heimbetreiber Meurer. Letzterer forderte mehr Zuwanderung, um den Pflegekräftemangel auszugleichen. Dabei wetterte er zunächst gegen Außenminister Heiko Maas (SPD), der gar nicht im Studio war. 30.000 Krankenschwestern auf den Philippinen, hochqualifiziert, warten nur drauf, bei uns zu arbeiten und müssen ein Jahr warten, bis sie überhaupt die deutsche Botschaft betreten dürfen”, polterte er. „Und wenn die dann endlich in Deutschland sind, haben sie nochmal zehn, zwölf Monate Anerkennungsverfahren!“ Dann fügte Meurer hinzu: „Offenbar fehlt dem Herrn Maas die Bereitschaft, sich von den diplomatischen Höhen mal in die Realität zu bewegen!“

Daraufhin platzte Spahn der Kragen: „Wir beide tingeln seit 18 Jahren durch die Talkshows und immer höre ich dieses Genörgel.” Ihn nerve das, so Spahn. „Ihr Verband weigert sich, seit Jahren Tarifverträge abzuschließen und jetzt das.” Heimlobbyist Meurer erwiderte, er sei nur gegen allgemeinverbindliche, bundesweit geltende Tarifverträge. Schließlich sei das Leben in Sachsen-Anhalt günstiger als in München.

Die Phrase des Abends...

...lautete: „Wir haben uns committed.” Mit dieser Aussage glänzten Hubertus Heil und Franziska Giffey. Soll wohl heißen: Die Groko rackert sich richtig ab. Offenbar arbeiten bei der SPD Pressesprecher oder Politikberater, die noch nicht wissen, dass Denglish-Kauderwelsch nicht professionell, sondern peinlich wirkt.

Den Satz des Abends...

...sagte Altenpflegerin Behrend-Stannies: „Auch im Schneckentempo kann man gegen die Wand fahren.“

Fazit

Wie so oft lieferte die Talkshow eine umfangreiche Bestandsaufnahme. Positiv formuliert: Die Politik hat das Problem offenbar erkannt. Doch darüber hinaus blieb der Erkenntnisgewinn überschaubar. Das Pflegepersonal wünscht sich mehr Zeit für die Patienten und bessere Bezahlung. SPD und CDU hoffen darauf, dass Pflegedienste ihre Mitarbeiter besser zahlen, verfügen mit der möglichen Einführung einer Lohnuntergrenze aber nur über ein relativ schwaches Druckmittel. Und private Heimbetreiber suchen ihr Heil in der Zuwanderung von qualifiziertem Pflegepersonal aus dem Ausland. Vielleicht in der Hoffnung auf pflegeleichte Billigkräfte, mit denen sie nicht über Tarifverträge verhandeln müssen.