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Hart aber fair: Niedriglohn-Diskussion sorgt für jede Menge Zündstoff

WDR-Moderator Dieter Könnes (M.) klärt über die miserablen Arbeitsbedingungen von Paketzustellern auf. (Bild: WDR)
WDR-Moderator Dieter Könnes (M.) klärt über die miserablen Arbeitsbedingungen von Paketzustellern auf. (Bild: WDR)

Als Moderator Frank Plasberg am Montagabend seine Polit-Talkshow „hart aber fair“ mit einer Diskussionsfrage zur künftigen Arbeitswelt eröffnet, ahnt noch niemand, dass in der Runde ein Skandal aufgedeckt werden würde, zu dem mittlerweile die Polizei ermittelt.

Kaum ein anderes Thema liefert in den letzten Jahren mehr innenpolitischen Zündstoff als jenes, das in der Montagsausgabe von „Hart aber fair“ auf den Tisch kam. „Feste Jobs gestrichen, Löhne gedrückt: Ist das die neue Arbeitswelt?“ lautete die Diskussionsfrage für die Gäste der Talkshow. „Hart“, so leitet Frank Plasberg seine Sendung ein, „ist, dass Siemens Milliardengewinne macht und trotzdem die Entlassung von 3.300 Mitarbeitern androht.“ Für viele fühlt sich der Wirtschaftsboom, von dem alle reden, eher wie eine Krise an. Und während Tausende Industriejobs gestrichen werden, brummt das Geschäft für Paketboten und Co., so der Tenor, der die Diskussion ins Rollen bringen soll.

Die Gäste: Wirtschaftsjournalist Roland Tichy, Vorsitzender des Bundesverbandes Paket und Expresslogistik Florian Gerster, SPD-Politikerin Leni Breymaier, Sozialethiker Bernhard Emunds, Moderator Dieter Könnes, Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther, Moderator Plasberg (v.l.n.r.). (Bild: WDR)
Die Gäste: Wirtschaftsjournalist Roland Tichy, Vorsitzender des Bundesverbandes Paket und Expresslogistik Florian Gerster, SPD-Politikerin Leni Breymaier, Sozialethiker Bernhard Emunds, Moderator Dieter Könnes, Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther, Moderator Plasberg (v.l.n.r.). (Bild: WDR)

Sozialdemokratin Breymaier ist sichtlich aufgewühlt, angesichts der wirtschaftlichen Lage. Ihre Wut flammt während der Diskussion immer mal wieder auf, ansonsten gibt es von der ehemaligen Gewerkschafterin an diesem Abend nicht viel zu hören: „Ich erwarte, dass Siemens sich mehr Gedanken macht, als nur Standorte zu schließen (…), dass er Verantwortung für die Gesellschaft übernimmt.“

Auch derChefredakteur der „Wirtschaftswoche“ Tichy vermisst bei Siemens die Bemühungen um den Erhalt von Arbeitsplätzen. Er glaubt darüber hinaus, dass Konzerne wie Siemens große Standorte stärken wollen, zulasten von kleinen. Damit macht er auf ein generelles Problem in Deutschland aufmerksam, nämlich dass „die guten Industriearbeitsplätze in Deutschland verloren gehen, während unten bei den Dienstleistungen schlecht bezahlte entstehen. Das spaltet die Gesellschaft.“ Und während Wirtschaftswissenschaftler Hüther mit seinen Vorrednern gleichzieht – „Bleibt trotzdem eine standortpolitische Verantwortung“ – bringt es Sozialethiker Emunds noch mal in einem Satz auf den Punkt: „Görlitz wird zum Altenheim“, weil Siemens sein Werk dort schließt.

Immerhin, einer polarisiert an diesem Abend. Wenn auch nur per Einspieler: „Dass durch Arbeitsplatzabbau die Effizienz des Unternehmens gesteigert wird, das ist asozial!“, ruft Martin Schulz in die Menge, der dieser Talkrunde gut getan hätte. Denn danach plätschert die Sendung weiter vor sich hin – bis zum nächsten Einspieler um die Fragen „Welche Arbeitsplätze ersetzen dann die gut bezahlten Industrieplätze?“ und „Sind Lieferdienste die Jobs der Zukunft?“ Um diese zu beantworten, begab sich Moderator Dieter Könnes auf Spurensuche. In seinem Filmbeitrag klärt er über die miserablen Arbeitsbedingungen der Paketboten auf.

Wirtschaftsjournalist Roland Tichy (l.) während der Diskussion bei „Hart aber fair“. (Bild: WDR)
Wirtschaftsjournalist Roland Tichy (l.) während der Diskussion bei „Hart aber fair“. (Bild: WDR)

Könnes: „Bei unter zwölf bis 13 Stunden läuft da gar nichts. Die Zusteller kommen auf 6,50 Euro die Stunde.“ Zur Kamera sprechen, wollte während der Dreharbeiten vor Ort aber niemand. Könnes: „Eine [Mitarbeiterin] hatte Angst um ihr Leben. Da wird mit harten Bandagen gekämpft und es herrscht massiver Druck.“ Fazit der Recherche: Lob seitens der Polizei, die nach Erhalt der Aufnahmen von Könnes sofort zu einer Razzia ausrückte und meint: „Sie haben in ein Wespennest gestochen.“ Die polizeilichen Untersuchungen laufen.

Und dann wird es im Studio doch noch einmal laut. „Es ist nicht in Ordnung, wie reißerisch sie mit dem Thema umgehen. Das sind Einzelfälle!“, reagiert Gerster wütend. Und sieht die Schuld auch beim Verbraucher, denn das sei die natürliche Entwicklung, wenn wir nicht einkaufen gehen und die Ware bis zum Folgetag auf dem Sofa liegen haben. Die Versandhersteller kommen dem mit kostenloser Lieferung nach. Emund: „Es herrscht kein Bewusstsein mehr dafür, was diese Dienstleistung wirklich wert ist. Und dass sie auch ein paar Euro kosten muss.“

SPD-Politikerin Leni Breymaier kritisiert die zunehmende Privatisierung von Unternehmen. (Bild: WDR)
SPD-Politikerin Leni Breymaier kritisiert die zunehmende Privatisierung von Unternehmen. (Bild: WDR)

Geht es nach Breymaier, könnte in dem Fall ruhig das alte Postmonopol wieder her. „Die Privatisierung hat sich null rentiert und wird auf dem Rücken der armen Paketzusteller ausgetragen“, ruft sie wütend und erntet Applaus. Und Könnes tritt nach: „Es kann nicht die Aufgabe von Journalisten sein, solche Arbeitsbedingungen aufzudecken. Das ist Verantwortung der Arbeitgeber.“ Für Gerster sind das nach wie vor Einzelfälle. Doch auch Professor Emunds sieht die klare Verantwortung bei den Unternehmen: „Es ist eine natürliche Entwicklung, dass sich das Konsumverhalten ändert. Sie machen die Leute schlecht – ich würde aber erst mal sagen, dass es Ihre Unternehmen sind, die die Paketdienste zu so günstigen Konditionen anbieten.“ Alle gegen Emunds. Zu guter Letzt bringt eine Zuschauerfrage, was denn wäre, wenn Pakete zukünftig per Drohne kommen, das Fass rundum die gesamte Diskussion zum Überlaufen.

Fazit des Abends: Das Thema Siemens war schnell abgehakt. Doch gesellschaftsnahe Themen, wie das Leid der Paketzusteller sorgten für jede Menge Diskussionsbedarf und retteten die Sendung auf halber Strecke, zum Leidwesen von Gerster. Was bleibt, sind viele Fragen, aber vielleicht auch das kritische Hinterfragen des eigenen Konsumverhaltens.