"Jeder hat Bock, endlich wieder die Motoren zu hören"

Die MotoGP - die Königsklasse des Motorradrennsports - kehrt zurück aus der Corona-Pause. Rennfahrer Stefan Bradl ist für ServusTV als Experte mit von der Partie und verrät im Gespräch, warum er eine getrübte Atmosphäre erwartet, und wie sehr es ihn schmerzt, dieses Jahr nicht mit dabei zu sein.

Im spanischen Jerez qualmen jetzt wieder die Reifen auf dem heißen Asphalt: Mit viermonatiger Verspätung startet am Wochenende auch die Königsklasse des Motorradrennsports, die MotoGP, in die Saison 2020 - aufgrund der Corona-Pandemie ohne Fans, ohne Party, ohne die gewohnte Atmosphäre. Das gesamte Rennwochende lang berichtet ServusTV wieder vom Training, vom Qualifying und natürlich auch vom "Grand Prix von Spanien" (Sonntag, 19. Juli, 14 Uhr). Als Experte im mittlerweile dritten Jahr dabei ist der deutsche Rennfahrer Stefan Bradl, der eine Woche später, zum zweiten Rennwochende, in Jerez im Einsatz sein wird.

Der 30-Jährige, dessen Vater bereits auf zwei Rädern über die Rennstrecken bretterte, wurde 2011 Weltmeister in der Moto2-Klasse und geht seit Jahren auch in der MotoGP an den Start. Aktuell ist der aus dem bayerischen Zahling stammende Bradl als Honda-Testfahrer beschäftigt und fuhr die vergangenen Jahre mit einer sogenannten Wildcard auch weiter MotoGP-Rennen. Diese Option fällt 2020 allerdings aus. Auch wenn Stefan Bradl auf diese persönlichen Höhepunkte verzichten muss, ist er doch heiß wie ein Auspuffrohr auf die neue Saison.

teleschau: Herr Bradl, der Saisonstart war für März geplant, doch dann kam Corona. Drei Monate ging auch im Rennsport gar nichts. Wie sehr haben Sie gelitten?

Stefan Bradl: Es war hart. Jetzt kann ich es natürlich kaum erwarten, dass es endlich losgeht. Selbstverständlich hat jeder Bock darauf, endlich wieder die Motoren zu hören und die Meisterschaft zu starten. Corona macht die Situation natürlich komplizierter, aber wir müssen die neuen Umstände so akzeptieren, wie sie sind, und das Beste aus der Sache machen.

teleschau: Die ersten beiden MotoGP-Rennwochenenden finden im spanischen Jerez statt, und Sie stehen für ServusTV wieder an der Strecke.

Bradl: Genau. Ich habe ja bereits 2017 ein bisschen bei ServusTV reingeschnuppert, und ein Jahr später richtig angefangen. 2020 gehe ich also in meine dritte Saison als Experte. Ich werde ab dem zweiten Rennen, dem "Grand Prix von Andalusien" in Jerez, wieder einsteigen, und freue mich darauf, den MotoGP-Fans ein Stück dieses Events nach Hause zu transportieren.

teleschau: Worauf müssen sich die Fans in dieser ganz besonderen Saison denn einstellen?

Bradl: Erst mal auf einen gewissen Gewöhnungsprozess. Erst das kommende Wochenende wird zeigen, was die neuen Regeln wirklich mit sich bringen. Es werden keine Zuschauer vor Ort sein. Das bedeutet eine andere, trübere Stimmung, als ich das sonst gewohnt bin. Vor allem im Fahrerlager ist keine lockere und schöne Atmosphäre zu erwarten.

"Fans geben einen zusätzlichen Boost"

teleschau: Wie viel bekommt ein Rennfahrer unter dem Motorradhelm von dieser Atmosphäre überhaupt mit?

Bradl: Es geht in erster Linie um die Atmosphäre drumherum. Man merkt als Fahrer aber durchaus, wenn die Tribünen voll sind und die Fans richtig Stimmung machen. Das gibt dir definitiv einen zusätzlichen Boost im Vergleich zu leeren Rängen. Jeder fährt gerne vor ausverkauftem Haus und will eine gute Show zeigen. Dieser Sport ist ja eigentlich ein Spektakel, das die Massen begeistert!

teleschau: Glauben Sie an das Sicherheits-Konzept der MotoGP?

Bradl: Der Anfang ist gemacht. Das Konzept ist umfassend und gut und wird nun entsprechend umgesetzt. Es gehört natürlich mehr dazu als die Rennfahrer auf der Strecke. Man muss auch einen riesigen Betreuerstab im Hintergrund schützen. Außerdem hoffe ich auf weitere Lockerungen in den nächsten Wochen und Monaten. Es gilt, aus 2020 noch die maximale Anzahl an Rennen herauszuholen.

teleschau: Kann der Motorradsport hier von den Erfahrungen der Formel 1 profitieren?

Bradl: Ja. In der Formel 1 hat das ganz gut funktioniert. Ich hoffe, dass das nun in der MotoGP ähnlich ablaufen wird. Die jeweiligen Veranstalter haben sich da - auch hinsichtlich des Rennkalenders - dementsprechend abgestimmt. Die MotoGP kann die Lage mindestens genauso gut meistern.

teleschau: Wie stand es zuletzt um die Trainingsbedingungen?

Bradl: Jeder hat versucht, sich privat fit zu halten und so bald wie möglich, auch auf der Rennstrecke ein paar Runden zu drehen. Es gibt da keine Trainings-Vorteile oder -Nachteile. Die letzten Kilometer auf dem MotoGP-Motorrad haben alle gemeinsam Ende März absolviert.

teleschau: Fanden Sie es unfair, dass beispielsweise die Bundesliga - und damit eine Sportart mit Körperkontakt - bereits Mitte Mai wieder starten durfte?

Bradl: Die Entscheidung war verständlich. Fußball ist in Deutschland nun einmal die Sportart Nummer eins. Ich fand es in Ordnung, dass die Bundesliga den ersten Schritt gemacht hat. Man kann unseren Sport auch nicht mit Fußball vergleichen. Das sind ganz andere Welten.

"Zu Beginn haben mich die Interviews Überwindung gekostet"

teleschau: Inwiefern wird Ihre Experten-Tätigkeit von den Umständen beeinflusst?

Bradl: Maskenpflicht und Abstandhalten gilt natürlich auch für uns. Corona-Tests sind außerdem obligatorisch, um überhaupt am Wochenende vor Ort sein zu dürfen. Die Sicherheit steht einfach an oberster Stelle.

teleschau: Wie reagieren die anderen Fahrer darauf, dass ein ehemaliger Konkurrent Ihnen ein Mikrofon vor die Nase hält?

Bradl: Zu Beginn haben die Interviews mich schon Überwindung gekostet. Es war eine komische Situation, plötzlich auf der anderen Seite zu stehen. Aber ich glaube, ich habe dadurch ein gewisses Gefühl entwickelt, welche Fragen man in welcher Situation stellen sollte. Ich habe gemerkt, die Fahrer sind mir gegenüber sehr zuvorkommend.

teleschau: Sie werden also anders behandelt, als die anderen Interviewer?

Bradl: Ja, ich bin mit sehr vielen Aktiven selber noch gefahren. Mir kam es so vor, als würde ich da anders wahrgenommen.

teleschau: Wie verhält es sich mit Ihrer Funktion als Honda-Testfahrer: Sind Sie da aktuell überhaupt beschäftigt?

Bradl: Da gab es lange kompletten Stillstand, vor allem aufgrund der Reisebeschränkungen. Mit der Test- und Entwicklungsarbeit war ich zuletzt im Februar in Malaysia beschäftigt. Der Plan ist, dass es Ende August mit der Arbeit in Italien weitergeht. Wir hoffen, das Testprogramm dann wie geplant durchziehen zu können.

"Der Wettkampf schärft meine Sinne"

teleschau: Durch den Wegfall der Wildcards werden Sie selbst an keinem Rennen teilnehmen dürfen ...

Bradl: Richtig. Da die MotoGP versucht, möglichst Personal einzusparen, war mir schon klar, dass es keine zusätzlichen Wildcards geben wird. Das ist auch verständlich. Schade ist es in meiner Position aber definitiv. Wenn kein Honda-Fahrer ausfällt und ich nicht als Ersatz einspringen muss, werde ich kein Rennen fahren.

teleschau: Aber Sie suchen nach wie vor die Wettkampfsituation?

Bradl: Absolut. Rennen sind immer etwas Besonderes. Es ist notwendig, sich unter Wettbewerbsbedingungen zu messen. Das hält mich frisch, und schärft meine Sinne. Es reizt mich einfach, zu sehen, dass ich das Niveau immer noch habe. Die MotoGP-Rennen waren immer meine Jahres-Highlights, und ich hoffe, dass ich sie nächstes Jahr nachholen kann.

teleschau: 2021 wollen Sie also auch bei der MotoGP wieder die Reifen qualmen lassen?

Bradl: So sieht es aktuell aus. Aber Corona hat uns gelehrt, dass es auch mal ganz anders gehen kann. Mai, so ist das Leben momentan.