Haushaltsstreit 2.0 - Finanzexperte rügt Ampel: „Man kann doch nicht denselben Fehler nochmal machen!“
Der Haushaltsstreit der Ampelkoalition eskaliert erneut: Heftige Attacken und gegenseitige Schuldzuweisungen dominieren. Prof. Kyrill-Alexander Schwarz klärt im Interview, warum die Tricks der Regierung problematisch und rechtlich fragwürdig sind und wie es besser gehen könnte.
Der Ampel-Haushaltsstreit geht in eine neue Runde. Die Koalitionspartner SPD, Grüne und FDP stehen sich erneut unversöhnlich gegenüber. Nach einem Gutachten zum Bundeshaushaltsentwurf müssen die Spitzen der Ampelkoalition in Nachverhandlungen gehen, die von heftigen Attacken und gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägt sind.
Kyrill-Alexander Schwarz von der Universität Würzburg, Professor für Öffentliches Recht und Experte für Finanz- und Haushaltsrecht, erklärt im Interview mit FOCUS online, mit welchen Tricks die Ampel arbeitet und warum diese problematisch sind.
FOCUS online: Herr Schwarz, wie muss man sich das vorstellen, wenn ein Bundeshaushalt aufgestellt wird, wenn SPD, Grüne und FDP versuchen, auf einen Nenner zu kommen?
Kyrill-Alexander Schwarz: Zunächst einmal gibt es eine Art Bedarfsermittlung. Man schaut, welche Ausgaben notwendig sind, insbesondere die pflichtigen Ausgaben, die aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen getätigt werden müssen. Die Ministerien melden ihren Bedarf an und der Finanzminister erstellt daraus einen Haushaltsentwurf, der dann ins Parlament eingebracht wird.
Das Parlament muss letztlich mit seinem Budgetrecht über den Haushalt entscheiden. Aktuell ist es so, dass die Bundesregierung noch am Anfang dieses Prozesses steht und die parlamentarische Befassung noch nicht erreicht hat.
Jetzt gibt es einen Entwurf und dazu ein Gutachten. Nach dem Gutachten gibt es aber wieder Zweifel und Ampel-Streit. Es gibt immer noch eine Haushaltslücke, die offenbar nicht geschlossen werden kann. Was meinen Sie: Wird die Etatplanung diesmal einer juristischen Überprüfung standhalten?
Schwarz: Das hängt davon ab, ob es einen Kläger geben wird und wie stark die verfassungsrechtlichen Bedenken sind. Niemand wird wegen einer kleinen Deckungslücke von 200 Millionen ein Verfahren vor dem Verfassungsgericht einleiten. Aber hier reden wir über knapp 17 Milliarden Euro, die offensichtlich nicht gedeckt sind.
Es besteht daher die Möglichkeit, dass es wieder Kläger geben wird, die, wie im letzten Jahr, den Haushalt verfassungsrechtlich überprüfen lassen.
„Es gibt erheblichen politischen Diskussionsbedarf sowie verfassungsrechtliche Bedenken“
Also wieder kein stabiler Haushalt?
Schwarz: Nein, überhaupt nicht. Es gibt erheblichen politischen Diskussionsbedarf sowie verfassungsrechtliche Bedenken bei der aktuellen Vorgehensweise. Ich kann den Finanzminister verstehen, dass er nach der Niederlage im November vergangenen Jahres keinen Haushalt mit erheblichen Risiken vom Parlament verabschieden lassen möchte.
Mit verschiedenen Tricks versucht die Koalition, die Lösung des Konflikts in die Zukunft zu verschieben. Welche sind das? Einige werden im Gutachten kritisiert.
Schwarz: Es gibt zwei zentrale Punkte, die verfassungsrechtliche Bedenken auslösen. Erstens die Umwidmung von Finanzmitteln. Ursprünglich aufgenommene Kreditmittel für die Gaspreisbremse sollen nun für andere Zwecke verwendet werden.
Das entspricht genau dem Sachverhalt, der zur Entscheidung im November vergangenen Jahres geführt hat. Kreditmittel müssen für den Zweck eingesetzt werden, für den sie aufgenommen wurden, oder sofort zurückgezahlt werden, so das Urteil damals. Eine nachträgliche Zweckentfremdung ist haushaltsrechtlich nicht zulässig.
Es hat schon mit den Corona-Milliarden nicht funktioniert. Warum glaubt die Ampel denn, dass es diesmal durchgewunken wird?
Schwarz: Als ich das zum ersten Mal gehört habe, war ich erstaunt. Ich dachte: „Man kann doch nicht denselben Fehler nochmals machen.“ Aber ein kleiner Unterschied besteht darin, dass die damaligen Mittel unter Umgehung der Schuldenbremse aufgenommen wurden und einen spezifischen Ausnahmefall darstellten. Bei den KfW-Mitteln ist das nicht in demselben Maße der Fall, aber sie wurden trotzdem als Darlehen aufgenommen.
Letztlich bleibt es doch dabei: Ein Darlehen ist ein Darlehen und sollte nur zu bestimmten Zwecken verwendet werden. Ein Darlehen auf Vorrat zu schaffen, birgt die Gefahr, Parallelhaushalte zu schaffen und finanzielle Mittel für andere Zwecke vorzuhalten.
„Ein Haushalt sollte ohne derartige buchhalterische Tricks aufgestellt werden“
Sie sprachen noch von einem zweiten Trick, der verfassungsrechtliche Bedenken auslöst.
Schwarz: Der zweite problematische Punkt ist die Umwandlung der ursprünglich als Zuschüsse für die Bahn und die Autobahngesellschaft vorgesehenen Mittel in Darlehen. Dies bedeutet, dass diese Unternehmen die Gelder zurückzahlen müssen.
Bei der Bahn ist das problematisch, da sie keine eigenen Einnahmen hat und ihre Darlehen nie zurückzahlen kann. Es ist also ein haushaltsrechtlicher Buchungstrick, der die Grundsätze der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit verletzt. Ein Haushalt sollte ohne derartige buchhalterische Tricks aufgestellt werden.
Die Ampel macht sich auch die sogenannte globale Minderausgabe zunutze. Ein weiterer Trick oder probates Mittel?
Schwarz: Die globale Minderausgabe bedeutet, dass alle Ressorts im Zuge des Haushaltsjahres Sparpotenziale entwickeln müssen, ohne dass konkret festgelegt wird, wo gekürzt wird. Es ist eine Art Rasenmäher-Methode, bei der alle Ausgaben gleichermaßen gespart werden sollen.
Der Charme liegt darin, dass vorab gesagt wird, alle müssen ein wenig sparen, ohne dass es jemanden wirklich hart trifft. Wenn es nicht reicht, kommt es zum Nachtragshaushalt. Es ist ein gängiges Mittel im Haushaltsrecht für prekäre Situationen, etwa durch unvorhersehbare Ereignisse wie gestiegene Inflation.
Es ist jedoch kein Mittel, um auf der Einnahmeseite für mehr finanzielle Mittel zu sorgen und keine Lösung für Deckungslücken. Es dient eher der generellen Kürzung von Haushaltsansätzen in spezifischen Situationen.
Nach dem Gutachten bleibt laut Finanzminister Lindner immer noch eine Lücke von 4,9 Milliarden offen – trotz und wegen der angewendeten Tricks. Was heißt das jetzt? Muss die Ampel da einen neuen Trick finden oder gibt es Lösungsansätze, die Sie der Koalition empfehlen können, um das Ganze rechtssicher zu gestalten?
Schwarz: Der sicherste Weg ist, im Bereich der Ausgaben zu sparen. Das ist natürlich politisch heikel, da ein Teil der Koalition das eventuell nicht möchte. Wenn die finanziellen Mittel nicht ausreichen, gibt es aber drei Möglichkeiten: Entweder man spart, was politische Konflikte mit sich bringt, oder man erhöht die Steuern, was ebenfalls Konflikte auslöst.
Die dritte Möglichkeit wäre, wie von Frau Esken vorgeschlagen, die Schuldenbremse wegen des Ukraine-Kriegs erneut auszusetzen. Das würde ich jedoch nicht empfehlen, da dies zu einer permanenten Aufweichung der Schuldenbremse führen könnte. Diese ist verfassungsrechtlich verankert und daher zu beachten. Ein kreditfinanzierter Haushalt hat Grenzen, und am Ende gilt der Grundsatz, dass man nur ausgeben kann, was man eingenommen hat.
„Es fällt schwer, hier nicht davon auszugehen, dass dies wider besseres Wissen erfolgt“
Einige Ampel-Ideen, wie das Defizit verringert werden kann, sind also rechtlich nicht durchführbar oder stehen zumindest auf wackeligen Füßen. Wieso wird dennoch so geplant? Für Außenstehende wirkt es so, also würde hier mutwillig Recht gebeugt werden. Oder wissen die Beteiligten es einfach nicht besser?
Schwarz: Das ist eine berechtigte Frage. Man unterschätzt leicht die Striktheit der Schuldenbremse, wie sie das Bundesverfassungsgericht und andere Landesverfassungsgerichte interpretieren. Die Schuldenbremse wurde absichtlich in die Verfassung aufgenommen, um einer expansiven Schuldenpolitik einen Riegel vorzuschieben und nachfolgenden Generationen die Zinslasten zu ersparen.
Dies wurde damals im breiten Konsens beschlossen. Nun darf man sich nicht wundern, wenn es als strikt zu beachtendes Verfassungsrecht Grenzen errichtet. Es fällt schwer, hier nicht davon auszugehen, dass dies wider besseres Wissen erfolgt.
Aber was kann die Ampel jetzt konkret tun, um zum Ziel zu kommen?
Schwarz: Der entscheidende Punkt ist, dass es Möglichkeiten gibt, das geltende Recht kreativ anzuwenden, solange man es nicht verbiegt. Die Grenze zur Umgehung ist dabei fließend. Im Steuerrecht gibt es Gestaltungsmöglichkeiten, die sich im Rahmen des geltenden Rechts bewegen, und Punkte, die diesen Rahmen überschreiten.
Bei den KfW-Darlehen handelt es sich um eine echte Umgehung, die verfassungswidrig ist. Das Gutachten hat zurecht darauf hingewiesen, dass man die Gesetzeslage ändern könnte, um Darlehen an bundeseigene Gesellschaften zu ermöglichen. Dafür fehlt es bisher an der gesetzlichen Grundlage. Ohne entsprechende Änderung ist dieser Weg versperrt. Das wäre also ein Ansatz.
„Schlechte Gesetzgebung wird mittlerweile zu einem – traurigen – Erkennungszeichen“
Wie ist Ihre Erfahrung: Ist es bei Haushaltsaufstellungen üblich, in diese Art von Trickkiste zu greifen oder sind das hier eher „Ampel-Methoden“?
Schwarz: Wir müssen zwei Dinge betrachten. Einerseits sind die staatlichen Einnahmen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Andererseits erleben wir eine Wirtschaftskrise und globale Krisen, die finanzielle Lasten verursachen. Dadurch wird die Menge des zu verteilenden Geldes geringer und die Verteilungskämpfe intensiver.
Innerhalb der Ampelkoalition gibt es divergierende politische Kräfte: Die FDP steht für eine strikte, solide Finanzpolitik und lehnt Steuererhöhungen sowie die Aufweichung der Schuldenbremse ab. Andere Parteien stellen soziale oder ökologische Aspekte in den Vordergrund und sind bereit, auf der Ausgabenseite mehr Risiken einzugehen.
Am Ende ist es also eine Frage politischer Verantwortung. Eine Niederlage in Karlsruhe ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen kann, wenn es zu einem solchen Verfahren käme. Ich glaube in Ansehung der Niederlagen der Ampelregierung, dass schlechte Gesetzgebung mittlerweile zu einem – traurigen – Erkennungszeichen wird.
Sind Ihnen aus der Vergangenheit vielleicht andere ähnliche Tricks ehemaliger Regierungen in Erinnerung geblieben, die besonders bemerkenswert waren?
Schwarz: Ja, auch vor der Einführung der Schuldenbremse gab es Verfahren, bei denen man kreativ mit dem Investitionsbegriff im Grundgesetz umging. Damals war es erlaubt, Kredite bis zu einem gewissen Maß aufzunehmen, das an Investitionen gekoppelt war. Man versuchte, viele Ausgaben als Investitionen zu definieren, um mehr Schulden machen zu können. Solche Tricks gab es schon immer. Der Staat hatte schon immer eine „klebrige Hand“, wenn es darum ging, Geld ein- und auszugeben.
Der Unterschied ist, dass dies jetzt offen sichtbar ist. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist erst knapp ein halbes Jahr alt, und dennoch geht man sehenden Auges erneut ein solches Risiko ein. Das zeigt, wie stark die Zentrifugalkräfte innerhalb der Koalition sind.