Heftige Debatte um Studie - Clans gegen den Staat: „Dann scheiße ich auf euch und gehe den kriminellen Weg“
Es klingt absurd: Eine Studie gibt der deutschen Gesellschaft eine wesentliche Mitschuld daran, dass Mitglieder arabischer Großfamilien zu Straftätern werden. Die „Diskriminierung“ durch Medien, Polizei und Politik fördere kriminelle Clan-Karrieren.
Vorsicht, was Sie sagen! Wer glaubt, er könne Großfamilien, aus denen heraus immer wieder Straftaten verübt werden, als „Remmo-Clan“, „Abou-Chaker-Clan“, „Miri-Clan“ oder „Al-Zein-Clan“ bezeichnen, macht einen großen Fehler. Denn solche Formulierungen sind „rassistisch“!
Das zumindest behauptet der Kriminologe Robert Pelzer von der Technischen Universität (TU) Berlin. Zu FOCUS online sagte er: „Sie müssen sich vergegenwärtigen, dass diesen Familiennamen oder ‚Clans‘ jeweils mehrere hundert oder tausend Menschen zugerechnet werden können. Sie haben zwar denselben Nachnamen, viele Angehörige kennen sich aber nicht und haben im Alltag gar nichts miteinander zu tun.“
Wenn in den Medien von einem bestimmten „kriminellen Clan“ die Rede sei, würden dadurch „logischerweise alle Menschen, die sich diesem ‚Clan‘ zurechnen, über einen Kamm geschert, obwohl kriminelle Strukturen nur in einzelnen Gruppen dieses ‚Clans‘ zu finden sind“, so Pelzer.
Forscher: Wer von „kriminellen Clans“ spricht, ist rassistisch
„Das ist Rassismus, weil das Attribut ‚kriminell‘ einzig anhand von gleichen Nachnamen und einer angenommenen gemeinsamen Abstammung aller Angehörigen, der gesamten Gruppe verallgemeinert zugeschrieben wird“, erklärte der Forscher FOCUS online.
Pelzer machte vergangenes Jahr deutschlandweit mit einer Studie von sich reden, die er leitete. „Biographien und Lebenswelten von Angehörigen großfamiliärer Strukturen“ heißt die Untersuchung.
Die staatlich geförderte Studie – das Bundesministerium für Bildung und Forschung sponserte das Projekt mit 660.000 Euro – gibt der deutschen Gesellschaft eine wesentliche Mitschuld daran, dass Mitglieder arabischer Großfamilien ins kriminelle Milieu abrutschen und zum Teil schwere Straftaten begehen.
Im Klartext heißt das: An der Ausbreitung der Clankriminalität sind nicht so sehr die Täter schuld, sondern die Gesellschaft!
Robert Pelzer zur Kernaussage der Studie: „Es ist sehr deutlich geworden, dass die medial suggerierte Vorstellung von Angehörigen arabischsprachiger Großfamilien als pauschal kriminelle und gewaltbereite Personen nicht haltbar ist.“
Die kriminellen Karrieren der Befragten „unterscheiden sich wesentlich weniger von deutschstämmigen Kriminellen als dies in den Medien meist suggeriert wird“.
Pelzer wies zudem darauf hin, dass Angehörige arabischsprachiger Großfamilien in Deutschland oft „ausgegrenzt und stigmatisiert“ würden und „von Alltagsrassismus betroffen“ seien. Das wirke sich „negativ auf individuelle Entfaltungsmöglichkeiten aus“ und begünstige „eine kriminelle Karriere“.
Gegenüber FOCUS online betonte Pelzer, im Kontext mit Clans bedeute Stigmatisierung, „dass Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Großfamilie als potenzielle Kriminelle etikettiert und dementsprechend behandelt werden“.
„Dann scheiße ich auf euch und gehe den kriminellen Weg“
Das beginne schon in der Schule. So könne eine Stigmatisierung durch Lehrer oder Klassenkameraden dazu führen, „dass sich Betroffene gemobbt fühlen. Das verursacht Stress und wirkt sich negativ auf das Selbstwertgefühl aus.“ Unter Umständen könne die Stigmatisierung „das Risiko eines Schulversagens“ steigern.
Problematisch werde die Zugehörigkeit zu einer Großfamilie „insbesondere bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz, einem Job oder auch einer eigenen Wohnung“, so Kriminologe Pelzer. „Sowohl die schulisch Erfolgreichen als auch die Schulabbrecher berichten über Erlebnisse der Zurückweisung von Arbeitgebern oder Vermietern mit Verweis auf ihren familiären Hintergrund.“
Über die Folgen der angeblichen Stigmatisierung sagte der Forscher zu FOCUS online: „Es kann passieren, dass Betroffene sich irgendwann mit der Situation abfinden oder gar die Zuschreibung als kriminelles ‚Clanmitglied‘ in das Selbstbild übernehmen und sich dann denken: ‚Okay wenn ihr mir keine andere Chance lasst, dann scheiße ich auf euch und gehe jetzt den kriminellen Weg‘."
Stigmatisierung verstärke also „die Bindung an einen kriminellen Lebensentwurf. Die Kriminalität erscheint irgendwann als alternativlos“, so Pelzer. „Ungleiche Chancen zu gesellschaftlicher Teilhabe spielen eine große Rolle.“
Auf die Frage, warum Angehörige arabischer Großfamilien in Deutschland kriminelle Karrieren starten, sagte der Forscher, eine wichtige Rolle spiele „das Aufwachsen unter prekären sozialen Bedingungen“. Hinzu kämen „Fluchterfahrungen und andere traumatische Erlebnisse“. Zudem würden „die negativen Auswirkungen eines Duldungsstatus“ Straftaten begünstigen.
Von Polizei „häufiger kontrolliert und härter behandelt“
In diesem Zusammenhang warf Pelzer den Verantwortlichen in Deutschland „institutionelle Diskriminierung“ vor.
„Geflüchtete aus dem Libanon und deren Nachkommen in bereits dritter Generation haben in nicht wenigen Fällen keinen Aufenthaltstitel. Sie sind ausländerrechtlich nur geduldet, obwohl vollkommen klar ist, dass ihr Lebensmittelpunkt und ihre Lebensperspektive in Deutschland liegt und sie nicht in den Libanon zurückkehren oder als in Deutschland Geborene dorthin auswandern werden.“
Für den Wissenschaftler steht fest: „Menschen, die hier dauerhaft leben, in ihren Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Integration derart einzuschränken, ist aus kriminalpräventiver Sicht vollkommen kontraproduktiv.“ Es wäre besser, „soziale Ungleichheit zu reduzieren und allen Menschen eine Perspektive zu gesellschaftlicher Teilhabe zu bieten.“
In Interviews mit Mitarbeitern der TU Berlin berichteten viele Angehörige arabischer Großfamilien „über negative Erfahrungen mit Polizeikontakten“, so Pelzer. Sie glaubten, „dass sie aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes, ihres Nachnamens oder ihrer Herkunft von der Polizei häufiger kontrolliert und härter behandelt werden“.
Über die Rolle der Polizei sagt der Forscher zu FOCUS online: „Feststellen können wir zunächst, dass das Polizei-Verhalten häufig als stigmatisierend erlebt wird und dass diese Erlebnisse dazu beitragen können, dass die Betroffenen sich aus der Gesellschaft zurückziehen.“ Pelzer: „Wie der Rest der Gesellschaft, ist auch die Polizei von Alltagsrassismen geprägt.“
Die Einschätzung des Forschers ist brisant. Denn nach dieser Lesart führt der verstärkte Druck von Polizei und Justiz auf Angehörige arabischer Großfamilien dazu, dass sich die Betroffenen erst recht abschotten und kriminelle Handlungen begehen.
In Studie wird „Rechtsstaat als diskriminierend verleumdet“
Der deutsche Islamwissenschaftler Ralph Ghadban, der selbst aus dem Libanon stammt und 2018 mit seinem Buch „Arabische Clans – Die unterschätzte Gefahr“ für Aufsehen sorgte, äußerte sich gegenüber FOCUS online sehr kritisch zu einigen Aussagen der Studie.
So beklagt das Papier, Angehörige arabischer Großfamilien würden oftmals „keinen Aufenthaltstitel“ erhalten, sondern nur geduldet, was eine „institutionelle Diskriminierung“ darstelle und die Begehung von Straftaten aus diesen Familien heraus begünstige.
Ghadban stellt klar: „Die überwiegende Mehrheit hat einen Aufenthaltstitel und mehr als 60 Prozent sind eingebürgert.“ Der Clan-Kenner: „Anstatt eine Lösung für die Geduldeten vorzuschlagen, wird in der Studie der Rechtsstaat als diskriminierend verleumdet.“
„Trotz der Tatsache, dass die Clans seit mehr als 40 Jahren hier leben und wir es mit der zweiten Generation zu tun haben, wird in der Studie von ‚Fluchterfahrungen und anderen traumatischen Erlebnissen‘ gesprochen“, moniert der Experte. „Und trotz staatlicher Transferleistungen ist immer noch die Rede von ‚prekären sozialen Bedingungen‘, die zur Kriminalität führen.“
Ralph Ghadban fragt sich, „ob die Studie einen Vergleich mit den weiteren zwei Millionen Deutschen macht, die in derselben Situation sind, um festzustellen, ob bei ihnen die Kriminalität auch in dem Maße gestiegen ist wie bei den Clans“.
Ghadban zufolge prangere die Studie zurecht die Kennzeichnung „kriminelle Clans“ an. Zugleich merkt er an: „In der wissenschaftlichen Debatte geht es aber um Clankriminalität. Also um eine Kriminalität, die auf der Basis der Verwandtschaft organisiert ist, ein Merkmal, das nicht zwingend die übliche organisierte Kriminalität kennzeichnet.“
Die Clans handelten nach der Norm: „Ich mit meinem Bruder gegen meinen Cousin und ich mit meinem Cousin gegen den Fremden“, so Ghadban.
Handelt der Forscher „nach einer Multikulti-Ideologie“?
Höchst fragwürdig findet der Experte auch folgende Aussage von Studienleiter Pelzer im Gespräch mit FOCUS online: „Wie der Rest der Gesellschaft, ist auch die Polizei von Alltagsrassismen geprägt.“
Ralph Ghadban dazu: „Könnte es sein, dass der Forscher einfach nach einer Multikulti-Ideologie handelt und nicht wissenschaftlich forscht?“ Dafür spräche auch dessen Haltung zur Justiz, die angeblich die Clans unter Druck setze. Angesichts der „sehr milden Urteile zum Raub der Juwelen im Grünen Gewölbe in Dresden und zur Rückgabe der beschlagnahmten Immobilien in Berlin“ klinge das „etwas merkwürdig“.
Der Berliner Forscher Pelzer habe gegenüber FOCUS online selbst zugegeben, dass die Untersuchung aufgrund ihrer geringen Datenmenge „nicht repräsentativ“ sei, so Ghadban. Insofern müsse man sich fragen, „was diese Studie zur Lösung unseres Problems mit den Clans anbietet“.
Seiner Meinung nach enthält sie „keine schlüssigen Aussagen, die der Politik beim Handeln helfen können“. Der Experte: „Deshalb fragt man nach dem Sinn dieser enormen finanziellen Ausgaben.“
Islamwissenschaftler Ghadban kritisiert nicht nur die neue Studie der TU Berlin, er stellt die Beschäftigung mit dem Thema insgesamt infrage. „Was die gesamte Clanforschung in Deutschland hemmt, ist ihre falsche Ausrichtung“, sagt er zu FOCUS online.
„Sie wird hauptsächlich von Soziologen oder fachfremden Kriminologen betrieben, die mit dem Begriff Clan wenig anfangen können.“