Heimweh nach Deutschland - „Es gibt nichts Schöneres“: Aus einem Grund will Karibik-Auswanderer unbedingt zurück
Vor viereinhalb Jahren ist Boris mit seiner Familie in die Dominikanische Republik ausgewandert. Inzwischen kann er es kaum erwarten, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Das immer stärker werdende Heimweh hat den 53-Jährigen selbst überrascht.
FOCUS online: Sie sind 2020 mit der Familie in die Dominikanische Republik ausgewandert, haben dort ein Gästehaus, das „Haus unter Palmen“, in Jarabacoa eröffnet. Jetzt wollen Sie gerne wieder zurück nach Deutschland. Warum?
Boris: Ganz einfach: Wir haben Heimweh. Die Anlage steht zum Verkauf. Sobald sich jemand findet, gehen wir.
Das klingt fast ein wenig fluchtartig. Gefällt es Ihnen in der Dom REP denn nicht?
Boris: Davon kann keine Rede sein. Es ist wunderschön hier. Solange wir hier sind, genießen wir die Vorzüge.
Was denn zum Beispiel?
Boris: Die herzlichen und lebensfrohen Menschen, die tolle abwechslungsreiche Natur und natürlich auch das Wetter. Heute 40 Grad, morgen zehn – solche Kapriolen wie in Deutschland gibt es hier nicht. Das Klima ist angenehm und stabil.
Die Vegetation ist ein Traum. Im Moment zum Beispiel sitze ich auf der Terrasse am Pool, in die die Maracuja reinwachsen. Auf unserer 16.000 Quadratmeter großen Anlage wachsen Avocados, Kokosnüsse, Ananas, Wasseräpfel….
Klingt nach einem kulinarischen Traum.
Boris: Das ist es auch, und unsere Freunde in Deutschland sagen „Ihr spinnt“, wenn ich wieder mal davon anfange, wie sehr mir die deutsche oder auch europäische Küche fehlt. Schnitzel, Gulasch, Cordon bleu…
Das ist einfach Heimat. Ich bin selbst überrascht, wie sehr mir das hier fehlt. Wir lassen uns immer wieder Pakete mit Zutaten schicken, denn vieles bekommt man hier einfach nicht, um diese Gerichte kochen zu können.
„Was mir fehlt, sind die Jahreszeiten“
Gibt es sonst noch Dinge, die Sie vermissen?
Boris: Was mir fehlt, sind die Jahreszeiten. Es gibt doch nichts Schöneres als einen langen Herbstspaziergang durch einen Wald. Oder im Winter durch Schnee zu stapfen, wenn es mal wieder welchen gibt. Oder im Frühling die ersten Krokusse sprießen zu sehen. Auch das hat mich total überrascht und auch hier werde ich zuweilen für verrückt erklärt.
Das kann doch nicht sein, dass euch das fehlt, sagen die Freunde in Deutschland. Die denken, wir haben es warm, wir haben ganz viel Grün um uns herum, damit muss es uns gut gehen. Die Wahrheit aber ist, dass es auch langweilig sein kann, wenn man all das das ganze Jahr über hat. Jeden einzelnen Tag.
„Jedes Mal kamen wir beschwingt zurück“
Warum wollten Sie denn damals unbedingt auswandern?
Boris: Diesen Traum hatte ich schon lange, genau genommen seit 1998. Damals habe ich Urlaub in der Dom REP gemacht und war restlos begeistert. Von der Landschaft, den Stränden aber auch von den Menschen und dem Lebensgefühl hier.
Überall auf den Straßen hört man Musik. Die Leute nehmen das Leben leicht. Ja, diese Leichtigkeit war wohl der Hauptgrund, weshalb ich hier leben wollte.
Ihre Frau stammt aus Dom REP. War das letztlich ausschlaggebend fürs Auswandern?
Boris: Überhaupt nicht. Ich habe meine Frau in Deutschland kennengelernt und wir haben dort 14 Jahre lang gemeinsam gelebt. Meine Frau hat Deutschland lieben gelernt. Die Verbindlichkeit, die Zuverlässigkeit, dass die Menschen so pünktlich sind. Und auch vergleichsweise forsch. Im positiven Sinne, meine ich.
Was ist für Sie forsch im positiven Sinne?
Boris: Dass die Leute ihr Ding durchziehen. Die Mentalität der Dominikaner ist ganz anders. Komme ich heute nicht, komme ich morgen – so etwa. Das kann manchmal anstrengend und nervig sein. Aber das war mir damals, bevor wir hergekommen sind, nicht wichtig.
Und warum haben Sie den Schritt des Auswanderns nun gemacht?
Boris: Da kamen mehrere Dinge zusammen. Seit diesem Urlaub 1998 hatte ich den Traum, hier in der Karibik eine Strandbar zu eröffnen. Ich sah mich inmitten der Leichtigkeit.
Zuerst war es mehr eine Vision. Aber als ich meine Frau geheiratet habe, wurde das Ganze konkreter. Immer wieder sind wir zusammen in die Dom REP gereist, haben ihre Familie besucht.
Jedes Mal kamen wir beschwingt zurück – aber dieses Gefühl hat nie lange gehalten, der deutsche Alltag hatte uns jeweils schnell wieder. Diese karibische Leichtigkeit könnte ich für immer haben – wenn wir umziehen würden, dachte ich. Am Ende war es wohl auch mein Beruf, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Ich war in der Finanzbranche tätig und die ist ja nicht gerade für Ihre Freundlichkeit und Gutmütigkeit bekannt. Gerade in den letzten Jahren ist das Klima im Unternehmen immer rauer geworden. Sowohl den Kunden als auch den Mitarbeitenden gegenüber, da wurde teils menschenverachtend agiert. Das hat es mir leicht gemacht, hinschmeißen zu wollen.
„Unsere Tochter spricht inzwischen fließend Spanisch“
Kam der Wunsch, zu gehen, von Ihnen allein oder wollten auch Ihre Frau und Ihre Tochter aus Deutschland weg?
Boris: Der Initiator der Auswanderungsidee war definitiv ich. Aber natürlich habe ich weder meine Frau noch meine damals 12-jährige Tochter in die Dom REP gezerrt. Als wir das Anwesen besichtigt haben, brauchten wir nicht mehr lange nachzudenken. Wir waren alle Feuer und Flamme.
Und dann hatten Sie also die ersehnte Strandbar?
Boris: Nein, wir sind im Landesinneren in Jarabacoa in den Bergen. Der höchste Berg der Karibik ist in der Nähe. Die Landschaft ist wirklich grandios, viele Flüsse, viele Wasserfälle - man hat hier ohne Ende Möglichkeiten, Rafting und so was.
Es ist auch nicht wirklich weit zum Meer, knapp zwei Stunden. Also, wir mussten damals wirklich nicht lange überlegen. Zumal meine Frau ohnehin die Idee hatte, irgendwann wieder in die alte Heimat zurückzukehren. Mit „irgendwann“ meinte sie allerdings „im Alter“. Meine Frau ist 17 Jahre jünger als ich…
Und damit noch weit vom Rentenalter entfernt.
Boris: Genau das ist der Punkt. Sie hat verstanden, dass es, wenn sie an ihrem Plan festhalten würde, bedeutet, dass sie alt wäre und ich sehr alt. Ich glaube, auch dieser Gedanke hat sie überzeugt, den ursprünglichen Plan nochmal zu überdenken und das Ganze vorzuziehen.
Wie ging es Ihrer Tochter mit dem Umzug?
Boris: Für sie war es sicher am schwierigsten. Sie hat ja all ihre Freunde zurückgelassen, die Schule, alles. Und sie konnte die Sprache nicht. Das war eine Riesenherausforderung. Aber jetzt im Nachhinein war es natürlich auch eine Riesenchance.
Unsere Tochter spricht inzwischen fließend Spanisch und sehr gut Englisch. Das wird ihr eines Tages sehr gute Chancen für den Job eröffnen. In dieser Hinsicht hat sich der Sprung ins kalte Wasser definitiv gelohnt.
„Auf den Straßen herrscht das reinste Chaos“
Und sonst? Haben Sie die Leichtigkeit gefunden, die Sie sich so gewünscht haben?
Boris: Wie man’s nimmt. Ehrlich gesagt: Ich habe mir die Selbständigkeit einfacher vorgestellt. In Deutschland war ich festangestellt, die Arbeit ging in der Regel von acht bis 17 Uhr.
Für die Anlage waren meine Frau und ich dann mehr oder weniger rund um die Uhr im Einsatz. Man weiß ja nie, wann die Gäste ankommen, ob schon am Morgen oder erst gegen Abend.
Nach zwei Jahren haben wir zusätzlich zum Gästehaus eine Villa gebaut. Das war ein extremer Aufwand, und ein wenig haben wir uns zunächst auch finanziell übernommen.
Inzwischen hat sich das alles Gott sei Dank eingerenkt ...das Gästehaus und auch die Villa laufen super. Zwischenzeitlich können wir auch auf zusätzliches Personal zugreifen, was das Ganze etwas vereinfacht.
Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, so richtig hat es die Strandbar-Leichtigkeit bis jetzt noch nicht gegeben. Interessanterweise kam mit der Zeit noch etwas anderes dazu: Die so genannte Leichtigkeit hat sich in der Realität stellenweise als ziemlich anstrengend entpuppt.
Inwiefern das?
Boris: Ein Beispiel: Wenn ich hier früher Urlaub gemacht habe, fand ich es toll, dass hier anders als in Deutschland nicht alles so stark reglementiert ist. Im Straßenverkehr etwa. Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt es praktisch nicht und wenn alle zehn Kilometer mal ein Verkehrsschild auftaucht, ist das schon viel. Ich fand das prima, irgendwie lässig.
Und jetzt?
Boris: Sie werden lachen: Inzwischen finde ich es manchmal sehr herausfordernd, hier Auto zu fahren! Auf den Straßen herrscht das reinste Chaos, jeder macht, was er will, die Verhältnisse sind teilweise vollkommen willkürlich. Kein rechts vor links, kein Überholverbot…
Das Gegenteil von Leichtigkeit also?
Boris: Das kann man wohl sagen. Leichtigkeit hat auch viel mit Gemächlichkeit zu tun, und das kann schon anstrengend sein. Einfach mal schnell was erledigen, Einkaufen zum Beispiel, ist manchmal schwierig. Im Supermarkt stehst du wesentlich länger an der Kasse als in Deutschland.
Die Kassierer bedienen mit einer Selbstverständlichkeit ihre Handys, das wäre oder war in Deutschland undenkbar. Und dann, gerade wenn man einmal nicht so viel Zeit hat, kann das Einkaufen zum Stress werden! Es ist schon verrückt: Wo ich mich früher danach gesehnt habe, aus Zwängen auszubrechen, sehne ich mich hier und da mittlerweile nach dem alten Regelkorsett.
Haben Sie sich während der früheren Urlaube also etwas vorgemacht?
Boris: Ich sage es mal so: Die Leichtigkeit, die ich damals erlebt habe, war die Leichtigkeit eines Deutschen, der sich herauspickt, was ihm gefällt. Für die Menschen hier dagegen ist dieses Lebensgefühl schlicht Normalität. Mit all den Vor-, aber eben auch Nachteilen.
„Ich kann meine Erleichterung kaum in Worte fassen“
Wann haben Sie gemerkt, dass Sie lieber wieder in Deutschland leben möchten?
Boris: Das hat eine Weile gedauert, ungefähr drei Jahre. Als wir hier ankamen, ging ja gerade Corona los, und in dem Zusammenhang haben wir das hiesige Lebensgefühl genossen.
Einmal war ich während dieser Zeit aus gesundheitlichen Gründen in Deutschland und ich muss sagen: Ich war einfach nur froh, als ich wieder zurück konnte - so verkrampft und angespannt habe ich die Leute in der alten Heimat erlebt. Auch in der Dom REP wurden Masken getragen und auch hier haben sich die Menschen impfen lassen.
Aber alles lief viel undogmatischer und es gab auch nicht diese aufgeheizten Diskussionen. Wann es anfing, dass ich Deutschland so richtig vermisst habe, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr. Ich glaube, erstmal habe ich dieses Gefühl verdrängt.
Nicht zuletzt natürlich, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte. Ich hatte meine Mannschaft schließlich hierher getrommelt. Und jetzt? Mein Sinneswandel wäre nichts weniger als wieder Wurzeln herauszureißen. Das konnte ich meinen Lieben nicht antun.
Inzwischen sind Sie allerdings soweit.
Boris: Glücklicherweise ging es meiner Frau ähnlich, und eines Tages, Anfang 2023, war sie es, die das Thema ansprach. Ich kann meine Erleichterung kaum in Worte fassen.
Was sagt Ihre Tochter?
Boris: Sie ist hier voll integriert, hat einen Freund, der Abschied wird ihr sicher nicht leichtfallen. Andererseits spricht die berufliche Weiterentwicklung im Moment klar für Deutschland, wo unsere Tochter sowohl schulisch als auch im Hinblick auf eine mögliche Ausbildung noch besser aufgestellt wäre. Ich glaube und hoffe, dass unsere Tochter verinnerlicht hat, dass sie es schon mal geschafft hat, ganz neu anzufangen. Und dass sie es deswegen auch nochmal schaffen wird.
Wie planen Sie ihr Leben in Deutschland?
Boris: Wir haben ein kleines Dorf im Spessart im Auge, das Leben dort scheint bezahlbar zu sein. Frankfurt wäre nicht weit – das ist wichtig für unsere Tochter. Konkrete Pläne gibt es noch nicht, weder fürs Wohnen noch für den Job. Das wird sich alles ergeben, wenn es so weit ist und ein Käufer für die Anlage gefunden ist.
„Das Auswandern war immer ein Traum von mir“
Das klingt sehr zuversichtlich.
Boris: In dieser Sache vertraue ich einfach drauf, dass uns die Erfahrung des Umgangs mit dem Ungewissen helfen wird. Und ein Stück weit vielleicht auch die karibische Leichtigkeit, wer weiß. Das Wichtigste ist: Die Vorstellung, wieder in Deutschland zu sein, fühlt sich richtig gut an!
An was denken Sie, wenn Sie sich diese Zukunft vorstellen?
Boris: Ich sehe meine Frau und mich in einem Häuschen am Waldrand. Ich rieche das frische Grün, das Moos, sehe am Abend die Dämmerung und freue mich, wenn wir uns dann nach drinnen verziehen, weil es draußen kühl wird. Ich freue mich auch auf die Felder und darauf, Spaziergänge zu machen. Und nicht zuletzt freue ich mich aufs Reisen.
Auch das habe ich ehrlicherweise ein Stück weit ausgeblendet gehabt: Was für Möglichkeiten man da von Deutschland aus hat. Polen, Holland, Paris, mal eben nach Frankreich oder Italien… für viele Deutsche sind entsprechende kurze Auszeiten doch Normalität. Hier in der Dom REP müsste man für sowas jedes Mal einen Langstreckenflug machen.
Bereuen Sie, ausgewandert zu sein?
Boris: Auf keinen Fall! Wir werden auch sicher immer wieder hierher zurückkommen. Das Auswandern war immer ein Traum von mir und damit war es die richtige Entscheidung.
Wie meinen Sie das?
Boris: Nun, ich habe meiner Sehnsucht nachgegeben. Damit hänge ich dieser Sehnsucht nicht hinterher. Dazu wird vermutlich – hoffentlich - eine neue Wertschätzung des Alten kommen, wenn wir wieder in Deutschland sind. Nein, ich muss mich korrigieren. Nicht hoffentlich. Es wird so sein. Wir wissen schließlich, was uns dort erwartet.