Helmut Markworts Tagebuch - Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu Hitler und der Kommunismus-These von Weidel
Alice Weidel nennt Hitler einen Kommunisten – ein Aufreger, der an frühere historische Debatten erinnert. Bereits Franz Josef Strauß stellte den Nationalsozialismus als „Variante des Sozialismus“ dar. Doch die Realität ist komplexer: Goebbels' Tagebücher zeigen die sozialistische Ausrichtung der NSDAP, bevor sie zu einer Massenmordmaschine wurde.
Montag
Die Aufregung war gewaltig, als die AfD-Chefin Alice Weidel Adolf Hitler einen Kommunisten nannte. Tatsächlich ist die Debatte nicht neu. Als Franz Josef Strauß vor 45 Jahren als Kanzler kandidierte, sagte er auf einem Parteitag seiner CSU: „Der Nationalsozialismus war eine Variante des Sozialismus. Seine Schwungmasse hat er von den Millionen Sozialisten bezogen, die der SPD damals als Wähler davongelaufen sind.“
Strauß: „Das sozialistische Element im Nationalsozialismus muss von uns erkannt werden“
Der studierte Historiker Strauß konnte sich auf einen Sozialisten berufen, den 1932 noch nicht so viele kannten. Er hieß Willy Brandt und schrieb damals: „Das sozialistische Element im Nationalsozialismus im Denken seiner Gefolgsleute muss von uns erkannt werden.“
Hitler hatte die von ihm gekaperte Partei DAP in NSDAP umbenannt. Ausgeschrieben: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Sie wollte sozialistisch sein und Arbeiter ansprechen. Wer in den Chroniken der Partei nachliest, findet viele Gedanken, die Partei zu einem besseren Kommunismus zu lenken.
Die gefälschten Tagebücher Hitlers, die der „Stern“ verbreitet hat, sind dafür keine Quelle, aber ein anderer Groß-Nazi hat nahezu pedantisch Protokoll geführt.
Goebbels Feindbilder
Joseph Goebbels, Propaganda-Chef der Partei und fanatischer Einflüsterer seines Führers, hat nahezu täglich niedergeschrieben, was sich ereignet hat und was er dachte und wollte. Selbstverständlich sind seine Tagebücher, die in vielen Bänden vorliegen, parteilich und parteiisch, aber sie belegen seine Gesinnung.
Außer seinem zerstörerischen Hass auf die Juden in Deutschland und in aller Welt zieht sich ein roter Faden durch seine Aufzeichnungen: der Traum von einem kommunistisch sozialistischen Deutschland mit anschließender Weltherrschaft. Seine Feindbilder sind die kapitalistische Marktwirtschaft, die Wall Street in New York und Geschäfte mit Aktien.
Für diese Haltung der NSDAP gibt es Hunderte von Fundstellen. Das muss um der historischen Korrektheit willen festgehalten werden. Genauso richtig ist aber die fürchterliche Deformation der Partei zu einer Massenmordorganisation, die alle Rechte, Regeln und Gesetze missachtet hat.
Dienstag
Zu den fettesten Lügen im Wahlkampf gehört die Behauptung aller Parteien, sie wollten Bürokratie abbauen. Keine ist radikal genug, den Wucher zu stutzen. Das Hauptquartier der Bürokraten sitzt in Brüssel. Unter der Herrschaft von Ursula von der Leyen mit ihren 26 Kommissariaten sind wir mit mehr als 3000 Verordnungen und Richtlinien gefesselt worden. Von deutschen Behörden werden sie oft genug noch verschärft.
Wir brauchen Widerstand.
Deutschland ist der größte Nettozahler in die Kassen der EU. Diesen Einfluss muss die nächste Regierung nutzen. Die EU entzieht Ländern Geld, wenn sie gegen Regeln verstoßen. Deutschland sollte zusammen mit Verbündeten der EU Geld entziehen, wenn sie nicht Bürokratie abbaut.
Weniger Kommissariate, weniger Verordnungen, weniger Richtlinien. Weg mit alten Regeln.
Mittwoch
Das Jahr fängt traurig an. Wieder sind drei Gefährten gestorben. In meinem Handy sind die Toten kurz davor, die Mehrheit vor den Lebenden zu übernehmen, weil ich sie nicht löschen mag. Ich lerne immer mehr Friedhöfe kennen und die scheinbar endlosen Wege zu den Gräbern. Wir sind immer weniger, die Abschied nehmen. Das Alter macht einsam. Der Verleger Langenscheidt beklagt sich, dass seine Freunde ihn nicht mehr anrufen. Er ist 103 Jahre alt.
FOCUS-Gründungschefredakteur Helmut Markwort war von 2018 bis 2023 FDP-Abgeordneter im Bayerischen Landtag.