Helmut Markworts Tagebuch - Vier Vorschläge, wie das Wahlrecht in Deutschland gerechter werden kann

Helmut Markwort<span class="copyright">W. Heider-Sawall/FOCUS Magazin</span>
Helmut MarkwortW. Heider-Sawall/FOCUS Magazin

Ich habe mir vier Änderungsvorschläge für unser Wahlrecht überlegt. Wenn die Bundestagsabgeordneten meine Wünsche nicht berücksichtigen, bekommen sie vielleicht wenigstens ein schlechtes Gewissen.

Montag

Das Wahlrecht ist das Recht der Bürger, Abgeordnete ins Parlament zu wählen. Leider haben aber die Parteien dieses Recht so verfälscht, dass wir in vielen Fällen nur vorgefertigte Listen anstatt Menschen wählen dürfen.

So bleibt es auch bei der nächsten Bundestagswahl geregelt. Immerhin haben die Verfassungsrichter gegen den Vorschlag der Ampelregierung durchgesetzt, dass eine Partei, die mindestens drei Wahlkreise direkt gewinnt, in den Bundestag einziehen darf.

Über die nach Meinung des Gerichts verfassungswidrige Sperrklausel von fünf Prozent wird erst im nächsten Bundestag verhandelt. Für die dann fällige Debatte über ein neues Wahlrecht biete ich den dann 630 Abgeordneten vier Änderungsvorschläge zugunsten der Bürger und Wähler an.

Ich plädiere für Nachwahlen in den Wahlkreisen

Wenn sie meine Wünsche nicht berücksichtigen, sollen sie wenigstens ein schlechtes Gewissen gegenüber dem Volk haben. Erstens plädiere ich für eine Veränderbarkeit der Listen durch die Wähler. Zweitens bin ich für eine Senkung der Sperrklausel.

Drittens wünsche ich mir eine Regelung, dass alle direkt gewählten Kandidaten wirklich einen Sitz bekommen. Viertens plädiere ich für Nachwahlen in den Wahlkreisen. Zu 1: Die Aufstellung der Listen ist ein gewaltiges Machtinstrument der Parteien.

In oft erbitterten Auseinandersetzungen legen sie fest, welche ihrer Mitglieder die besten Chancen haben, das Volk im Parlament zu vertreten. Bisher kann der Wähler einer Partei mit seinem Kreuz die starre Liste nur bestätigen.

Viel gerechter und demokratischer wäre es, wenn der Wähler mit seiner Zweitstimme einen der Kandidaten auf der Liste ankreuzen könnte. Nach persönlicher Kenntnis, nach Sympathie oder politischer Vorliebe.

Aus Brüssel gibt es eine gute Vergleichszahl

Die Liste wäre ein Angebot der Partei, aber der Wähler kann die Reihenfolge verändern. Bei den Wahlen zum Bayerischen Landtag wird diese größere Auswahlmöglichkeit mit großem Erfolg praktiziert.

Zu 2: Die bisherige Sperrklausel sperrt Millionen Wähler von der Mitwirkung aus. Würde die Eintrittshürde auf drei Prozent gesenkt, bräuchte eine Partei immerhin etwa 1,4 Millionen Wähler. Für vier Prozent wären mindestens 1,86 Millionen Zweitstimmen notwendig.

Meine Ergebnisse stützen sich auf die Beteiligung bei der letzten Bundestagswahl. Die kleinen Fraktionen wären arbeitsfähig. Mit drei Prozent käme eine Partei auf etwa 19 Abgeordnete, mit vier auf mindestens 25.

Aus Brüssel gibt es eine gute Vergleichszahl. Im Europaparlament hat man sich darauf geeinigt, dass eine Fraktion aus mindestens 23 Abgeordneten bestehen muss.

Diese grobe Ungerechtigkeit muss geheilt werden

Zu 3: Im neuen Wahlrecht gibt es eine Regelung, die Wähler und Kandidaten gleichermaßen frustrieren muss. Danach dürfen nicht alle direkt gewählten Politiker in den Bundestag einziehen. Falls eine Partei weniger Zweitstimmen erobert, als sie Direktmandate gewinnt, dürfen die Wahlsieger mit dem knappsten Vorsprung nicht in den Bundestag einziehen.

Diese grobe Ungerechtigkeit muss geheilt werden. Gewählt ist gewählt. Ich sehe zwei Möglichkeiten. Als Ausgleich müssten Listenbewerber aus anderen Bundesländern zurückstehen. Oder der Bundestag lässt einige Überhangmandate zu, ohne sie auszugleichen. Diese Lösung hat das Verfassungsgericht schon einmal gebilligt. 640 Abgeordnete statt 630 wäre zu ertragen.

Zu 4: Wenn ein direkt gewählter Abgeordneter aufhört, stirbt oder aus anderen Gründen den Bundestag verlässt, rückt nach derzeitiger Regelung einer aus der Liste nach. Der hat mit dem Wahlkreis nichts tun und vergrößert das Übergewicht der Listenabgeordneten.

Bürger sollen neue Abgeordnete wählen dürfen

Die stellen schon jetzt die Mehrheit. 331 Abgeordnete rücken über Listen in den Bundestag ein, nur 299 sind direkt gewählt. Die Parteien haben ihre Gefolgsleute gut geschützt.

Deswegen halte ich es für fair, dass Bürger, die ihren Abgeordneten verloren haben, einen neuen wählen dürfen. Eine solche Nachwahl gibt neuen Kandidaten eine Chance und kann auch ein Signal sein für veränderte Stimmung im Land. Ich erinnere daran, mit welcher Aufmerksamkeit wir Nachwahlen in Großbritannien verfolgen.

FOCUS-Gründungschefredakteur Helmut Markwort war von 2018 bis 2023 FDP-Abgeordneter im Bayerischen Landtag.