Herr Polizeipräsident, Sie haben vertuscht!

In Clausnitz wird ein Bus mit Geflüchteten von einer Meute bedrängt – und die Polizei macht den Bock zum Gärtner. Ein offener Brief an Chemnitz‘ Polizeipräsident Uwe Reißmann.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Sehr geehrter Herr Polizeipräsident,

Empörung ist gerade in Deutschland allzu angesagt. Ständig erregen wir uns gegen einzelne Personen und ziehen sie durch den Kakao. Reflexhaft suchen wir einen Schuldigen für dieses und jenes und stellen ihn an den öffentlichen Pranger; als kämen wir damit einer Lösung unserer Probleme nur einen Meter näher.

Nun müssen Sie den Kopf hinhalten. Sie mussten am Samstag Stellung nehmen zu dem Verhalten einiger Polizisten, die Ihnen unterstellt sind. Auf Beamte als Ordnungshüter verbal einzudreschen ist wohlfeil. Auf die Polizei werden immer mehr Probleme abgewälzt, sie muss für Ruhe sorgen. Kommt sie zu spät, mit zu wenig Personal, hält sie sich zu sehr zurück, haut sie zu doll drauf – im Zweifel ist immer die Polizei schuld. Dabei sind die Beamten unsere stillen Helden. Sie halten unsere Gesellschaft zusammen.

Dieser Brief hier muss aber sein. Ihre Beamten haben meiner Meinung nach sich falsch verhalten – und Sie haben dies gerechtfertigt. Sie erschüttern das Vertrauen in den Rechtsstaat, nur um Ihre Kollegen zu schützen. Dabei will keiner Ihnen und Ihren Kollegen an den Kragen. Aber dass Sie vorauseilenden Gehorsam vor der Bosheit zeigen – das geht nicht.

Stärke in die falsche Richtung

In Clausnitz sollte ein Bus Geflüchtete zu einer Unterkunft bringen. Eine Meute bedrängte den Bus, blockierte ihn. Bedrohte die Insassen. Dass man der Polizei nun vorwirft, anfangs mit zu wenig Personal vor Ort gewesen zu sein, finde ich besserwisserisch. Derzeit fährt so mancher Bus mit Geflüchteten auf Deutschlands Straßen; und nicht immer ist zu befürchten, dass sich Menschen so schlimm aufführen wie in Clausnitz.

Dann aber gab es Fehler nach Fehler. 23 Polizisten gegen 100 Blockierer. Energisches Auftreten gegen diesen massiven Rechtsverstoß gab es nicht. Der Staat, das Recht, zeigte keine Stärke. Nun wird es als Gewinn verkauft, dass der Bus nicht umgekehrt ist. Das ist jämmerlich.

Wollen Sie uns weismachen, 23 Beamte hätten mit diesem Mob aus besoffenen „Wutbürgern“ nicht fertig werden können? Ein kleines Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, im Bus hätte sich die Kegelgesellschaft des örtlichen Seniorenheims befunden. Und 100 linksradikale Autonome hätten den Bus so angegangen wie in Clausnitz. Hätte sich die Polizei genauso verhalten? Nie und nimmer. Sie hätte sich auf die Hinterbeine gestellt und gebellt. Sie hätte gedroht, und das nicht nur mit Platzverweis. Aber so wirkt es, als wären den Beamten vor Ort die „Protestierer“ nicht so schlimm erschienen und die Businsassen als, naja, die werden halt was ertragen können müssen.

Den Bock aber abgeschossen, Herr Polizeipräsident, haben Sie mit der Ankündigung, auch gegen Businsassen zu ermitteln. Der Stinkefinger und Kopf-ab-Gesten eines 14-Jährigen hätten provoziert; auch Handyfilmerei. Das nennen Sie eine Mitschuld an den Geschehnissen? Bleiben Sie dabei, lässt sich nur feststellen, dass Ihnen das nötige Feingefühl für Ihren Beruf fühlt.

Versuchen wir es einmal: Da kommen Menschen, Syrer. Die haben einen Krieg überlebt, Haus und Heimat hinter sich gelassen. Waren wochenlang unterwegs, haben gefroren, sind traumatisiert. Kurz vor Erreichen des endlichen sicheren Hafens stellt sich ihnen, den Unbewaffneten und in einem Bus wie auf einem Präsentierteller sitzend, ein rassistischer Mob entgegen. Glauben Sie mir, wäre ich einer der Businsassen gewesen – ich wäre entweder in Ohnmacht gefallen oder hätte noch ganz andere Gesten diesen Mistkerlen gezeigt. Ein Stinkefinger als Provokation? Nicht die „Wutbürger“ da draußen hatten Angst, sondern die Businsassen. Ihre Reaktionen waren Zeichen der Würde. Also dagegen wollen Sie ermitteln?

Wer ist hier der Vogel Strauß?

Die Businsassen hätten schnell aus dem Bus ins Haus gebracht werden sollen, um sie zu schützen, sagten Sie. „Einfacher unmittelbarer Zwang“ sei „absolut notwendig und verhältnismäßig gewesen“. Herr Polizeipräsident, verhältnismäßig wäre eine Entschuldigung für diese Dreistigkeit. Wäre es etwa nicht besser so gewesen: Ein Polizist legt den Arm um den 14-Jährigen, redet ihm zu, versucht sein Vertrauen zu gewinnen. Die anderen Beamten drängen vehement die wahren Rechtsbrecher zurück – und Arm in Arm wird der Junge ins Haus geleitet. Stattdessen aber gab es Polizeigriff unter dem Gejohle der Meute.

Was in Clausnitz geschah, war ein Versagen der Polizei auf vielen Ebenen. Kann passieren, jeder ist schneller überfordert als wir uns im warmen Sessel ausmalen wollen. Dass Sie aber entweder nicht den Mumm haben zu diesen Fehlern zu stehen oder sie nicht sehen – dann begegnen Sie Ihrem Amt nicht mit gebotener Würde. Dafür sind diese Schuhe zu groß.

Bild: dpa

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