Herrn Friedrich zieht es zum Stinkefinger

Wie umgehen mit Rechtsextremisten? SPD-Chef Sigmar Gabriel entschied sich für den Stinkefinger. Verständlich – aber souverän? Beifall kriegt er dabei von ungewohnter Seite.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Sigmar Gabriel ist ein Bauchpolitiker. Den Vizekanzler und SPD-Chef treibt es oft nach vorn, dann juckt es ihn, dann lässt er einen Verbalschlag raus. Zuweilen steht er sich selbst im Weg. Seine Ellenbogenchecks überlagern seine Talente. Deshalb ist Gabriel seit Jahren in machtvoller und verantwortungsvoller Position, aber so ganz nach oben traut man es ihm nicht zu.

Vor kurzem gab es wieder solch eine Bauchreaktion. Gabriel besuchte Salzgitter und wurde von einer Gruppe Rechtsextremisten “besucht”, die sich womöglich nicht so nennen, sondern “National Besorgte” oder “Nationale Widerständler”. Seine Reaktion darauf war der gezeigte Stinkefinger – und nun hat es im Sommerloch wieder eine Diskussion.

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Darf er das? Ja. Sollte er das? Nun ja. Das bleibt wohl jedem selbst überlassen, wie in solch einer Situation zu reagieren ist. Jedenfalls erscheint der Stinkefinger beim genauen Anschauen der Szene nicht als abwegige Option.

Der braune Papa

Was war geschehen? Die Leute, die er mit der abschätzigen Geste beehrte, waren nicht auf ein Gespräch oder eine Diskussion mit ihm aus. Sie trugen Kapuzen und Masken; erkennbar machten sie sich nicht. Nicht gerade eine gängige Formel für einen respektvollen Diskurs. Sie riefen denn auch mehr als sie sprachen. “Dein Vater hat sein Land geliebt, und was machst du?”, ereiferte sich einer von ihnen gegenüber Gabriel. “Du zerstörst es.”

Gabriels Vater war ein bekennender Nazi, ein übler Menschenfeind. Einer von der Sorte, die unser Land ins Unglück stürzten. Gabriel litt unter ihm und thematisiert dieses Verhältnis, welches mit “schwierig” arg diplomatisch beschrieben wäre, mutig öffentlich. Dieses Dutzend Maskenfuzzis fand also den Nazipapa toll, und Gabriel dagegen sei ein Zerstörer. Also sind die Kapuzencowboys Nazis gewesen. Ganz einfach. Und zwar welche, die nur provozieren wollten.

Sie riefen dann noch “Kultur-Marxisten” – was immer das auch heißen soll. Und glänzten durch Geschichtslosigkeit, indem sie grölten: “Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten!” Nun ist diese Parole eindeutig linken Ursprungs, der Rotfrontkämpferbund der KPD prägte sie, mit dem Zusatz “Wer macht uns frei? Die Kommunistische Partei!” Das ging den Protestlern vom so genannten “Nationalen Widerstand” nicht über die Lippen. Sie riefen dann noch “Volksverräter” und zogen ab.

Gabriel lächelte vorher müde, sah, dass ein Gespräch in dieser Lage unerwünscht war, dass es wegen seines Vaters persönlich geworden war und drehte sich ab. Zeigte den Stinkefinger mit einer lässigen Geste, die sagte: Ihr könnt mir garnix.

Nun ist und bleibt ein Stinkefinger durch eine öffentliche Person mit übertragener Verantwortung unhöflich. Gabriel ist schließlich auch Wirtschaftsminister für den Haufen Naziaktivisten aus Salzgitter. Schlauer und souveräner wäre es gewesen, den Fingerzeig zu unterlassen. Überhaupt ist ein Dialog auf Augenhöhe immer das Beste, und zwar mit JEDEM. Ein Stinkefinger wirkt da herablassend. Das Abendland unter geht davon aber nicht.

Neues von Friedrich Hans-Peter

Das Abendland ist mehr durch andere gefährdet, meist durch jene, die es zu verteidigen meinen. Hans-Peter Friedrich etwa von der CSU, der sieht sich womöglich in Mission. Auf Twitter schrieb er vor zwei Tagen: “Menschen werden #Europa nur akzeptieren, wenn es entschlossen seine #christlich-abendländische Kultur verteidigt.”

Also, das Abendland geht dem CSU-Fraktionsvize im Bundestag leicht von der Lippe. Und er setzte einen drauf.

Nachdem Gabriel in einem Interview seine Reaktion verteidigte und bedauerte, nicht beide Finger gezeigt zu haben, twitterte Friedrich: “Ich kann ihn verstehen. Mir geht es bei dem ganzen linken Pack genauso”

Der arme Friedrich. Wird womöglich hart angegangen. Baumelt sein Konterfei auch an Pappmaché-Galgen wie das von Gabriel bei Pegida-Demos? Die Stinkefinger-“Opfer” von Salzgitter waren offenbar Nazis. Wen meint er mit “linkem Pack”, das er ähnlich schlimm findet wie Nazis?

Friedrich ist ein Politiker auf dem Abstellgleis. Als Bundesminister machte er eine unglückliche und überforderte Figur. Viel blieb von ihm nicht. Aktuell sieht Friedrich aber eine neue Chance: Er will sich als Volkstribun des rechten Randes installieren, und dazu braucht es nur schrille Sprüche. Er will anecken, provozieren. Sollte Friedrich noch einmal in seiner politischen Karriere höher kommen, würde dies zweierlei aussagen: Er wäre der Nutznießer schlechter und destruktiver Gefühle in Zeiten der Herausforderung, sozusagen ein Trittbrettfahrer. Und zweitens müsste die Personaldecke der CSU arg dünn sein, wenn sie noch einmal auf Friedrich zurückgreifen sollte.

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Eigentlich hat sich Friedrich diskreditiert, neben Unsinn relativiert er Rechtsextremisten. Er sollte sich schämen. Und man sollte ihm seltener zuhören, ihn seltener in Fernsehshows einladen und ihm Twitter überlassen.

Bilder: dpa

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