Herz oder Kommerz? ZDF-Doku über das Milliardengeschäft Fußball

Fanproteste gegen Montagsspiele beim Bundesliga-Spiel Frankfurt gegen Leipzig. Foto: ZDF/Halim Hosny
Fanproteste gegen Montagsspiele beim Bundesliga-Spiel Frankfurt gegen Leipzig. Foto: ZDF/Halim Hosny

Humor haben sie beim ZDF. Für eine Reportage über die Kommerzialisierung des Fußballs ausgerechnet Uli Hoeneß als Protagonisten auszuwählen, ist entweder ein schräger Scherz oder ein Indiz für öffentlich-rechtliche Amnesie. Ja, der Mann hat seine Strafe verbüßt. Schon klar. Aber ob ein verurteilter Steuerhinterzieher, der den Staat um mindestens 28,5 Millionen Euro geprellt hat, als glaubwürdiger Experte in Sachen sauberer Fußball durchgeht, darf getrost bezweifelt werden. Davon abgesehen, ist Sport-Reporter Béla Réthy und Autor Halim Hosny mit „Kick & Cash – Macht Geld den Fußball kaputt?” ein sehenswerter Dokumentarfilm gelungen.

Ihre Reportage beleuchtet all jenen Zumutungen, die viele Fans schon lange stören: Utopische Ablösesummen, Spieler, die sich aus Verträgen streiken, die Zersplitterung der Spieltage und teure Pay-TV-Abos. Manche Anhänger haben das Gefühl, nur noch als Staffage zu dienen für ein Milliardengeschäft, das sie zu Randfiguren degradiert. Fast 87 Prozent der Fans glauben einer Umfrage zufolge, dass es dem Profifußball nur noch ums Geld geht. Sicher: Wer die „Fußball-Leaks”-Enthüllungen des „Spiegel” gelesen hat, kennt den Irrsinn um Spieler- und Sponsorenverträge. Interessant wird die Doku durch ihre Details.

So besuchten Réthy und Hosny den Premier League-Club Huddersfield Town. Die Truppe um den deutschen Trainer David Wagner kennt hierzulande wahrscheinlich kaum einer. Deshalb dürften auch wenige wissen, dass Huddersfield über mehr Geld verfügt als die meisten Bundesligisten. Allein an Fernsehgeldern fließen umgerechnet 120 Millionen Euro an den Verein. Das ist mehr als Bayern München kassiert. Das Ergebnis: Huddersfield ist neuerdings in der ersten Liga, spielt vorne mit. Gleichzeitig beklagen die Fans, dass die Eintrittskarten immer teurer werden. Wobei in Huddersfield ein Stadionplatz noch günstig ist, etwa im Vergleich zu Arsenal London, wo die die billigste Dauerkarte umgerechnet über 1000 Euro pro Person im Jahr kostet. Für eine vierköpfige Familie mit Durchschnittsverdienst unerschwinglich.

Fußballer als Werbeträger

Dass dieser Wahnsinn steigerungsfähig ist, erlebt man in Paris. Dort leistet sich Emirat Katar seit 2011 einen eigenen Verein. Paris Saint-Germain kaufte mithilfe der Petrodollars im Sommer 2017 den brasilianische Spieler Neymar vom FC Barcelona – für 222 Millionen Euro. Insgesamt haben die Investoren bislang rund eine Milliarde Euro für Spieler ausgegeben. Die Fans sehen es offenbar gelassen. „Die Leidenschaft für Paris ist nicht mit den Kataris gekommen, das war davor schon da”, sagt einer von ihnen. „Wir sehen das Geld als Mittel und nicht als Zweck.”

Nur auf den ersten Blick ist das ein Defizitgeschäft. Im Film erklärt der Marketingchef von St-Germain: „Seit der Neymar-Verpflichtung ist der Umsatz um fast 75 Prozent gestiegen.” Um Tore geht es dabei nur am Rande. Neymar hat allein bei Instagram etwa 90,7 Millionen Follower. Eine riesige Zielgruppe zumeist junger Konsumenten, an die der Verein mit der Marke Neymar Millionen Merchandisingprodukte verkaufen kann. Mittlerweile leistet sich der Pariser Kickerverein einen eigenen Social-Media-Manager, der die Vermarktung auf Instagram, Twitter und Facebook koordiniert. Der Mann sagt: „Wir geben unseren Fans genau das, was sie wollen.”

Drohen in Deutschland ähnliche Zustände? ZDF-Autor Hosny sieht diese Gefahr. „Es kann sein, dass sich die Profivereine am Ausland orientieren.” An Eintrittspreise, wie in der englischen Premier-League, glaubt Hosny jedoch nicht. Immerhin sehe man in der Premier League auch die Schattenseiten. Die Atmosphäre in den Stadien verschwinde, weil sich eingefleischte Fans die Preise nicht mehr leisten können.

ZDF-Kamerateam vor der Bayern-Zentrale in München. Foto: ZDF/Halim Hosny
ZDF-Kamerateam vor der Bayern-Zentrale in München. Foto: ZDF/Halim Hosny

In München warnt Hoeneß warnt vor der Übernahme von Vereinen durch Investoren. Verständlich. Unter knallhart kalkulierenden Finanziers wäre er seinen sicher Posten längst los. In der Langfassung des Interviews, das in der ZDF-Mediathek abrufbar ist, schwärmt Hoeneß von dem „vernünftigen Finanzgebaren” der Bayern und kritisiert andere Vereine: „Mit wieviel Geld heute rumgeschmissen wird, das macht mir Sorgen.” Die unfreiwillige Ironie dieses Satzes bemerkt der Bayern-Präsident offenbar nicht. Zumal bei den Münchnern auch nur noch 17 Prozent des Umsatzes aus Ticketverkäufen stammt, wie die ZDF-Autoren betonen. Der Rest sind Sponsorengelder, Merchandising und TV-Gelder.

Martin Kind, Präsident des Bundesligisten Hannover 96, spart sich solche Girlanden. Er würde den Verein gern übernehmen. Die Anhänger goutieren sein Ansinnen nicht. Ein Fan von Hannover 96 sagt: „Wenn nur eine Person entscheidet, ist das nie gut – nicht in der Politik, nicht in der Wirtschaft und auch nicht im Fußball.” Wahre Worte. Man fühle sich vom Verein ausgegrenzt. Kind will bei soviel Gegenwind seine Ambitionen ruhen lassen. Vorerst.

Leipzig als Feindbild der Bundesliga

Noch größeren Zorn der Fans zieht in Deutschland derzeit RB Leipzig auf sich. „Werden klassische Vereine von Megainvestoren verdrängt?”, fragen die Autoren. Leider befragen sie Leipzig-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff dazu nicht. Stattdessen darf sich sein Kollege von Schalke 04 als Vertreter eines „Traditionsvereins” präsentieren.

Bei aller berechtigten Kritik an der Kommerzialisierung: Ein wenig nervt diese Marketingphrase von den Traditionsvereinen, die sich von den angeblichen Retortenvereinen unterscheiden. Es ist wohlfeil geworden, auf Leipzig und auch auf Hoffenheim herumzuhacken, die von einem Brauseproduzenten und einem Softwaremilliardär gesponsert werden. Aber wer einmal das Nachwuchsleistungszentrum der TSG besucht hat, sieht, wieviel Energie der Verein in Jugendarbeit investiert und wie die Region auch abseits vom Bundesligaalltag davon profitiert.

Ähnlich bigott ist die Kritik daran, dass Leipzig an der sprudelnden Geldquelle von Red Bull hängt, während zwei Drittel der Bundesliga direkt oder indirekt und mehr oder weniger vom Volkswagen-Konzerns gesponsert werden. Die VW-Tochter Audi hat sich mit 90 Millionen Euro bei der FC Bayern AG eingekauft und hält fast 20 Prozent an der FC Ingolstadt Fußball GmbH. Der VfL Wolfsburg gehört zu 100 Prozent VW. Aber auch Berlin, Bremen, Hannover, Mönchengladbach und diverse andere Clubs werden von dem Autobauer unterstützt. Genauso wie Red Bull nutzt VW den Fußball um seine Produkte zu vermarkten. Und diese Produkte sind ähnlich umstritten wie die des Brauseherstellers. Die an Affen getesteten, abgasmanipulierten Diesel dürften mindestens genauso gesundheitsschädlich sein, wie die klebrige Plörre aus Österreich.

Am Schluss der Reportage soll das Beispiel Union Berlin zeigen, dass es auch anders geht. Leider geht das daneben. Präsident Dirk Zingler darf vor der Kamera die besondere Bindung zwischen Verein und Fans beschwören. Tatsächlich halfen vor Jahren rund 2000 Anhänger beim Bau der Tribüne im Stadion an der Alten Försterei. Man wolle den Aufstieg – aber nicht um jeden Preis, behauptet Zingler.

Doch als Union Ende vergangenen Jahres auf Platz vier der Zweiten Bundesliga stand, wollte Zingler den Aufstieg – und zwar um jeden Preis und setzte völlig überraschend den bei Spielern und Zuschauern beliebten Trainer Jens Keller vor die Tür. Schade, dass Réthy und Hosny auch an dieser Stelle nicht nachgefragt haben – etwa wie sich der noble Anspruch mit der rüden Realität verträgt.

Was in der Reportage ebenfalls fehlt: Auch das ZDF zahlt Millionen an Gebührengelder für die Übertragung von Bundesliga und Championsleague. Die Unsummen für Spielertransfers stammen nämlich keineswegs nur von reichen Sponsoren, sondern eben auch aus den TV-Rechten, die die Sender an die Clubs zahlen. Das ZDF ist also Teil des Problems. Das jedoch unterschlagen Béla Réthy und Halim Hosny in ihrem Film.

„Kick & Cash – Macht Geld den Fußball kaputt?” ist abrufbar in der ZDF-Mediathek