Hetzt die „Bild“-Zeitung gegen Flüchtlinge?
Deutschlands Massenblatt kriegt mal wieder aufs Dach. „Bild“ befeuere Hass auf Flüchtlinge, heißt es. Die Redaktion reagiert beleidigt. Die Wahrheit hat dabei nicht nur ein Gesicht.
Eine Analyse von Jan Rübel
Eine echte Lovestory wird es wohl nicht mehr zwischen Stefan Niggemeier und Julian Reichelt – zu eingespielt sind die Rollen zwischen dem Betreiber von „bildblog.de“ und dem Chef von „bild.de“. Auf der einen Seite ein hartnäckiger Beobachter und Kritiker des Boulevardblatts und auf der anderen ein hartnäckiges Eigengewächs desselbigen, einer, der die vielen Seelen der „Bild“-Zeitung auch lebt.
Auf Niggemeiers Blog steht ein neuer Beitrag, der Aufsehen erregt. Die These: Mit ihren Berichten über Flüchtlinge in Deutschland befeuere „Bild“ Ressentiments und Hass. Belegt wird dies mit Artikeln über angeblich zu sanften Umgang mit schwarz fahrenden Flüchtlingen in Hamburg und über Sanitäter, die sich angeblich nur noch mit Schutzwesten in eine Flüchtlingsunterkunft trauen. Die Liste ließe sich erweitern. Auch etwa gegen die Bewohner der inzwischen geräumten Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg hat die Zeitung – gehetzt. Ein anderes Wort findet sich dafür in der deutschen Sprache nur schwer.
Grobschnitt hilft nicht weiter
Nur gehen Niggemeier und der Autor des Beitrags, Mats Schönauer, in ihrem Urteil zu pauschal vor. Die Kritik stimmt, zahlreiche Artikel in Deutschlands größter Boulevardzeitung bedienen eindeutig Feindbilder über Flüchtlinge und verhärten Klischees über sie. Nur: „Bild“ ist, wie eben eine echte Boulevardzeitung, nicht mit grobschnittigen Erklärungen zu fassen. Das Binnenleben der Zeitung ist vielschichtig, die Meinungen der Redakteure sind es auch – und in den vielen Redaktionen des Blatts wird durchaus lebhaft diskutiert. Nichts ist einfach ist bei der Zeitung mit den einfachen Sätzen. Und so ist die Tonalität von „Bild“ auch gegenüber Flüchtlingen weder einsilbig noch die eines Kinderliedes.
„Bild“ ist immer wieder Opfer der von ihr selbst geschriebenen Gesetze des Boulevards. Diese sind zwar nicht unveränderlich, zeigen sich aber als selbst ernährendes System: Aufmerksamkeit ist oberstes Gebot. Beachtung findet man durch Kampagnen. Kampagnen prägen sich ins Bewusstsein jener ein, von denen man gekauft werden will. Daher pickt sich die Zeitung stets einzelne Personen oder Minderheiten heraus und reitet auf ihnen herum. Das ist weder links noch rechts, das bedient einfach die dunklen Seiten unserer Lebensform.
„Bild“ ist lernfähig
Für Flüchtlinge heißt das, dass sie vor „Bild“ nie sicher sind. Weil das Blatt Emotionen kühl kalkulierend einsetzt, aber auch selbst sehr emotional ist, setzt sich die Zeitung tatsächlich auch für Flüchtlinge ein. Durch die schiere Macht der Zeitung hat „Bild“ für mehr Mitgefühl unter Deutschen gegenüber Flüchtlingen gesorgt als beispielsweise „bildblog.de“ – was allerdings auch nicht die Aufgabe Niggemeiers ist. Immer wieder schlägt indes der Ton auch um. Von ihrem Drang zu Kampagnen könnte sich „Bild“ nur befreien, wenn die Zeitung leiser, weniger schrill und dafür bunter würde. Für ein Boulevardblatt zweifellos keine leichte Aufgabe. Längst aber ist „Bild“ nicht mehr jenes eindeutig politisch rechts einzuordnende Kampfblatt, das es einmal war. Die Redaktion wird regiert von Neoliberalen, Hipstern und Konservativen, die nicht genau wissen, was konservativ genau ist. Das ist nicht schlecht. Denn das macht die Zeitung lernfähiger, als mancher denkt.
Die Antwort von Julian Reichelt auf den Beitrag in „bildblog.de“ indes enttäuscht. Er geht mit keinem Wort auf die Vorwürfe ein, zeigt sich persönlich verletzt und ignoriert die simple Weisheit, dass man kein Rassist sein muss, um Rassismus zu verbreiten. Stattdessen leiert er das persönliche Engagement vieler Redakteure für Flüchtlinge herunter, betont die von der Zeitung initiierten Hilfsprojekte und meint vielleicht, all dies würde in Form eines Ablasshandels von publizistischen Sündenfällen freisprechen. Dabei erleben viele von uns in Deutschland das: Wir lernen Flüchtlinge in Zügen und auf der Straße kennen, ein Augenkontakt baut Brücken. Wir sprechen mit ihnen, helfen und beraten. Das ist auch alles neu für uns. Das ist gut, macht aber nicht gleich automatisch aus uns bessere Menschen – geschweige bessere Journalisten. „Bild“ berichtet, was ist – das sagt Reichelt oft. Das klappt aber nur, wenn man Blick stets am Boden hält.