Historikerin: Moskau fürchtet Demokratie in der Ukraine

Die russische Wissenschaftlerin und Carl-von-Ossietzky-Preisträgerin Irina Scherbakowa. Foto: Ingo Wagner

Was sind die Motive Moskaus für das Vorgehen in der Ukraine? Darüber rätseln viele. Die russische Historikerin Scherbakowa analysiert: Der Kreml hat Angst vor der Demokratisierung in der Ukraine.

Die russische Historikerin Irina Scherbakowa erklärt sich das Vorgehen Moskaus in der Ukraine auch mit Furcht vor einem Überspringen des demokratischen Funkens auf das eigene Land. «Davor hat man Angst, man hat Angst, dass man sich womöglich von dieser Demokratie in Russland noch ansteckt», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Russland wolle daher eine demokratische Ukraine nicht dulden. Die Historikerin und Publizistin wurde am Sonntag mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg ausgezeichnet.

Scherbakowa warf der russischen Führung vor, im Ukraine-Konflikt Druck und Propaganda auszuüben. Für eine Entspannung der Lage wäre es nötig, klipp und klar zu sagen, dass man die Separatisten nicht unterstützt. «Man muss aufhören, eine unglaubliche Propaganda in den russischen Massenmedien, die gleichgeschaltet sind, zu verbreiten, was für Horror sich in der Ukraine abspielt.» Die russische Propaganda lähme die Ukraine und binde die Hände der ukrainischen Regierung. «Das entspannt die Situation überhaupt nicht.»

Nach Scherbakowas Überzeugung wurden in der Hektik der Revolution auch in der Ukraine viele Fehler gemacht worden. Ein Beispiel sei die inzwischen revidierte Einschränkung der russischen Sprache. «Das wurde sofort für die Propaganda im Osten des Landes eingesetzt.» Es gebe aber auch große Gewinne. «Vor allem die Pressefreiheit, bei uns wird sie sehr stark eingeschränkt.» Wenn das Land jetzt Hilfe bekäme, würde es die Probleme bewältigen können, ist die Wissenschaftlerin überzeugt.

Das Argument, Russland werde im Westen falsch verstanden, will Scherbakowa nicht geltenlassen. Es sei eine Jahrhunderte alte Ausrede, um unberechenbare und aggressive Politik zu verbergen. «Meine Sorge gilt jetzt, besonders was Deutschland betrifft, dass die Beziehungen und Kontakte zwischen der Zivilgesellschaft in Deutschland und in Russland, die sich im Laufe der letzten 25 Jahre intensiv entwickelt haben, auch stark beschädigt werden.» Russland betreibe eine Abkapselung, Entfremdung und antiwestliche Politik.