Historische Aufnahme: Der falsche Flaggenhisser von Iwojima

Wie ein weltberühmtes Kriegsfoto 72 Jahre lang die Amerikaner täuschte.

Die Schlacht um Iwojima dauerte schon eine Woche, und ein Ende war nicht abzusehen, als der Sanitäter John Bradley Zeit für ein paar Zeilen nach Hause fand. Doch für das Grauen gab es keine Worte. Hunderte seiner Kameraden waren im Dauerfeuer der japanischen Verteidiger gefallen, etliche davon starben in seinen Armen: blutjunge Kerle so wie er, in den Bootcamps der Marines zu Kampfmaschinen ausgebildet und doch im Moment des Todes wie Kinder das immergleiche Wort auf den Lippen – „Mom“. Mom Bradley erfuhr von alldem nichts. Er würde seinen linken Arm geben für eine gute Dusche und eine Rasur, las sie von ihrem Sohn. Und dass er nie geglaubt hätte, drei Tage lang ohne Essen, Trinken und Schlaf auskommen zu können. Aber er sei bei bester Gesundheit und habe bei der Feldmesse die Heilige Kommunion empfangen. Und dann, beinahe wie eine Randbemerkung, schrieb er noch: „Ich war mit der siegreichen Kompanie, die als erste den Gipfel des Suribachi erreicht hat. Ich war ein bisschen am Hissen der amerikanischen Flagge beteiligt und es war der glücklichste Moment meines Lebens.“ Im Innersten getroffen Nichts ist falsch in diesem Brief, „absolut nichts“, betont Bradleys Sohn James heute. Und doch hat er dazu beigetragen, dass die Familie Bradley, das US Marine Corps, die amerikanische Regierung, ja ganz Amerika mehr als 70 Jahre lang einem Irrtum aufgesessen waren: So lange galt John Bradley als einer der sechs „Flagraiser“ von Iwojima, verewigt auf jenem ikonografischen Schnappschuss von Joe Rosenthal, einem der berühmtesten Fotos aller Zeiten. Doch jetzt kam heraus: Bradley ist darauf gar nicht zu sehen. Es ist eine Erkenntnis, die jüngst, nach langem Zögern, auch das Marine Corps abgesegnet hat – und welche die in ihrem Selbstverständnis ohnehin gerade gebeutelten Vereinigten Staaten in ihrem Innersten trifft. Denn „Raising The Flag on Iwo Jima“, wie das Foto offiziell heißt, gehört zum kollektiven Gedächtnis Amerikas: als Symbol nicht nur der Tapferkeit und Aufopferungsbereitschaft seiner Soldaten, sondern der Einheit der Nation unter einer Flagge. Die Namen der sechs Soldaten waren in Stein gemeißelt. Darunter soll sich ein Etikettenschwindler verborgen haben? Zumal John „Doc“ Bradley, der Vorzeige-Held, nach bisheriger Weisheit der zentrale Mann ist auf dem Foto: mittig im Vordergrund den Flaggenmast in den Boden rammend; sogar Ansätze seines energisch verzogenen Gesichts sind erkennbar. Ein Drama. Historiker entdeckten den Fake Zwei Hobby-Historiker kamen dahinter, ein Ire namens Stephen Foley und der in Omaha, Nebraska, heimische Militaria-Sammler Eric Krelle, Betreiber einer Website zu Ehren der 5th Marine Division, die im Pazifikkrieg kämpfte. Foley hatte frisch aufgetauchte Bilder, die vor und nach dem Hissen des Sternenbanners auf dem Suribachi geschossen wurden, mit dem Rosenthal-Foto verglichen und stand nun vor der Frage: Warum sieht John Bradley beim Hissen der Flagge nicht aus wie John Bradley? Der Mann im Rosenthal-Foto trägt Patronengürtel und Drahtzange, Bradley auf allen andern Bildern eine Sanitäterausrüstung. Der Mann im Rosenthal-Foto hat eine Stoffkappe unter dem Helm, Bradley nie. Der Mann im Rosenthal-Foto trägt die Hose lose über die Stiefel, Bradley grundsätzlich als Knickerbocker. Krelle sah sich die Bilder an, er sah sich Dutzende weitere Bilder an, er sah sich Filmschnipsel an, Bild für Bild, immer wieder, Tage, Wochen. Irgendwann stand fest: Es ist nicht Bradley. Aber wer ist es dann? Und wie kann es sein, dass all dies Jahrzehnte lang unbemerkt blieb? „Niemand hatte Grund, daran zu zweifeln, dass mein Vater dabei war“, sagt James Bradley. „Auch alle Jungs, die an jenem Tag auf dem Suribachi waren und lebend wieder von der Insel gekommen sind, nahmen die Überzeugung mit ins Grab, dass mein Vater auf dem Foto war.“ Tatsächlich hat James Bradley nahezu jeden Veteranen von Iwojima interviewt und die Schlacht und die...Lesen Sie den ganzen Artikel bei berliner-zeitung