Hitzewahn im Krankenhaus - Klinik-Ärztin warnt vor stiller Gefahr: „Patientin dachte, ich will sie vergiften“

Die Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz (KGRP) fordert einen Klimaschutzfonds und ein groß angelegtes Investitionsprogramm.<span class="copyright">Daniel Bockwoldt/dpa</span>
Die Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz (KGRP) fordert einen Klimaschutzfonds und ein groß angelegtes Investitionsprogramm.Daniel Bockwoldt/dpa

Hitze kann zur tödlichen Gefahr werden – besonders für ältere Menschen. Viele Kliniken sind schlecht darauf vorbereitet und geraten bei steigenden Temperaturen selbst an ihre Grenzen. Eine Berliner Ärztin berichtet von ihren Erfahrungen und zeigt, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Patientenleben zu retten.

Diesen heißen Tag in der Klinik wird Andrea Nakoinz nie vergessen. Eine ältere Patientin wartete auf ihre Operation - und dachte, die Anästhesistin wolle sie vergiften. „Die Patientin musste mehrere Stunden warten, bis sie operiert werden konnte", erzählt die 37-Jährige, die im Unfallkrankenhaus Berlin arbeitet. Vor solchen Eingriffen dürfen die Patienten oft mehrere Stunden nichts trinken, sie müssen „nüchtern“ sein, wie es im Fachjargon heißt. Da das Tagesgeschäft im Unfallkrankenhaus aber vor allem aus Notfällen besteht, kommt es häufiger vor, dass reguläre Operationen verschoben werden müssen.

Doch die stille Gefahr lauerte bereits: Ausgerechnet an diesem Tag war es sehr heiß. Stundenlang wartete die alte Dame im aufgeheizten Krankenhaus auf ihre OP und durfte nichts trinken. „Sie verfiel ins Delirium“, erinnert sich die Anästhesistin. Im Hitzewahn hatte sie Angst, vergiftet zu werden. Die Ärzte konnten die Situation nur entschärfen, indem sie ihr vor der Operation doch noch Wasser gaben. Der heiße Kliniktag verfolgt Nakoinz bis heute.

Hitze wird zur stillen Gefahr in Krankenhäusern

Es wird nicht der letzte gewesen sein, warnt sie. Durch den Klimawandel werden sich solche Fälle in Zukunft häufen, sagt die Ärztin, die sich als bundesweite Hitzeschutzberaterin für Krankenhäuser in der „Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit“ (KLUG) engagiert.

Gerade bei älteren Menschen erhöhe die Hitze das Risiko für solche Delirien und andere schwere Komplikationen, sagt Nakoinz. „Als älterer Mensch erholt man sich davon oft nicht mehr richtig.“ Aber auch für andere Menschen wird die Hitze zur Gefahr: Schwangere, Menschen mit Vorerkrankungen oder Kinder.

Allein für den Sommer 2023 rechnet das Robert Koch-Institut in Deutschland mit 3200 Todesfällen, die indirekt durch Hitze verursacht oder begünstigt wurden. Darüber hinaus landen jedes Jahr tausende Menschen hitzebedingt in der Notaufnahme. Dort kann die Hitze selbst wieder zur Gefahr werden.

Nur 38 Prozent aller Patientenräume sind klimatisiert

Denn: Viele Klinikgebäude sind gegen Hitze nicht gewappnet. Nur 38 Prozent aller Patientenzimmer in deutschen Krankenhäusern sind klimatisiert, zeigen Daten des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI). Viele Gebäude stammen aus den 1970er und 1980er Jahren. Bausubstanz und Lüftungssysteme machen den Einbau moderner Klimaanlagen oft nahezu unmöglich. Nachträgliche Baumaßnahmen wären zumindest mit hohen Kosten verbunden, aber „kein Krankenhaus hat auch nur einen Euro übrig“, sagt Nakoinz.

Den Einbau von Klimaanlagen sieht sie ohnehin kritisch: „Natürlich muss die Arbeitssicherheit gewährleistet sein, allerdings enthalten viele Klimaanlagen umweltschädliche, nicht-abbaubare Kühlgase und verbrauchen sehr viel Strom“. Alternative Kühlmöglichkeiten wie Kühldecken oder Betonkernaktivierung seien zwar deutlich effizienter - aber auch die scheiterten oft am Geld.

„Die Finanzierung ist wirklich eine Katastrophe - es gibt kaum Unterstützung für die Krankenhäuser“, sagt Nakoinz. Als Hitzeschutzberaterin bei KLUG war sie selbst am Muster-Hitzeschutzplan des Bundesgesundheitsministeriums beteiligt. Dieser sei ein guter Anfang. Eine ausreichende Finanzierung sei aber auch hier nicht vorgesehen. Auch die Gelder, die im Rahmen der Krankenhausreform gestellt wurden, reichen ihrer Meinung nach angesichts des hohen Sanierungsbedarfs in den alten Kliniken nicht aus.

Wie sich Krankenhäuser dennoch für die Hitze wappnen können

Gerade deshalb rät Nakoinz allen Krankenhäusern, einen individuellen Hitzeschutz- oder Hitzeaktionsplan aufzustellen. Es brauche Hitzeschutzbeauftragte, geschultes Personal, Hitzevisiten und eine angepasste Versorgung der Patientinnen und Patienten mit ausreichend Wasser und hitzefreundlicher Kost sowie Kühlwesten oder Hitzeschutzfolien für Fenster.

„Mit verhältnismäßig wenig Aufwand lässt sich schon viel erreichen“, schlussfolgert die Anästhesistin. “Wir haben bei uns eine Pilotstation, an der wir ganz viel testen.” Denn: Bis vor kurzem fand die Physiotherapie unfallchirurgischer Patientinnen und Patienten noch im Flur mit Glasfront statt. Doch hohe Temperaturen im Sommer machten die Hitze dort unerträglich. Eine simple Lösung: Die Therapie wurde in das Treppenhaus mit grüner Fassade verlegt, weil es dort deutlich kühler ist.

Das A und O sei vor allem: Ehrlichkeit, gerade was den Komfort angeht. „Es muss deutlich werden, dass ein Hitzeschutzplan nicht bedeutet, alle Räume auf angenehme 20 Grad herunterzukühlen, wenn draußen 40 Grad sind", sagt Nakoinz, "sondern darum, als Krankenhaus funktionsfähig zu bleiben und dafür zu sorgen, dass die Leute nicht kranker werden oder sterben.“ Denn eines sei klar, warnt die Medizinerin: „Die Frage ist nicht, ob Deutschland schwere Hitzewellen erleben wird, sondern wann. Und wenn die Krankenhäuser es dann nicht mehr schaffen sollten, der zusätzlichen Belastung standzuhalten, wird eine Bundesregierung handeln und Geld zur Verfügung stellen müssen.“