Hitzewelle 2019: Was Temperaturrekorde für die Natur bedeuten

Unerträgliche Hitze, gefolgt von schlimmen Unwettern und neuen Temperaturrekorden: Auch der diesjährige Sommer wird wieder von Extremen geprägt sein. Was das mittelfristig für die Natur bedeutet, welche Pflanzen langfristig aussterben werden – und welche Hebel wir laut Experten von WWF und BUND akut betätigen können, um der Vegetation in der Hitze Erleichterung zu verschaffen.

Bei Sonnenschein den Badesee genießen - das sind die schönen Seiten des Sommers. (Bild: Getty Images)
Bei Sonnenschein den Badesee genießen - das sind die schönen Seiten des Sommers. (Bild: Getty Images)

Golfballgroße Hagelkörner, Regenmassen, die auch hoch gelegene Landschaften überfluten. Kurz darauf erneute Hitzewellen, unter denen Menschen, Tiere und Pflanzen leiden, ganze Landstriche dörren aus, Ernten sind gefährdet, Wälder brennen. Das ist kein Blockbuster-Movie, das alle denkbaren Wetterkatastrophen in 100 Minuten presst, sondern der Sommer 2019 in Deutschland, der – so warnten Experten schon vor Monaten – noch extremer werden könnte als der schon fast unerträglich heiße Sommer 2018.

Von dem hat sich die Natur noch nicht erholt: Nach dem Ernteausfall in Sommer und Herbst drohte Grundfutterknappheit für die Tierwelt, rund 70 Prozent der Fläche Deutschlands waren noch Ende des Jahres von extremer Trockenheit betroffen, bis heute sieht man Flora und Fauna die Anstrengungen der vergangenen Hitzeperiode an.

Keine Reserven für die dürregeplagten Wälder

Das Jahr 2018 galt im Bundesland Brandenburg als eines der schlimmsten Waldbrand-Jahre aller Zeiten – und apropos Wald: Ein Großteil der 500 Millionen im Frühjahr 2018 gepflanzten jungen Baumsetzlinge würden das Jahr wohl nicht überleben, warnte die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) bereits im Herbst.

Im Frankfurter Stadtwald liegt heute eine Waldfläche von 3000 Quadratmetern brach: “Das komplette Areal ist seit Ende 2018 tot“, wird Revierförster Lars Eckert von der Frankfurter Rundschau zitiert. Dieser trockenste Teil des Waldes, der auf Boden “mehr oder weniger aus reinem Sand“ steht und noch Anfang 2018 ein artenreicher Nadel- und Laubmischwald mit Buchen, Eichen, Kiefern und Lärchen war, konnte der Hitze und Dürre nicht standhalten. “Wir mussten roden, um einen gewissen Wert aus 60 Jahren Forstwirtschaft zu erzielen.“ Das Problem vielerorts: Die dürregeplagten Bäume hatten auch im vergangenen trockenen Winter kaum eine Möglichkeit, ihre Wasserreserven aufzufüllen.

Dürre und Sturm führen zum Sandsturm im Mecklenburg. (Bild: Getty Images)
Dürre und Sturm führen zum Sandsturm im Mecklenburg. (Bild: Getty Images)

Albert Wotke ist Biologe und setzt sich als Referent für Naturschutz beim WWF dafür ein, die Naturschätze in Deutschland zu erhalten und den Verlust der Biodiversität zu stoppen. Er sieht Waldbrände nur als eine von mehreren fatalen Auswirkungen der anhaltenden Hitze auf die Vegetation: Durch die Trockenheit verlangsamt sich auch das Wachstum der Fauna – und Krankheiten und Parasiten breiten sich aus.

“Durch den Hitzestress haben Schadinsekten wie Borkenkäfer leichtes Spiel“, sagt Wotke zu Yahoo Nachrichten. Aufgrund der wärmeren Temperaturen können sich diese besonders in Monokulturen wie etwa Fichtenwäldern leichter ausbreiten.

“Erhöhte Temperaturen können zu Fischsterben führen”

Natürlich nehmen auch Pflanzen außerhalb von Wäldern durch das Absinken des Grundwasserspiegels Schaden, ebenso wie aquatische Lebensräume wie Flüsse und Seen: “Einerseits kann es durch erhöhte Verdunstung zu einer Konzentration von Nährstoffen und Schadstoffen im Wasser kommen, was das Algenwachstum begünstigt“, sagt auch Milan Fanck, Experte für Biodiversität beim BUND und dort unter anderem für die Themen Biotopverbund und Klimawandel zuständig, zu Yahoo Nachrichten.

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“Dieses wirkt sich wiederum negativ auf die restliche Wasservegetation aus. Erhöhte Wassertemperaturen können zu massenhaftem Fischsterben führen. Pflanzen und andere Organismen, die kaltes Wasser benötigen, werden verdrängt. Trocknen Gewässer über längere Zeiträume ganz aus, ist das auch für fast alle Wasserpflanzen tödlich.“

Was lernt die Pflanzenwelt aus dem Klimawandel?

Nicht nur die direkten Folgen der Hitzeperioden sind erschreckend. Mittelfristig ist den Experten zufolge damit zu rechnen, dass sich die Artenzusammensetzungen unserer Landschaften verändert: “Den Prognosen zufolge werden sich für viele der in Deutschland vorkommenden Arten die klimatisch geeigneten Lebensräume nach Norden und Osten, in höhere Lagen der Gebirge oder entlang von Feuchtegradienten verschieben“, sagt Albert Wotke vom WWF.

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“Arten können durch den Klimawandel in ihrer Existenz bedroht sein, wenn ihr potenzielles Verbreitungsgebiet schrumpft oder ganz verloren geht, beziehungsweise wenn sie neue Lebensräume wegen einer geringen Ausbreitungsfähigkeit, natürlicher oder menschengemachter Barrieren oder veränderter Konkurrenz- und Nahrungsbeziehungen nicht besiedeln können.“

Konkurrenz können den einheimischen gefährdeten Arten sogenannte gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten, so genannte Invasive Arten oder auch Neobiota, machen, deren Einwanderung und Ausbreitung ebenfalls dem Klimawandel geschuldet ist. „Neobiota sind manchmal wesentlich konkurrenzstärker als einheimische Arten und verdrängen diese dadurch“, sagt BUND-Mitarbeiter Fanck.

Einzelne Hitzeperioden sind nicht das Problem

Den Experten von WWF und BUND zufolge sind zwischen 5 und 30 Prozent der Pflanzenarten Deutschlands im Bestand gefährdet, teilweise bereits ausgestorben. Müssen wir uns nun nach jeder Hitzewelle von einer weiteren Pflanzenart verabschieden?

“Durch den Klimawandel häufiger auftretende Hitzeperioden werden diese Arten weiter unter Druck setzen“, sagt Milan Fanck. “Problematisch sind nicht einzelne Hitzeperioden, sondern die erhöhte Frequenz ihres Auftauchens, in Kombination mit einer steigenden Durchschnittstemperatur.“ Besonders gefährdet sind Pflanzenarten, die nur unter ganz bestimmten Umweltvoraussetzungen überleben und sich nicht ohne weiteres an veränderte Bedingungen anpassen können. Und natürlich: Wo weniger Wasser ist, ist auch weniger Leben.

“Vielen Arten fehlt nicht nur die Anpassungsfähigkeit, sondern auch die Ausbreitungsfähigkeit. Das Bundesamt für Naturschutz berichtet, dass besonders viele Hochrisiko-Arten in Mooren, Quellen, feuchtem Grünland und in Fließgewässern leben“, so Albert Wotke.

Mehr Pflanzen und unversiegelte Flächen sind nötig, um städtische Wärmeinseln zu vermeiden und das Stadtklima zu verbessern. (Bild: Getty Images)
Mehr Pflanzen und unversiegelte Flächen sind nötig, um städtische Wärmeinseln zu vermeiden und das Stadtklima zu verbessern. (Bild: Getty Images)

Unsere Städte müssen grüner werden

Wie kann nachhaltige Hilfe aussehen? Neben zusätzlichen Biotopverbünden, die unter das Stichwort Landschaftsschutz fallen, ist auch ein Umdenken in der Landwirtschaft gefragt – denn im Zusammenhang mit den Hitzeperioden ist in einigen Teilen Deutschlands auch mit mit einer Zunahme an Starkwinden und Regenfällen zu rechnen. “Das wiederum führt zu einer größeren Erosionsgefahr durch Wind und Wasser“, erklärt BUND-Mitarbeiter Milan Fanck. “Die Landwirtschaft muss ihr Bewirtschaftungssystem grundlegend verändern: Frühzeitige Gegenmaßnahmen wie Heckenpflanzungen und Erosionsschutzstreifen oder optimale Fruchtfolgengestaltung sind notwendig.“

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Klimaforscher empfehlen außerdem, den Städtebau neu zu denken: Dort, wo es immer heißer und stickiger wird, weil durch die dichte Besiedlung Wärme in Baumasse gespeichert und Winde behindert werden, entstehen Hitzeinseln. Deren Ausmaß ist auch von Bodenfeuchte und Vegetation abhängig - mehr Grün- und Wasserfläche kann mittelfristig gegensteuern.

Dabei muss es nicht immer gleich ein Park mit eigenem See sein: “Ideal sind breite Straßenzüge mit grünen Mittelstreifen und Bäumen“, sagte der Karlsruher Klimaforscher Stefan Emeis dem Nachrichtenmagazin “heute“: “Grün ist von Vorteil, denn aus den Pflanzen verdunstet Wasser. Und dieser Prozess braucht viel Wärme. Deswegen hält Vegetation schön kühl.“ Zu diesem Schluss kam auch eine Forschergruppe, die die Stadtklimadaten aus 60 US-amerikanischen Städten untersuchte. Mehr Pflanzen und mehr unversiegelte Flächen seien nötig, um städtische Wärmeinseln zu vermeiden und das Stadtklima zu verbessern, hieß es im Fachmagazin “Science Advances“.

Auch der Einzelne kann helfen

Die spürbar kühlere Brise verspürt jeder, der in den Parkanlagen von München, Hamburg oder auch in einem der “mobilen grünen Zimmer“ sitzt, die das Frankfurter Umweltdezernat im Stadtgebiet installiert hat. Die Pflanzenwände mit Sitzgelegenheiten sind transportabel und bieten schattenspendenden Platz für zwei bis drei Personen.

Wer sich in solch einer grünen Oase Abkühlung verschafft hat, hat wieder Energie, um auch der Natur wieder zu etwas Erleichterung zu verhelfen. Denn neben dem großen Umdenken, das in Bezug auf den Klimawandel stattfinden sollte (Verzicht auf Flugreisen, umsichtigerer Einkauf, Strom sparen...) können im akuten Hitzezustand auch die kleinen Gesten helfen - das Gießen der Stadtbäume vor der eigenen Haustür zum Beispiel. Aber bitte mit Verstand: “Wer kann, sollte Regenwasserspeicher schaffen, damit man nicht so viel Grundwasser verbrauchen muss“, empfiehlt Albert Wotke vom WWF. “Gießen sollte man in den frühen Morgenstunden oder am späten Abend, da ansonsten schon viel verdunstet ist, wenn es bei den Pflanzenwurzeln ankommt.“

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