Hitzige Debatte: Viktor Orbán und Ursula von der Leyen streiten im EU-Parlament
Viktor Orbán und Ursula von der Leyen sind am Mittwoch in einer hitzigen Debatte im Europäischen Parlament aufeinandergeprallt. Dabei haben beide Politiker ihre gegensätzlichen Visionen für die Zukunft Europas dargelegt und ihre starke Abneigung gegeneinander deutlich gemacht.
Der Krieg Russlands in der Ukraine, die Frage, wie Europa am besten mit dem wachsenden Problem der Wettbewerbsfähigkeit umgehen soll, und die Migration waren nur einige der vielen Streitpunkte zwischen den beiden.
Der ungarische Ministerpräsident Orbán bezeichnete die Reaktion der Europäischen Union auf den Krieg in der Ukraine als "schlecht geplant und schlecht umgesetzt" und forderte die EU auf, die Kommunikation mit dem Kreml wieder aufzunehmen. Dies hatte er bereits bei einem umstrittenen Besuch in Moskau im Juli versucht.
"Die Europäische Union hat in Bezug auf diesen Krieg eine falsche Politik verfolgt", sagte er den Abgeordneten. "Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir diese verlierende Strategie ändern".
Die Präsidentin der Europäischen Kommission nahm Orbáns Moskau-Reise zum Anlass, um zu sagen: "Es gibt immer noch einige, die diesen Krieg nicht dem Angreifer, sondern dem Angegriffenen anlasten. Nicht Putins Machtgier, sondern der Freiheitsdrang der Ukraine".
"Ich möchte sie fragen: Würden sie jemals die Ungarn für die sowjetische Invasion von 1956 verantwortlich machen? Oder die Tschechen und Slowaken für die sowjetische Unterdrückung von 1968?", sagte von der Leyen. "Die Menschen in der Ukraine sind Freiheitskämpfer, genau wie die Helden, die Mittel- und Osteuropa von der sowjetischen Herrschaft befreit haben."
Orbán reagierte heftig auf den Vergleich, nannte ihn einen "Fehler" und sagte, die ungarische Revolution von 1956 habe "nichts" mit dem Widerstand der Ukraine gegen die russischen Truppen zu tun.
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"In der Vergangenheit, so steht es in den Verträgen, war die Kommission die Hüterin der Verträge, sie war ein neutrales Organ", sagte Orbán. "Ihre Aufgabe war es, politische Debatten beiseite zu schieben und Differenzen auf juristische Art und Weise zu lösen, aber das hat sich jetzt geändert.
"Anstatt ein Hüter der Verträge zu sein, ist es ein politisches Organ, eine politische Waffe", fügte er hinzu und wandte sich direkt an Von der Leyen.
Orbán betritt die Bühne
Die Erwartungen an Orbáns Rede in Straßburg waren unter seinen Unterstützern im Europäischen Parlament hoch.
Orbán, dessen Land die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat, eröffnete seine Rede mit den Worten, die EU müsse sich ändern, da sie "vor der schwersten Zeit" ihrer neueren Geschichte stehe.
Der Ministerpräsident schlug wegen der wirtschaftlichen Stagnation in der EU Alarm und forderte energische Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Schließung der Lücke zu den Vereinigten Staaten und China. Auf das geringe Wettbewerbsfähigkeit Europas hat auch Mario Draghi in seinem im vergangenen Monat vorgelegten Bericht aufmerksam gemacht.
Anschließend warf Orbán Von der Leyen vor, dass der Green Deal keine Industriepolitik berücksichtige, was nicht nur in konservativen Kreisen beklagt wird. Außerdem gab er der gemeinsamen Strategie der EU-Länder zur Abkehr von russischen fossilen Brennstoffen nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine die direkte Schuld am schleppenden Wachstum und den hohen Energiepreisen in der EU.
Orbán prangerte auch die "Handelsbeschränkungen" der EU an. Das war eine offensichtliche Anspielung auf die Zölle auf in China hergestellte Elektrofahrzeuge. Diese hat die EU in der vergangenen Woche nach intensiven Beratungen beschlossen.** Ungarn wehrte sich entschieden dagegen, genauso wie der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz.
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Während sich der ungarische Ministerpräsident bei den Themen Wirtschaft und Klima relativ moderat ausdrückte, wurde seine Kritik viel schärfer, als er das Thema "Irreguläre Migration" ansprach. Die Ankunft von Asylbewerbern aus Ländern mit niedrigem Einkommen verstärke "Antisemitismus, Gewalt gegen Frauen und Homophobie", sagte Orbán, ohne Beweise zu liefern..
"Die Fakten sprechen für sich selbst", sagte Orbán, dessen Regierung wegen der Verabschiedung eines Anti-LGBT-Gesetzes teilweise keine EU-Mittel mehr erhält, unter den Buhrufen der zentristischen Abgeordneten.
Als Lösung schlug er vor, die EU solle sich auf die Einrichtung von "externen Hotspots" in Nachbarländern konzentrieren, um Asylanträge zu bearbeiten. Nur diejenigen, deren Anträge genehmigt wurden, sollten in das europäische Hoheitsgebiet einreisen dürfen, sagte er.
"Ohne externe Hotspots können wir die Europäer nicht vor irregulärer Migration schützen", sagte er den Abgeordneten. "Andere Lösungen sind offen gesagt eine Illusion".
Die Idee, Migrationsverfahren auszulagern, hat in den vergangenen Monaten an Zugkraft gewonnen. Im Mai unterschireben 15 Mitgliedstaaten der EU ein Schreiben an die Europäische Kommission, in dem sie mehrere Vorschläge unterbreiteten, um das Projekt voranzutreiben. Allerdings bleibt das Vorhaben wegen möglicher Verletzungen der Grundrechte der Migranten umstritten.
Von der Leyen antwortet
In ihrer Antwort versuchte Ursula von der Leyen, die Widersprüche in Orbáns Darlegungen aufzuzeigen.
In Bezug auf die Wirtschaft sagte die Kommissionschefin, Ungarn bewege sich "genau in die entgegengesetzte Richtung und drifte vom Binnenmarkt ab", indem es "über Nacht" Steuern gegen europäische Unternehmen erhöhe und Exportbeschränkungen einführe.
"Wie können europäische Unternehmen einer Regierung vertrauen, die sie willkürlich kontrolliert oder ihre Genehmigungen blockiert, wenn öffentliche Aufträge meist an eine kleine Gruppe von Begünstigten gehen?", sagte sie. "Das schafft Unsicherheit und untergräbt das Vertrauen der Investoren".
Zum Thema Energie verteidigte sie ihre Erfolgsbilanz bei der Verringerung der Abhängigkeit der EU von Moskau und warf Ungarn vor, nach "alternativen Wegen" zum Kauf russischer fossiler Brennstoffe zu suchen. Budapest ist derzeit von dem EU-Verbot für russisches Öl ausgenommen.
"Russland hat immer wieder bewiesen, dass es einfach kein zuverlässiger Lieferant ist. Es kann also keine Ausreden mehr geben. Wer Energiesicherheit in Europa will, muss in erster Linie dazu beitragen", sagte Von der Leyen.
In Bezug auf die Migration kritisierte die Kommissionspräsidentin die Regierung Orbáns für die Lockerung der Einreisebestimmungen für russische und belarussische Staatsangehörige. "Und wenn wir schon dabei sind, wen wir einreisen lassen: Wie kann es sein, dass die ungarische Regierung russische Staatsangehörige ohne zusätzliche Sicherheitskontrollen in unsere Union einlädt? Dies macht das neue ungarische Visa-System zu einem Sicherheitsrisiko, nicht nur für Ungarn, sondern für alle Mitgliedstaaten", betonte sie.
"Wir alle wollen unsere Außengrenzen besser schützen. Aber wir werden nur dann erfolgreich sein, wenn wir gemeinsam gegen das organisierte Verbrechen vorgehen und uns untereinander solidarisch zeigen", sagte Von der Leyen.
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Darüber hinaus machte Von der Leyen auf ein Sicherheitsabkommen zwischen Budapest und Peking aufmerksam. Diese Vereinbarung ermöglicht die Stationierung chinesischer Polizisten in Ungarn.
"Und wie kann es sein, dass die ungarische Regierung der chinesischen Polizei erlaubt, auf ihrem Territorium zu operieren?", fragte Von der Leyen. "Dies ist keine Verteidigung der europäischen Souveränität. Es ist eine Hintertür für ausländische Einmischung."